Wohnen ist ein Pflichtfach an den Architekturfakultäten, dazu gibt es kaum mehr zählbare Fachbücher, natürlich auch populäre Druckerzeugnisse (Schöner Wohnen) und einen unüberschaubaren Markt an Angeboten, um das eigene Zuhause „wohnlicher“ zu machen. Am Wohnen lässt sich ein ganzes Leben auffädeln. Doris Dörrie ist es gelungen.
Als ich noch für eine Baufachzeitschrift verantwortlich war, pflegte ich die Marotte, fachfremde Autorinnen und Autoren (Laien klingt mir zu despektierlich) über Architektur schreiben zu lassen. Das Ergebnis waren keine (kritischen) Beschreibungen von Gebäuden, sondern atmosphärisch dichte, bisweilen schalkhafte Erzählungen über Baukörper und Räume. Mit dabei waren Elke Heidenreich, Harald Martenstein, Alex Capus, Joseph von Westphalen, Wladimir Kaminer, Tilman Spengler, Udo Wachtveitl, Martin Mosebach – um einige der Mitwirkenden zu nennen. In dieses literarische Register würde auch Doris Dörrie passen. Ihre inzwischen umfangreiche Bibliografie nahm Ende der achtziger Jahre erst ihren Anfang, einem breiten Publikum bekannt wurde sie durch ihre Filmkomödie Männer (1985).
Nun also ihr Buch Wohnen. Es erschien Mitte April 2025 in einer zehnbändigen Lese-Reihe, in der auch die „Tunwörter“ Altern, Streiten, Essen, Schlafen als individuelle Lebensäußerungen verhandelt werden. Denn auch Wohnen gehört zu den Phänomenen des menschlichen Daseins, eine Art Aneignungsprozess, ein soziales Handlungsfeld, begleitet von einem subjektiv-psychischen Erlebniswert. Aber mit Soziologie will uns Doris Dörrie nicht erschrecken. Sie schreibt von und über sich, und sie weiß genau, dass Räume stimmen müssen, damit sie eine Filmhandlung genauso glaubhaft prägen wie Sprache und Requisiten. Wohnungen erzählen „mit jedem visuellen Detail ganze Geschichten.“ Häufig münden die Beobachtungen in übergeordnete Merksätze wie „Es gibt uns nicht ohne Raum.“
Dass Wohnungen Metaphern sind, hat Dörrie während ihrer Lehrtätigkeit an einer amerikanischen Uni erfahren: Sie gönnte sich mit ihrem Mann zur Unterhaltung regelmäßig Wohnungsbesichtigungen, um zu erfahren, wie sich das Leben der Menschen reproduziert (und in eine Filmkulisse übertragen werden könnte). Aber sie weiß auch: „Jede Wohnkultur bildet die politischen Umstände ab.“ Ja, klar, Dörrie passte in ihre Zeit, als sich die fortschrittlichen Kräfte auf das streitrelevante allgemeinpolitische Mandat und schließlich auf feministische Positionen konzentrierten. Aber sie verliert nicht ihr Thema, denn auch beim Wohnen haben sich patriarchalische Verhältnisse etabliert: Warum, fragt die Autorin, haben Frauen selten oder nie ein eigenes Zimmer? Und nur die Küche für sich?
Fast liest sich das kleine Buch wie eine Biografie, die anhand von eigenen Wohnerfahrungen mitgeteilt wird. Details wie ein Braun-Plattenspieler und die bei Fritz Hansen produzierte Stuhlserie Jacobsen 3107 belegen die sachliche Genauigkeit der Reportage, vor allem freut man sich über die Erkenntnis, dass wir zur Wahrnehmung von Architektur „einen inneren Raum der Erinnerung an uns selbst“ besitzen, ein „sensorisches Gedächtnis“. Dagegen verliert man bei den Männern, mit denen Dörrie in den WGs Tisch und Bett geteilt hat, den Überblick, was auch daran liegt, dass bisweilen Wiederholungen und kleine Widersprüche übersehen wurden.
Es ist wunderbar, dass der weitgereisten Filmregisseurin, Drehbuchautorin und Schriftstellerin (am 26. Mai feiert sie ihren 70. Geburtstag) Wohnen so wichtig ist: als ein privates Zuhause, wo man mit Dingen leben kann in Unordnung oder Ordnung, um beim gemeinsamen Essen mit Freunden und Familie die Widrigkeiten der Welt auszuhalten. Wohnen ist das gelebte Einverständnis mit einer geschützten Umgebung. Es ist ein Glück, wenn man es in Frieden genießen darf.