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Abkehr vom Spektakulären?

Die jüngsten Entscheidungen beim Deutschen Architekturpreis 2017 und beim Mies van der Rohe Award deuten darauf, dass die Hochschätzung des Spektakulären nachlässt. Ist ein Ende der Architektur als „Baukunst“ im schleichenden Bedeutungszuwachs von Technik und Ökonomie zu fürchten?

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Deutscher Architekturpreis 2017: Schmuttertal-Gymnasium in Diedorf von Hermann Kaufmann ZT & Florian Nagler Architekten, ARGE „Diedorf“, München; Bauherr: Landkreis Augsburg (Foto: Stefan Müller-Naumann)

Staats- und EU-Preise

Der Deutsche Architekturpreis wird seit 2011 als Nachfolger des Architekturpreises der Ruhrgas AG und des Karl Krämer Verlages als „Staatspreis“ vom Bund und der Bundesarchitektenkammer alle zwei Jahre ausgelobt – seit 2015 alternierend mit dem Deutschen Ingenieurbau-Preis. Der Mies van der Rohe Award wurde 1987 von der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und der Stiftung Mies van der Rohe ins Leben gerufen, wobei Projekte in der Schweiz, die mitten in Europa liegt, aufgrund der politischen Regularien leider nicht berücksichtigt werden. Vergangene Woche wurde nun der diesjährige Deutsche Architekturpreis entschieden, wenige Wochen zuvor der Mies van der Rohe Award. Beide Entscheidungen setzen Zeichen dafür, dass sich in den Debatten darüber, was denn auszeichnungswert im Kontext internationaler Architekturentwicklungen sei, etwas ändert. Beide Preise gilt es in ihren unterschiedlichen Eigenschaften, geschichtlichen Entwicklungen und Findungsverfahren zu erläutern, um die Tragweite der diesjährigen Entscheidungen abzusehen.

Architektur: Florian Nagler Architekten und Hermann Kaufmann ZT GmbH

Das Schmuttertal-Gymnasium ist ein Holzbau und außerdem ein Energieplusgebäude. (Foto: Stefan Müller-Naumann)

Was lange währt …

Seit 1971 hatte die Ruhrgas AG einen Architekturpreis ausgelobt, der vom Karl Krämer Verlag organisiert und inhaltlich geschärft wurde und schwerpunktmäßig auf ökologische, soziale Aspekte des Bauens abzielte. 1977 übernahm die Bundesarchitektenkammer die Schirmherrschaft für den Preis, dessen Fundament erarbeitet war und der seitdem als „Staatspreis“ eine andere Bedeutung bekommt. (Zur Geschichte dieses Wechsels siehe der Beitrag in der Seitenspalte). Mit der Übernahme des Preises durch den Bund haben sich die Kriterien geändert, was allerdings auch für seinen Vorgänger in Erinnerung zur rufen ist.
Es macht den Reiz aller Preisauszeichnungen aus, dass durch die eingereichten Beiträge die Entwicklungsstränge der Architektur antizipiert oder doch rechtzeitig erkannt werden sollten. Dazu tragen die stets neu besetzten Jurys einerseits bei; die manchmal zu kleinen Zirkel potenzieller Juror/innen rücken andererseits Netzwerke oder Seilschaften in die Entscheidungsfindung.

 


 

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Preise, Verfahren, Jurys

Um den Deutschen Architekturpreis muss man sich bewerben. Wer nichts einreicht, kann nichts gewinnen, und damit fehlt den Juroren, die in einer eintägigen Sitzung entscheiden, zugleich das Nicht-Eingereichte. In den letzten beiden Runden 2013 und 2015 ging es um etwa 160 Projekte, aus denen der Preis, fünf Auszeichnungen und fünf Anerkennungen gewählt wurden. Die Dokumentationen des Deutschen Architekturpreises sind nicht im Handel, sondern direkt beim BBR zu erhalten (architektur@bbr.bund.de). Das komplette, am 19. Mai entschiedene Ergebnis 2017  präsentiert das BBR bereits auf seiner >>> Website.

1721_Mies_logoBeim Mies van der Rohe Award ist das Verfahren ungleich aufwändiger. Es gibt eine Vielzahl von „Experten“ aus europäischen Ländern, die Projekte vorschlagen. Diese werden gesichtet, in mehreren Runden miteinander verglichen. Nach der Durchsicht der Bauten – 2017 waren es anfänglich 355 Bauten aus 36 europäischen Ländern – wurde eine Shortlist von 40 Bauten zusammengestellt, bis fünf Finalisten feststanden. Die Juror/innen besichtigten die Bauten der Finalrunde und trafen erst dann eine Wahl. Dass in diesem Verfahren wichtige Bauten fehlen, ist vergleichsweise unwahrscheinlich. (Zur vorbildlichen Organisation des Mies van der Rohe Award-Verfahrens siehe hier >>> )


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Die Außenanlagen der Wohnanlage im niederländischen Kleiburg wurden komplett umgestaltet, das Gebäude selbst in gemeinsamen Bereichen saniert. (Foto: van den Brugg, Mies van der Rohe Stiftung)

EU-Preis für Kleiburg – „Revamp the Whole!“

Bemerkenswert ist deswegen, dass dieses Jahr die auf den ersten Blick unspektuläre Sanierung „DeFlatKleiburg“ in Amsterdam von NL architects und XVW architectuur ausgezeichnet wurde. Wie ein verflixt großer Wohnungsbaukomplex (500 Wohnungen in einem 400 Meter langen und 10- bis 11-geschossigen Wohnblock) aus den angeblich stadträumlich und architektonisch in die Irre führenden 1960er-Jahren zu einem gegenwartstauglichen Zuhause des 21. Jahrhunderts mutierte, wurde endlich als anerkennswerte Architektenleistung begriffen.

Kleiburg: Große Freiräume wurden umstrukturiert, die stadträumlich-architektonische Figur blieb erhalten. (Bild: Mies van der Rohe Stiftung)

Kleiburg: Große Freiräume wurden umstrukturiert, die stadträumlich-architektonische Figur blieb erhalten. (Bild: Mies van der Rohe Stiftung)

Kleiburg ist Teil von Bijlmermeer, einer von der CIAM beeinflussten, weitgehend unverändert gebliebenen Erweiterung Amsterdams – eine Art “last man standing in the war on modernism”. Die Architektur dieser Zeit erreicht den Status der Historisierung, und die Architekten begriffen, dass sie aus vielen Gründen erhaltenswert und sanierungsfähig ist. Für Kleiburg wurde ein kluges Konzept entwickelt, in dem zwar Aufzüge, Flure, Installationen professionell saniert wurden, die Bewohner ihre Apartements aber selber renovieren können. Dominierten die Renovierungskonzepte in Bijlmermeer bislang Aufteilungen, Parzellierungen und ästhetische Überformungen, ist hier in Kleiburg das Ursprungskonzept behalten worden: „Revamp the Whole! “ (Informationen dazu hier >>>)

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Schulhof des Schmuttertal-Gymnasiums in Diedorf (Foto: Stefan Müller-Naumann)

Innenräumlich prägt die Holzbauweise die Atmosphäre des Schmuttertal-Gymnasiums (Bild: Heinrich Müller-Naumann)

Innenräumlich prägt die Holzbauweise die Atmosphäre des Schmuttertal-Gymnasiums (Bild: Heinrich Müller-Naumann)

Staatspreis für Diedorf – pragmatische Bescheidenheit

Anders fiel die Entscheidung des Deutschen Architekturpreises 2017 insofern aus, als dass Neubau die Preisgruppen dominiert. (Informationen zu Preis, Auszeichnungen und Anerkennungen hier >>>). Der Staatspreis wird an eine Schule in Diedorf im Landkreis Augsburg vergeben, die hier auf „Grüner Wiese“ als Holzkonstruktion gebaut wurde und außerdem als Energieplus-Gebäude konzipiert ist.
Im Kontext der Auszeichnungen und Anerkennungen entschied sich die Jury für einen unspektakulären Bau, dem die Herzen ästhetisch gepolter und stadträumlich denkender Architekturfreunde vielleicht nicht ohne weiteres zufliegen. Darin mag die Qualität dieser Schule liegen, die zu den Wurzeln des Deutschen Architekturpreises zurückführt: Energie- und Ökologiethemen stehen im Vordergrund, ohne sozial relevante Funktionalität und ästhetische Belange zu vernachlässigen. Durch die Montage einer Photovoltaik-Anlage wurden dabei beispielsweise Dachkonturen bestimmt – um nur ein Indiz dafür zu nennen, dass technische, bisweilen vom Gesetzgeber vorgegebene Aspekte immer öfter gestaltprägend wirken. Mit Florian Nagler und Hermann Kaufmann waren hier allerdings Architekten am Werk, denen man ein hohes Maß an Erfahrungswissen unterstellen darf, so dass ihre gestalterische Souveränität an nichts einbüßt. Dem Ort Diedorf ist zu wünschen, dass er zur Schule hin entsprechend der Messlatte des Gymnasiumneubaus wächst.

Sichten, prüfen, bewerten, auszeichnen

In Kleiburg wie in Diedorf lässt sich ein Bekenntnis zum Notwendigen erkennen. In Europa spielt die Auseinandersetzung mit dem Bestand eine kaum zu überschätzende Rolle, sollen Grund und Boden nicht endlos versiegelt, Landschaften zerstückelt, Naturräume vernichtet werden. Dass die Niederländer in diesem Kontext die Qualität einer Großform des 20. Jahrhunderts begreifen und weiterentwickeln und dafür den wichtigsten europäischen Architekturpreis bekommen, möge die internationale Debatte zur Nachkriegsarchitektur befeuern. Vom deutschen Staatspreis mag eine andere Botschaft ausgehen: Wenn überhaupt neu gebaut wird, dann nur in einer bau- und energietechnischen Perfektion, die kein Selbstzweck werden darf.