Ludwigshafen: In der Stadt am Rhein, die für ihre Nachkriegsmoderne bekannt ist, konnte die Stadtbibliothek aus den 1950er-Jahren gegenwärtigen Bedürfnissen angepasst werden – Nutzerzahlen haben sich verdoppelt. Dieser Erfolg ist Anlass genug, um am Schluss auf ein aktuelles Desaster im traditionsreichen Kurort Bad Neuenahr hinzuweisen, wo eine exzellente Architektur aus den 1930er-Jahren akut bedroht ist.
Stadtbibliothek | Bismarckstraße 44, Ludwigshafen
Architekten | Wiesemann Architekten, Köln
Ludwigshafen …
Die Stadt genießt nicht gerade den Ruf, eine urbane Perle des Südwestens zu sein. Das Zentrum ist eigentlich nur ein Rest dessen, was Zweiter Weltkrieg und die Ideologie der „autogerechten Stadt“ übrig ließen. Nachkriegsbauten von Rang gibt es, aber sie bedürfen wie alle anderen Bauten auch der Pflege. Wurde aber beispielsweise das baugeschichtlich hochrangige, wahrzeichenhafte BASF-Hochhaus von Hentrich & Petschnigg aus dem Jahr 1957 in den 1990er-Jahren noch saniert, entschied der Konzern 2013 doch den Abriss – ob das geplante neue Hochhaus gebaut wird, ist ungewiss.
Mit erheblichem Aufwand werden in Ludwigshafen derzeit auch die Spuren der einstigen Verkehrplanungsorgien zurückgebaut – das ist mühsam und außerdem teuer. Nahe eines solchen Verkehrsschlachtfeldes steht die Stadtbibliothek zentral in der Bismarckstraße, die rechtwinklig zur Hauptverkehrsachse, der B 37 (A 65), verläuft.
Lesen, Treffen, Hören, Stöbern
Werden vielerorts heute neue „Mediatheken“ gebaut, um gerade junge Menschen für das Lesen, Hören, Sehen zu motivieren und sensibilisieren, mutet die Renovierung einer „Stadtbibliothek“ fast halbherzig an. Aber in Ludwigshafen nahm mit einem Architektenwettbewerb eine bemerkenswerte Entwicklung ihren Ausgang. Energiebilanz, Raumklima und in die Jahre gekommene Strukturen der Stadtbibliothek kulminierten wie üblich in einem klaren Handlungsbedarf. Den Wettbewerb für eine Sanierung beziehungsweise einen deutlichen Umbau gewannen Wiesemann Architekten, weil sie unter anderem die geforderte Öffnung des Hauses als Grundlage ihres Konzeptes ausweiteten.
Bot das Erdgeschoss zuvor nur die enge Schleuse zum öffentlichen Lesesaal im ersten Obergeschoss, ist es jetzt zu einer überzeugenden Allianz von Willkommensgeste und Aufenthaltsort avanciert. Von der Straße aus sieht man die Zeitung, Bücher und wer-weiß-was Lesenden, die aus allen Altersgruppen offenbar etwas finden, was sie interessiert. Ein besseres Lockmittel gibt es kaum, um – natürlich barrierefrei – hier einzutreten.
Barrierefreiheiten
Bereits im Windfang verlangsamt man den Straßenschritt, weil eine schöne Mosaikwand einerseits, eine digital informierende Stehle andererseits ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Im Erdgeschoss ist zwar auch ein „Café“ angezeigt, aber damit sind nur zwei Kaffeeautomaten gemeint. Es stört sich zudem niemand daran, dass man eine mitgebrachte Thermoskanne auspackt und seinen eigenen Kaffee beim Zeitung Lesen schlürft.
Digital Natives
Nun muss man sich in Erinnerung rufen, dass der Wettbewerb 2013 lief, als die Digitalisierung noch nicht die heutige Omnipräsenz beanspruchte. Die durchgängige Digitalisierung des insgesamt sechsgeschossigen Gebäudes erwies sich als einzige den Bauprozess nachträglich komplizierende Aufgabe. Mitentscheidend für die beeindruckende Verdoppelung der Bibliotheksbenutzerzahlen ist jedoch, dass die Hemmschwelle zum Eintritt in die Welt des Wissens und der Neugier denkbar niedrig gelungen ist. Junge Menschen verbringen hier ihre Zeit, um Hausaufgaben zu machen, sich zu treffen, etwas gemeinsam zu machen. Stillschweigen muss man hier nicht – unaufgefordert unterhalten sich die Nutzer ohnehin leise.
Fließender Raum
Statt zweier seitlicher Treppenhäuser sind alle Ebenen der Stadtbibliothek jetzt in einem Raumkontinuum miteinander verbunden. Die Haupttreppen locken mit Tageslicht nach oben, es stehen keine Türen, Schranken, Zugangsschleusen im Weg – Benutzer können sich überall nach Lust und Neugier bewegen. Der einstmals starren Etagenstapelung mit separater, abgeschlossener Vertikalerschließung wirkt ein Konzept entgegen, das mit Licht und Material, Geometrie und dezidiert vertikalen, skulptural anmutenden Bauteilen fast spielerisch funktioniert.
Deckendurchbrüche erleichtern die ohnehin gute Orientierung, Blickbezüge nach draußen tragen zur Charakterisierung des Innenraums bei. Eine Treppen-Regal-Kombination aus Holz weist im oberen Bibliotheksbereich eine Abwechslung aus – ohnehin erkennt man im ganzen Haus eine ambitionierte Detaillierung.
Architekten und Bibliotheksleitung, außerdem das Ludwigshafener Gebäudemanagement arbeiteten gut zusammen. Beispielhaft ist hier gelungen, die Geschichte eines Gebäude fortzuschreiben und damit ein städtisches Umfeld aufzuwerten.
Bauherr: Stadt Ludwigshafen
Architekten: Wiesemann Architekten, Heribert Wiesemann, Köln
Mitarbeiter: V. Keulen, C. Korting, S. Janson, E. Goal
Bauleitung: Slena Planungsgesellschaft
Tragwerksplaner: Stümpert Strunk, Ludwigshafen
HLS: Haltern Ingenieure
ELT: EPL, Wiesbaden
(Fotografien: Ursula Baus, Wilfried Dechau)
Ludwigshafen, Berliner Platz
Zur Bismarckstraße kommt man vom S-Bahnhof Ludwigshafen-Mitte aus über den Berliner Platz (siehe Bild unten, zur wechselhaften Geschichte dieses belebten Platzes siehe > hier ). Vor den derzeit freistehenden, sechsgeschossigen Flachbau, wo seit den 60er-Jahren und bis 2015 die „Tortenschachtel“ (Kaufhof-Filiale) stand, soll das 6- bis 18-geschossige Geschäftshaus „Metropol“ gebaut werden. > RKW sind die Architekten dieses > Hochhauses, doch derzeit ruht die Baustelle. Das abenteuerliche Hin und Her um Grundstück und Projekt verfolgt u. a. die > Rheinpfalz.
Zeigt das Beispiel der Ludwigshafener Stadtbibliothek, wie wichtig und machbar der Erhalt ortstypischer, Identität festigender Gebäude ist, lässt sich nicht akzeptieren, dass andernorts dergleichen nicht gelingt. In den letzten Wochen und Tagen schlägt ein Appell Wellen, mit dem in Bad Neuenahr ein herausragendes Ensemble europäischer Bäderarchitektur wenigstens teilweise gerettet werden soll. In Bad Neuenahr bildete 1858 ein Plan Peter Joseph Lennés den Ausgangspunkt für eine einzigartige Kurort-Entwicklung. In den 1930er-Jahren wurden Anlagen modernisiert und mit zeitgemäßen Bauten wie der Trinkhalle ergänzt. Hermann Weiser (Schüler von Peter Behrens) entwarf diese Anlagen, die nun abgerissen werden sollen. Die Stadt Bad Neuenahr erkennt den Handlungsbedarf bei diesen Bauten zurecht als aufwändig, ein Abriss – so die Unterzeichner des Appells – sei allerdings nicht gerechtfertigt.