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Im Schlaraffenland

1842_SM_SchlaraffenDas Schlaraffenland, das „Land der faulen Affen“, Pieter Bruegel d. Ä., um 1567 (Bild: free wiki)

Marktgeschrei (14) | Was auf die Innenstädte zukommt, wenn die Digitalisierung mit Datenbrillen und Alexa und Louis in die Wohnstuben getrieben wird, kann man sich nicht oft genug verdeutlichen. Um Waren und Dienstleistungen an Mann und Frau und Kinder zu bringen, lässt die Konsumbranche nichts unversucht. Sie kann sich auf willfährige und naive Kundschaft verlassen.


Datenbrille von Samsung (Bild: Hersteller)

Datenbrille von Samsung (Pressebild: Hersteller)

Kühlschrank füll‘ dich ….

So stellt man es sich also vor: Jemand setzt die Datenbrille auf, steht vorm leeren Kühlschrank und bekommt via Brille nicht dessen bestürzende Leere gezeigt, sondern ein Schlaraffenland. Knackige Salatblätter, bratfertige Täubchen, knusprige Croissants, vegane Delikatessen. Ein Klick – und eine Drohne bringt die Leckereien und vieles mehr direkt vors Haus. Was vor allem als segensreiche Entwicklung für ältere, hilfsbedürftige Menschen angepriesen wird, zielt auch auf alle anderen, die man in einer gewissen Bequemlichkeit immer erreicht und denen man enorme Mengen mehr oder weniger nützlichen Zeugs andrehen kann.
Setzten erst die großen Supermärkte dem Handel in den Stadtkernen zu, weil sie – die parkplatzumgürteten Supermärkte – sich bequem mit dem Auto erreichen ließen, beutelt jetzt zusätzlich der Internet-Handel mit Milliarden-Umsätzen die Mitten der einst lebendigen Orte. Praktisch: Alles wird nach hause gebracht, nachdem es von allüberall um den Globus transportiert und dann in Logistikzentren gelagert worden ist. Solche Zentren schießen wie Pilze aus dem Boden. Viele Ursachen gigantischer, Mensch und Umwelt belastender Verkehrszuwächse liegen in der ubiquitären Verfügbarkeit von Konsumwaren und: in der Bequemlichkeit vieler Menschen, welche uns als „anthropomorph gegeben“ untergeschoben wird. All das ist lang bekannt. So what?

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Einkaufsbummel in einer deutschen Mittelstadt (Bild: Ursula Baus)

Die Scheinheiligkeit

In einem Feature des SWR2 (Dieter Jandt, 12. September 2018, zum >>> Nachhören) kamen unlängst viele zu Wort, die aus verschiedenen Interessen an der nächsten, digital verstärkten Stufe bequemen Konsums beteiligt oder von ihr betroffen sind. Die Umsätze des Online-Handels steigen und steigen, es geht um Milliarden-Beträge. Die Dienstleister, die alles mögliche bis vor die Haustür bringen – vom exotischen Möbelstück bis zum gebratenen Täubchen – verdienen sich goldene Nasen. „Der Kunde“ („die Kundin“), so sagen die Vertreter der Konsumbranche, will oder wolle es so. Und das ist das Problem.
Einerseits werden in aberwitzigem Wahn Stadtmitten nagelneu in altertümlichen Stil gebaut, um den Wohlfühlfaktor als Aufenthaltsattraktion zu vermarkten und wenigstens Touristen ins Zentrum zu lenken. Aber wen kümmert’s andererseits, dass Otto Normalverbraucher zuhause bleibt und den Ladenleerstand verursacht, weil – siehe oben – Kaufen mit einem Klick und dem „Diener Drohne“ komfortabler wird als je zuvor? Sinn und Zweck von Datenkraken sind bekannt. Mit ihnen werden sehr persönliche Wunschprofile erstellt und der so analysierte User mit haarscharf zugeschnittener Werbung scheinbar zufällig bedient. So doof kann niemand mehr sein, dass er/ sie an die Neutralität von Suchmaschinen glaubt. Individualisierte Suchergebnisse kommen als solche kaum erkennbar auf unsere Bildschirme.

Und immer noch reden sich Architekten und Stadtplaner die Köpfe heiß, was in den Stadtzentren, Peripherien und Nischen und Arenen öffentlichen Raumes alles passieren muss, damit sie „lebendig“ bleiben. Schon recht, aber vergleichsweise aussichtslos, denn was hier zur Debatte steht, gehört nicht in ihren Einflussbereich.

Handeln

Zu allererst sind wir natürlich immer selbst gefordert, Prioritäten im eigenen Handeln zu setzen – aber der Gesetzgeber auch. Hohe Zustellgebühren verbindlich festlegen, Drohnenbetrieb strengen Auflagen unterwerfen, Verpackungen kräftig besteuern – der Politik kann viel Konkretes einfallen, um Konsumverhalten zu steuern – weil es ungesteuert zulasten aller geht.
Ach ja, Systemkritik ist langweilig. Man ist ihrer überdrüssig geworden. Aber angebracht ist sie doch.