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Frankfurt-Riedberg, eines der bundesweit größten Stadtentwicklungsgebiete, wirft Fragen nach Alltagsrelevanz und notwendiger Revision unser Wohnkonzepte auf. Nach dem Städtebau (> Kw 40) geht es nun konkret um Wohnungsbau.


Großstädtisch, urban, suburban – wer will und kann wie wohnen? Wohnungsbau in Riedberg von Stefan Forster Architekten (Bild: Ursula Baus)

Weil Wohnungsbau auch durch schützenswerte Privatheit gekennzeichnet ist, lässt sich ‚Feldforschung‘ dazu nicht ohne weiteres betreiben. Von möglichst vielen Wohnungsbauten ließ ich mir von in Riedberg tätigen Wohnungsbauunternehmen Grundrisse zukommen – durchgängig waren es private Investoren oder Eigentümer. Und damit offenbart sich bereits ein Charakteristikum des Ortsteils: Hier ist kein Stadtteil zu analysieren, in dem Innovationen welcher Art auch immer intendiert waren. Wohnungsbau in Riedberg ist konventionell geplant und gebaut – vermeintlich „bedarfsorientiert“, wie alle privaten Investoren stets behaupten, die bei Renditen kein Risiko eingehen.

Ein Erdgeschoss-Bereich: Fenster und Balkone vor öffentlichen Wegen und dem Abfall-Shelter – die Dachgeschosse bieten erkennbar beste Wohnqualität. (Bild: Ursula Baus)

Ein Erdgeschoss-Bereich: Fenster und Balkone vor öffentlichen Wegen und Abfall- beziehungsweise Fahrrad-Shelter; die Dachgeschosse bieten erkennbar die beste Wohnqualität. (Bild: Ursula Baus)

Die Hauptverkehrsachse in Höhe des Rietbergsplatzes (Bild: Ursula Baus)

Die Hauptverkehrsachse in Höhe des Riedbergsplatzes (Bild: Ursula Baus)

Segmente und Sortimente

Die Konvention beginnt bereits in der Konzeption der öffentlichen Räume, die Wohntypologien maßgeblich beeinflussen. Auf der Hauptmagistrale fährt die U-Bahn, daneben und wie im ganzen Stadtteil Riedberg dominiert allerdings der Autoverkehr. Parkende Autos, Garagentore, auch Tiefgarageneinfahrten – dass dieser Teil des öffentlichen Raums in Riedberg keinen Platz für ein neues, der Individualisierung des 21. Jahrhunderts Rechnung tragendes, nachbarschaftliches Wohnen bietet, springt ins Auge. Zudem segmentieren die Straßen – gemäß den sehr alten Vorgaben der autogerechten Stadt – den Stadtteil, und die so entstandenen Segmente sind nahezu autark entwickelt worden. Es sind mehrgeschossige Blockbebauungen, Reihenhaus-Strukturen und Einfamilienhaus-Ansammlungen zu finden, wobei die Homogenität der Riedberg-Segmente von den Bewohnern des Stadtteils durchaus negativ gesehen wird. Zudem stellt sich die Frage, ob die Segmentierung repräsentativ für unsere Gesamtgesellschaft ist. Dazu ein paar Beispiele.

Im Schlepptau der Ansiedlung universitärer Institutionen zog beispielsweise in den letzten Jahren eine Bewohnerschaft hierher, die strukturellen, globalen Veränderungen der Arbeitsverhältnisse entspricht. Familien aus aller Welt, vergleichsweise viele aus Nah- und Fernost, ziehen hier nach Riedberg, die als ‚Expats‘ der globalen Wissenselite zu den Besserverdienenden gehören – was sich in den Quartieren ‚Science City‘ und im ‚Westflügel‘ durchaus erkennen lässt. Im Gefolge der staatlich finanzierten Wissenschaftsinstitute siedeln sich – dominant in naturwissenschaftlichen Bereichen – jene Unternehmen an, die von Wissenschaftserkenntnis – um es drastisch zu sagen: schmarotzerhaft profitieren. Es sind Familien mit gut verdienenden Hauptverdiener/innen, die eine optimal funktionierende Umgebung brauchen und in Riedberg auch geboten bekommen. Multikulti funktioniert in diesen Expats-Kreisen übrigens hervorragend.

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Hinter einem Gabionen-Schutzwall: „West-Villen“ als gestalterisch vereinheitlichte Alternative zum üblichen Einfamilienhausgebiet (Bild: Ursula Baus)

„West-Villen“: Hauptsache weiß

Drei Quartiere des Riedberger West-Villen-Gebiets sind beispielsweise zur Erschließungsstraße (Carl-Herrmann-Rudloff-Allee) konsequent hinter zwei Meter hohen Gabionenwänden verbarrikadiert. Grundstücksgrößen liegen in diesem Bereich, der von der Hessen Agentur Stadtentwicklungsgesellschaft (Haseg) geplant wurde, zwischen 600 und 900 Quadratmetern, auf denen rund 90 Ein- und Zweifamilienhäuser nach vergleichsweise strengen Gestaltungsvorgaben in drei Teilbereichen gebaut worden sind. Die Hauspreise liegen deutlich über 1 Million Euro, Villentypen heißen ‚Rumba‘, ‚Samba‘, ‚View‘.
Vorgegeben ist hier ein Spiel aus drei Baukörperteilen: Doppelgarage, Hauptbaukörper und Baukörper mit besonderem Merkmal – die Sinnfälligkeit von Grundrissen aus diesem Gestaltungskonzept heraus zu mendeln, darf als Entwurfsaufgabe gewiss nicht unterschätzt werden, hier und da fällt allerdings erstaunlich viel Verkehrsfläche auf. Zehn Architekturbüros aus Frankfurt, Wiesbaden, Darmstadt und Mainz beteiligten sich im Rahmen dieses Konzeptes, in dem sie nicht schalten und walten durften wie sie wollten, sondern – wie gesagt – zur Verwendung von wenigen Gestaltungsstrategien, Materialien und Farben genötigt waren. Vorgegeben waren formale Spielregeln, für die sich Architekten eigentlich zu schade sein müssten.

West-Villa: weißer Chique mit dezent montierter Überwachungskamera (Bild: Ursula Baus)

West-Villa: weißer Chic mit dezent montierter Überwachungskamera (Bild: Ursula Baus)

So sind diese Wohnhäuser ubiquitärer, geradlinig moderner Klötzchen-Architektur zuzurechnen, die den Klischees von Architectural Digest in einer globalen Wohlstandsästhetik entspricht. Zeitgenössisch gediegene Wohlstandsarchitektur, die in ihrer Funktionalität – mit Doppelgarage, offenen Küchen, salongroßen Badezimmern und Ankleiden in Boutiquengröße – kaum als konventionell, sondern sogar als reaktionär im Sinne einer internationalen Edel-Moderne bezeichnet werden könnte. Die formal stringenten Vorgaben könnten zudem in diesem Kontext als Indiz für die Befürchtung gelten, dass Architekten ohne solche Einschränkungen unliebsam über die Stränge schlagen.

Reihenhäuser "Groove City" der Lechner Group (Bild: Lechner Group)

Reihenhäuser „Groove City“ der Lechner Group (Bild: Lechner Group)

Reih‘ und Glied

Diese Gated Community offenbart im Kontext anderer Quartiere die klare Zerstückelung des Prinzips Stadt: Dort diejenigen, die sich das Einfamilienhaus leisten können; da jene, die im Reihenhaus nicht zwingend Gleiche unter Gleichen sein wollen; und schließlich alle, die im mehrgeschossigen Wohnungsbau ihr Glück finden müssen – und auch können. Kurz zum Reihenhaus: In dessen Bereichen taucht ein kleines Ensemble für Raumspar-Fans auf: Eine Fünf-Häuser-Kette – ‚Groove City Homes‘ – , die in dreigeschossiger Reihenhausstruktur fünf Zimmer auf 116 qm zwängt. Das funktioniert mit zwei Bädern und Dachterrassen nach dem Motto ‚Raum ist in der kleinsten Hütte‘ auch recht gut. Neu ist es nicht.


Exklusiv am Riedberg: Daniel Libeskind entwarf das Projekt "Verve". (Bild: https://www.verve-frankfurt.de/)

Exklusiv am Riedberg: Daniel Libeskind entwarf das Projekt „Verve“. (Bild: https://www.verve-frankfurt.de/)

Und immer wieder: die Stars

Natürlich dürfen in neueren Riedberg-Quartieren die Stars nicht fehlen. Hier also: Daniel Libeskind, das in die Jahre gekommene enfant terrible der Architektur. Seine Häuser sehen mit 55 bis 154 Quadratmeter großen Zwei- bis Fünf-Zimmer-Wohnungen und Smarthome-Technology (‚Verve by Libeskind‘) allerdings auch nicht so viel anders aus als alle anderen. Die Außenhülle weist noch ein paar zackige Muster auf, angepriesen wird startypische Individualität – in immer wieder realsatirischen Sätzen: “Jede Wohnung ist ein Unikat – einzigartig, limitiert und mit der unverkennbaren Handschrift von Daniel Libeskind. Sie garantiert freie Entfaltungs­­möglich­keiten und größt­­mögliche Lust aufs Wohnen. Bei der Konzeption der Wohnungen hatte Libeskind die Intimität und Privatsphäre der zukünftigen Bewohner vor Augen, aber auch die Schaffung bewohnbarer Gesamt­­kunstwerke. Durch Rundungen, Asymmetrien und Schrägen entfalten sich ungewohnte Sichtachsen und Blickbezüge. Die eigenen vier Wände werden so zu immer wieder inspirierenden und jeden Tag Freude bringenden Lebensräumen.“ Im Handel nicht zu findende zackige Fliesen in den Bädern, schräg konturierte Küchentresen, windschiefe Regale: Das Interieur wird zur Bühne des Privaten – auch das eine Variante des Wohnens in Deutschland.


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Die autogerechte Stadt, als solche gebaut: Wohnen reduziert sich hier auf den Rückzug ins Private. (Bild: Ursula Baus)

Wir spielen europäische Stadt

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Wohnungsbau von Stefan Forster Architekten an der westlichen Haupterschließung: Balkone als Dekor? (Bild: Ursula Baus)

An vielen anderen Stellen Riedbergs wird etwas ‚Großstadt‘ suggeriert und ’suburban‘ genannt. Straße, Parkplatzstreifen, ein paar Bäume und mehrgeschossige Wohnhäuser gehören hier zur ‚Urbanität‘, wie sie pars pro toto als ‚europäische Stadt‘ propagiert wird. Das Penthouse als Wohnebene, die sich diesem öffentlichen Raum durch freien Blick über ihn hinaus entzieht, kostet über alle Quartierscharaktere hinweg einfach mehr Geld. Waren in der alten europäischen Stadt die Mansarden und andere Dachgeschossformen für Gesinde und Bedienstete vorgesehen, erniedrigt die Wohnhöhe des Penthouse heute die dunkleren und dem öffentlichen Raum enger verbundenen Etagen-Wohnungen, die Fenster der Erdgeschosse sind durchweg zugehängt oder eingekastelt.

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Rad- und Autor-Fahrspuren, Abstandsgrün, Gehweg und Abschottungsmauern statt Vorgärten: Individuum und Gesellschaft finden so nicht zusammen. (Bild: Ursula Baus)

Was man im Riedberger Wohnungsbau vor allem vermisst: Flexibilität, Nutzungsmischungen und unverplante Nischen. Es gibt Ein-bis fünf-Zimmer-Wohnungen, bevorzugt mit den derzeit modischen offenen Koch-Ess-Wohnbereichen; es gibt Abstandsgrün zwischen dicht beieinander stehenden Fünf-Geschossern mit obligatorischem Staffelgeschoss und den immer gleich großen Fenstern und Loggien, mal beige, mal weiß gestrichen. Es gibt immergrüne Cotoneaster-Gartenstücke, glatt gemähte Rasenflächen, eingezäunte Minigärten, die den Erdgeschossen über Tiefgaragen zugeordnet sind. Balkone liegen so dicht beieinander, dass man sie kaum als private Bereiche an frischer Luft bezeichnen mag. Beim architektonisch ambitionierten, ziegelbekleideten, baukörperlich stark gegliederten Gebäudekomplex von Stefan Forster an der Carl-Rudloff-Straße wird das Bauhaus-Balkönchen zitiert – Aufenthaltsqualität bietet es nicht. Gewiss, auch mit Sachverstand begrünte, charmante Innenhöfe gibt es, aber sie sind nicht repräsentativ für Riedberg.

Große Grünflächen, umgeben von Straßen und den klassischen 4-Geschossern mit Staffeletage – derzeit der Wohnungsbau-Standard in Deutschland. (Bild: Ursula Baus)

Auffällig in Riedberg: große Grünflächen. Sie sind umgeben von Straßen und den klassischen 4-Geschossern mit Staffeletage – derzeit der Wohnungsbau-Standard in Deutschland. (Bild: Ursula Baus)

Weltverbesserer und Bedarfsdecker

Der Stadtteil Riedberg zeigt, dass der Topos „europäische Stadt“, wie er allüberall im Sinne der Blockbebauung beschworen wird, eine Chimäre ist. Vielmehr wird mit den Haus- und Wohnungstypologien, die zum üblichen unserer florierenden Bauwirtschaft gehören, die Gesellschaftsgruppen in ihrer Kapitalkraft sorgfältig auseinander sortiert und passgenau bedient. Im Sinne zielgruppengenauer Angebotsstrategien für Architektur und Stadt manifestiert Riedberg bestens die Kapitalisierung unserer Lebensverhältnisse und Wohntypologien. Was nur konsequent ist, wenn sich eine Gesellschaft zu ihrer Konsumkonstitution bekennt.

Wirft man vielen Konzepten des frühen zwanzigstens Jahrhunderts heute ihre welt- und menschenverbessernden Ambitionen vor, zeigt der Riedberg vieles, was nicht verbessernd, sondern vermeintlich bedarfsorientiert und damit marktgängig konzipiert ist. Was ist besser? Richtiger? Über neue Arten und Weisen des Zusammenlebens nachzudenken und Experimente zu wagen? Oder marktkompatible Alltagsarchitektur zu optimieren? Falsche Gegensätze sollen mit diesen beiden Fragen nicht geschaffen werden. Vielmehr geht es darum, einer veränderten Gesellschaft veränderte Wohnweisen anzubieten.


Der Beitrag ist eine gekürzte und geringfügig modifizierte Version des Textes aus dem Buch „Der Frankfurter Riedberg – Stadtentwicklung für das 21. Jahrhundert“, herausgegeben von Christian Kaufmann und Michael Peterek. Mit Fotografien von Gerd Kittel. Informationen zum Buch >>>