Stilkritik (102) | Symptome dafür, wie rigide sich Menschen zwischen privatem und öffentlichem Raum abschirmen, gibt es zuhauf: widerwärtige Zäune, gefängnistaugliche Gartenmauern und vieles mehr. Zu den Indizien gehört auch, dass – obwohl sich viele Menschen im Internet geradezu entblößen – Namen an Klingel- und Briefkastenschildern immer obskurer werden.
Sofern man nicht in einem Schloss zuhause ist oder einem als Bischof, Präsident oder Vorstand eine Dienstwohnung zur Verfügung steht, schreibt man seinen Namen an die Haustür oder wenigstens an den Briefkasten, damit man – von wem auch immer – besucht werden kann. Den eigenen Namen mitzuteilen ist eine Art Veröffentlichung, auch für Leute, die sonst nie etwas publizieren und keine Korrespondenz pflegen. Es macht allerdings einen Unterschied, ob an der Klingel auf einem Heftpflasterstreifen „Moni 5x“ steht oder auf einem massiven Messingschild ein kryptisches „Dr. M.“. Das heißt, man kann das Ausschildern seines dauernden Aufenthalts praktisch erledigen, repräsentativ, angeberisch, geheimnisvoll, verbindlich, unauffällig – alles ist möglich.
Bei Mietwohnungen kann es sein, dass das Anbohren der Eingangstür zu diesem Zweck verboten ist, bisweilen erhält man dafür ein genormtes Täfelchen, auf das man sich als Mitglied der Hausgemeinschaft einprägsam deklarieren kann. Wie bei vielen anderen Belangen ist das Namensschild vor allem bei einem Eigenheim ein besitzanzeigender Ausweis. Stillschweigend enthält es den Untertitel „privat“.
Im Laufe der Zeit hat sich das Angebot an Türschildern immer wieder verändert. Ursprünglich waren sie aus solidem Metall oder wenigstens Blech, dann folgte wie überall der Ersatz durch Kunststoff. Gut lesbare Druckschrift war obligatorisch, es gab natürlich auch Verschnörkeltes.
Kaum war der Bedarf entdeckt, wuchsen die konkurrierenden Angebote, aber gleichzeitig spornte es die jungen Familien an, sich an der Haustür unverwechselbar vorzustellen. Besonders töpfernde Muttis entdeckten ihr kreatives Talent und rollten Teigwürstchen, die sich als Buchstabenschlingen auf eine Grundplatte legen und brennen ließen. Auch in Holzbrettchen konnte man seinen Namen schnitzen, aus selbstklebenden Buchstaben, die der Schlüsseldienst anbot, zusammensetzen oder ganz anspruchslos mit einem Etikettenprägegerät herstellen.
Sogar inhaltlich gab es inzwischen eine Neuerung. Sofern man nicht allein wohnt, drängt die emanzipierte Familie samt Hund auf das Türschild.
Statt eines nichtssagenden Familiennamens schreibt man an die Haustür etwa: Hier wohnen die Müllers. Uschi, Manni, Nadine, Kevin + Strolch. Solche Wohngemeinschaftshinweise lässt man sich gerne wetterfest in Emaille herstellen. Vielleicht handelt es bei dieser alternativen Auskunftsfreude um Nachwirkungen der Volkszählung von 1987, man ist ja durch die sozialen Netzwerke ohnehin enttarnt. Und das wird der absehbare nächste Schritt sein. Statt altmodischer Schilder meldet das SmartPhone, wer sich hinter der Haustür aufhält – und was er zuletzt gekauft hat.
(Bilder: Wolfgang Bachmann)