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In den sommerlichen Pausenwochen überraschten neben allem Guten, Wahren und Schönen, neben den Schreckensmeldungen aus aller Welt auch Nachrichten von persönlichen Verlusten. Es sind weltbekannte ArchitektInnen, aber auch befreundete BerufskollegInnen, denen wir »nachrufen« möchten. »Nachrufe«, um in Erinnerung zu halten, wer einige begleitete, einige unterstütze, viele prägte: Lucien Kroll und Dagmar Ruhnau.

1982: Metro-Station Alma (Bild: Wikimedia, smiley-toerist)

Moderne hat viele Gesichter:
Lucien Kroll (1927-2022)

Mit Lucien Kroll verbanden wir im Studium stets, dass er nicht so baute wie viele andere, die uns als Vorbilder nahegelegt worden sind. 1927 geboren, zeichnete sich der Belgier als ein eigenwilliger, den Menschen zugewandter, nicht selbstgefälliger Architekt aus, der auch die Courage zum Unkonventionellen aufbrachte. 1957 gründete Lucien Kroll mit seiner Frau Simone Pelosse in Brüssel das »Atelier d’Urbanisme, d’Architecture et d’Informatique«. Eine der prägenden Schaffensphasen fiel in die 68er-Zeit: Damals gingen Lucien und Simone Kroll wie keine anderen auf die Wünsche und Ideen von Studenten ein, als sie das Wohnheim und ein »medical house« und die Umgebung »La Mémé« bauten – ein heiteres, wie zusammengwürfelt erscheinendes Ensemble, das rückblickend seiner Zeit in Entstehungsweise, Funktionalität und Flexibilität weit voraus war. Die Bereitschaft zur Partizipation und ein Architekturverständnis, dass »Star-Kult« und Jetset einfach ablehnte, kennzeichnen das herausragende Schaffen der beiden Belgier, denen bis in unsere Gegenwart Vertrauen und Aufmerksamkeit geschenkt worden sind: Eine Ausstellung und die Arbeit am Projekt Hellersdorf von März bis Mai 2022 bezeugen die Aktualität des vor Jahrzehnten entwickelten Architekturansatzes von Lucien und Simone Kroll.1) 1994 war das Büro dazu aufgefordert worden, einen Plattenbau in die Gegenwart zu führen. Konzipiert wurde ein Prozess, in dem – grob vereinfacht – das Individuum mit aneignenden Aktionen den Plattenbau retten konnte. Ein dermaßen langfristiges Denken mutet heutzutage einerseits pragmatisch absurd, andererseits in seinem Anspruch großartig an. Dazu gehörte die Skepsis gegenüber der Omnipräsenz des rechten Winkels beziehungsweise der Geraden, ohne dass etwa »Werkzeuge« wie der Computer verdammt worden wären.2) Auch die Planung der Außenräume orientierte sich im Atelier Kroll nicht an formalistischen Ansätzen, sondern an ökologischen. Die Arbeit führte Lucien Kroll auch nach Frankreich – beispielsweise 1986 mit dem Bau von Wohnungsensembles in Marne-la-Vallée.

La Mémé, Woluwé-Saint-Lambert / Belgien (Bild: metalocus.es)

La Mémé, Woluwé-Saint-Lambert / Belgien (Bild: metalocus.es)

Einmal mehr verdeutlicht der Blick auf das Werk des Büros Kroll, dass die Architekturgeschichtsschreibung von Aktualitätsphänomenen immer wieder auf Irrwege geführt wird. Selbstverständlich gehören Lucien und Simone Kroll zur »Moderne«, deren Ansätze nie nur formal, sondern auch sozial und ökonomisch neu und ambitioniert, bisweilen im Fall Kroll auch sehr unkonventionell gewesen sind. So gehört auch das Oeuvre der Belgier in das Spektrum der Moderne, die zu verteufeln konservative und reaktionäre Architektur-Communitys nicht müde werden.


2)  Wolfgang Pehnt: Die Regel und die Ausnahme. Stuttgart 2011, Seite 187 f.


Vielfalt ist kein Mangel:
Dagmar Ruhnau (1968-2022)

Das breit angelegte Fach Architektur bietet weite Perspektiven und zahllose Möglichkeiten, sich mit der Welt zu verbinden und Verständnis für das Warum im Kleinen wie im Großen zu erschließen.
Eine Persönlichkeit, die sich diese Weite geholt, je gegönnt hat, für die es immer viele Möglichkeiten und Lösungen gab statt der einen richtigen, die unter dem damit verbundenen Mangel an Verbindlichem oder eigener Klarheit gegenüber den Dingen durchaus auch gelitten hat, die den Zweifel und die Unsicherheit zu gut kannte, war unsere liebe Journalisten-Kollegin Dagmar Ruhnau.

Dagmar Ruhnau (1068-2022)

Dagmar Ruhnau (1968-2022)

Natürlich nicht so prominent wie Lucien Kroll, hat unsere Kollegin auf zahlreichen Ebenen positiv auf ihr Umfeld und in die Fachbranche hineingewirkt. Ihre vielen beruflichen Stationen und Tätigkeiten aufzulisten, muss ermüdend wirken. Denn auf neigungsbedingtes Studium von Kunst, Anglistik, Slawistik und VWL, Broterwerb per Telefonauskunft, Bauzeichnerlehre und schließlich Architekturstudium folgte Berufstätigkeit in Büro, PR-Agentur und Fachzeitschriften-Redaktion. Ihre Themen: Großbritannien, finnische Kachelöfen, Bauschäden, polnische Kurzwarenhändler …

Mit ihrem Ausruf „o Boże“ haben wir sie noch im Ohr, wenn sie einmal mehr auf Dinge gestoßen war, die Angriffe auf ihr sicheres Geschmacksurteil, ihren Scharfsinn oder den moralischen Kompass bedeuteten. Sie pflegte ihren eigenen PR-Kundenstamm, stand aber auch in der db-Redaktion bereit, wenn es eng wurde. Sie recherchierte, organisierte, brachte ihre PR-Erfahrungen ein. Sie schrieb, übersetzte aus dem Englischen und auch mal aus dem Norwegischen, wandte beim Redigieren ihr Germanisten-Gen an und fand wunderbare Tipps für architektentaugliche Weihnachtsgeschenke. Sie stellte News zusammen, die nicht den Hype um den neuesten Schrei befeuerten, sondern von gesellschaftlicher, bisweilen globaler Relevanz waren, den architektonischen Blick weiteten und doch aufs Wesentliche lenkten. Von ihrer Vielseitigkeit, ihrer Energie, ihrem Humor, ihrem frischen Geist, selbst vom einen oder anderen grantigen Moment durften die Kollegen profitieren – alles mit Substanz und Tiefgang. Es war eine Freude, mit ihr in Sprache und Sprachen einzutauchen, über Exotismen in nächster Nähe und Skurrilitäten aller Couleur zu staunen, an ihrem breit angelegten Wissen teilzuhaben, sich von ihrem Anspruch an sich selbst und andere leiten zu lassen und gelegentlich auch Missstände anzuprangern. Politisch engagiert, machte sie aus sich ein Wahlkampfbüro. Zuletzt kümmerte sie sich um Kriegsgeflüchtete. Ende Juli 2022 ist Dagmar Ruhnau nach schwerer Krankheit gestorben.  Achim Geissinger

Da sie viele Hilfsangebote für Geflüchtete als minder tauglich empfand, engagierte sie sich im Verein Start with a Friend und wünschte sich breitere Unterstützung dafür. Aus großer Dankbarkeit für ihre Unterstützung und stellvertretend für sie bitten wir an dieser Stelle um Spenden:
Start with a Friend e.V., DE26 4306 0967 1183 1627 00

Informationen zur Möglichkeit, mit Geflüchteten ein Tandem zu bilden:
https://www.start-with-a-friend.de