Erweiterung der Kunsthalle Mannheim | gmp architekten, Hamburg
Journalisten stimmen sich gerne ein wenig ab, um nicht ganz falsch mit ihrer persönlichen Einschätzung zu liegen, vor allem, wenn eine Pressekonferenz bei abendlicher Dunkelheit stattfindet. Die obligate Frage unter den Kollegen hieß: Wie findest du das Haus von außen – bei Tag? Innen muss man die Korrespondenz mit der Kunst abwarten. Am 1. Juni 2018 ist es soweit. Derzeit (15. bis 17. Dezember 2017) kann man die noch weitgehend leere Kunsthalle jedoch bei freiem Eintritt anschauen, dann schließt sie wieder bis zum „Grand Opening“.
Aufräumarbeit
Eine eigenartige Balance scheint in Mannheim die öffentliche Architekturwahrnehmung zu bestimmen: Einerseits besinnt man sich marketingbeflissen auf den (barocken) Stadtgrundriss der Quadrate, andererseits ist man die funktionale Moderne leid und freut sich über jede historische Trouvaille oder die Chance zur Rekonstruktion. Unvergessen der Streit über den Wiederaufbau des Alten Kaufhauses am Paradeplatz (1986), der alle aufrechten Architekten für das postmoderne Gemengsel von Mutschler Langner Partei ergreifen ließ. Aktuell erinnerten die Zeitungskommentare zum Abriss der Kunsthalle von Lange-Mitzlaff-Böhm-Müller und vor allem zum Neubau an diese alte Trauerarbeit. Wer kulturellen Durchblick für sich reklamierte, akzeptierte den Vorschlag von v. Gerkan Marg + Partner mit zusammengebissenen Zähnen: „… die Zeit der spektakulären Museumsbauten scheint endgültig vorbei“ (so das Kunstmagazin art stellvertretend).
29 Büros waren 2012 an dem anonymen, nicht offenen Wettbewerb beteiligt. Nach der ersten Stufe hatten sich Staab Architekten, Peter Pütz und gmp ex aequo qualifiziert. Das internationale Showbiz blieb auf den Rängen, wilde Gebärden hatten keine Chance. Nix Bilbao-Effekt! Und historisierende, an den Jugendstil-Sandstein der Nachbarschaft angelehnte Entwürfe blieben aus. Die Hamburger Architekten wurden schließlich mit dem ersten Preis ausgezeichnet, es ist ihr erstes großes Museum in Europa.
Baulicher Handlungsbedarf …
Anlass für den Neubau, der das von Hermann Billing 1907 errichtete, 1909 zur Kunsthalle erklärte Ausstellungsgebäude zum Friedrichsplatz hin ergänzt, war keine formale Entscheidung, sondern die schiere Notwendigkeit, auf die Wassereinbrüche in die als Archiv genutzten ehemaligen Wehrmachtsbunker in den Untergeschossen zu reagieren. Ein Gutachten hatte die Sanierungsmöglichkeit gegenüber einem Neubau kalkuliert, schließlich ermunterte eine 50-Millionen-Euro-Spende des SAP-Mitgründers Hans-Werner Hector zur radikalen Lösung. Wie jede städtische Architektur ist dieses Museum, unabhängig von seiner Bestimmung, ein Beitrag zur gebauten Umgebung. Und die ist neben dem Schloss der bauhistorisch maßgebende Ort Mannheims.
… und stadträumlich verpasste Chance
Man darf also die verpasste Gelegenheit beklagen, die 40.000 Autos, die täglich um den Platz zur Autobahn drängeln, abzuleiten und die großartige städtebauliche Gartenfigur um den Wasserturm neu zu definieren. Der Neubau selbst tritt wie auf der anderen Platzseite das Kongresshaus Rosengarten ein wenig aus der Flucht der Arkadenbauten und dem Hotel an der Blockecke zurück. Doch aus der Entfernung, vor allem während dieser trüben Jahreszeit, dräut er wie eine hermetische Staumauer. Der dahinterliegende Jungendstilbau wird zum Gartenpavillon reduziert.
Im Käfig
Beim Näherkommen entdeckt man, dass die kantige, mit Faserzementtafeln verkleidete Kubatur samt ihren verglasten Öffnungen von einem soliden Metallgewebe aus Drahtketten und Rohren gebildet wird. Aber wozu? Gilt es etwas zu schützen, zu verbergen, einzukleiden, zu umranken? In den Verlautbarungen während der Planungsphase war von einer „rot-golden schimmernden Schatzkiste“ die Rede, die sich farblich der Nachbarbebauung annähern sollte. Aber da muss man wohl auf besseres Wetter warten, bis der Neubau gülden gleißt – vielleicht wenn der Blitz in den Drahtkäfig einschlägt. Von außen betrachtet zeigt das Gebäude den hohen Bürostandard von gmp, aber mit dem Ort hat es wenig zu schaffen. Natürlich plädieren wir für ein modernes Haus und keinen Jugendstilaufguss aus rotem Sandstein, aber man wünschte sich eine atmosphärische Nähe zur Umgebung, kein gleichgültiges Nebeneinander, das die Kunsthallenchefin semantisch als „Dialektik“ erläutert.
Stadt in der Stadt
Man sagt, ein Museumsgebäude solle von außen locken und innen den Kunstwerken als „White Cube“ Ruhe geben. Hier scheint sich die Regel verschoben zu haben. „Stadt in der Stadt“ hieß die Arbeitsthese für die Kabinette – unvermeidlich, sie in der Quadratestadt Kuben zu nennen. Ihre räumliche Verbindung wird durch Passagen, Brücken und Galerien um ein 22 Meter hohes, über Dach verglastes Atrium organisiert. Bis hierher ist das Publikum, ohne Eintritt zu bezahlen, willkommen. An einer Wand aus Touchscreens kann es sich über die Sammlung informieren, Bilder aufs Smartphone laden, eine eigene Führung zusammenstellen und anderen als „Playlist“ hinterlassen. Dies gehört zum Konzept des „Museums in Bewegung“, das kein Bildertempel sein will, sondern ein gesellschaftspolitischer Erlebnisort, an dem man sich über Gott und die Welt auseinandersetzen soll. Im Erdgeschoss gibt es Räume für Wechselausstellungen, Restaurant, Museumsladen und Auditorium.
Von hier führt ein von James Turrell gestalteter Übergang durch den Athene-Trakt in den Billing-Bau. Die Stützenstellung vermittelt raffiniert mit dem unsichtbaren Altvorderen, der sich nur mit zwei hohen Sandsteinblenden andeutet. Sonst könnte die Halle auch zu einem internationalen Konzern gehören, der auf die Kommunikation der Mitarbeiter setzt.
Eine lange Treppe führt in die beiden Obergeschosse, wo man als erstes durch ein Riesenfenster die ganze Pracht des Wasserturms erleben kann. Solche Ausblicke begleiten den Weg durch die fünf bis sechs Meter hohen Kuben, von denen einige zur kontemplativen Kunstbetrachtung, andere zum Vergleich mit der städtischen Wirklichkeit draußen einladen. Die grau furnierten, sperrigen Sitzmöbel könnte man für Exponate halten. Doch die räumliche Installation der Architektur lässt es mit ihren Schächten, Durchblicken und Engführungen nicht langweilig werden.
Während der Vor-Öffnungsphase sind nur beispielhaft einige Andeutungen aus den Sammlungen zu sehen. Künftig wird es Vorzugsplätze für die Werke geben, doch Ziel ist es, dem Publikum immer neue Interpretationsvorschläge zu bieten, etwa Anselm Kiefer mit Caspar David Friedrich zu konfrontieren. Ein Schaulager wird zeigen, was ohne thematische Zuwendung sonst vorhanden ist.
Bei so viel programmatischer Experimentierlust denkt man unwillkürlich an einen strapazierfähigen alten Schuppen wie das PS1 in New York, das Temporary Contemporary in Los Angeles oder die ehemaligen Hallen für Neue Kunst in Schaffhausen. Dagegen ist das Haus in Mannheim ein perfekter Neubau für alle kuratorischen Eventualitäten, unentschlossen, ob er Hintergrund für impressionistische Tafelbilder oder die scheppernde Vorhölle von William Kentridge (The Refusal of Time) sein will. Auf dem Boden liegt ein Zementestrich, am Rand mit einer Rinne für die Zuluft, in der Decke flache Leuchtenfelder mit der Absaugung, die Wände sind (sehr nachlässig) weiß geputzt, die massiven Brüstungen sind mit Eichenbohlen abgedeckt. Nichts stört, gmp beherrschen das. Es ist ein Museum, bei dem man erklären kann, warum es so geworden ist.
Kunsthalle Mannheim | https://kuma.art/de/
Internationaler Wettbewerb 2012 – 1. Preis
Entwurf Meinhard von Gerkan und Nikolaus Goetze mit Volkmar Sievers
Projektleitung Wettbewerb Di Miao
Projektleitung Ausführung Liselotte Knall, Kerstin Steinfatt
Bauherr Stiftung Kunsthalle Mannheim
BGF 17.366 m² (13.207 m² oberirdisch, 4.159 m² unterirdisch)
Kosten 68,3 Mio Euro