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Heidelberg gehört zu den boomenden Städten, die von der Wirtschaftsnähe ihrer Universität profitieren. An solchen Orten sind unkonventionelle Arbeits- und Wohnverhältnisse gefragt. Wie sich dies manifestiert oder eben auch nicht, deuten ein neuer Baublock von Eike Becker Architekten in der Bahnstadt und ein Institutsneubau im Neuenheimer Feld von Staab Architekten an. Heidelberg zeigt, das „urban“ ohne Differenzierung kein tauglicher Begriff für den Städtebau ist.

Oben: Das Schönste an Heidelbergs „Bahnstadt“ ist die Quartierskante zum Landschaftsraum hin. (Bild: Ursula Baus)

Fahrbahn, Parkplatz-Streifen, Gehweg, Randbebauung – fertig ist der Stadtraum. (Bild: Ursula Baus)

Die Bahnstadt: Fahrbahn, Parkplatz-Streifen, Gehweg, Randbebauung – fertig ist der Stadtraum. (Bild: Ursula Baus)

„Urbane Mischung“

Zentrumsnah gelegen, wirkt die Heidelberger „Bahnstadt“ mit üblichen Straßen-, Parkplatz- und Gebäudekonturen konventionell. Als Wohnlage ist sie beliebt, weil auch ein weitläufiger Landschaftsraum fußläufig zu erreichen ist, außerdem Schulen, Kitas, etwas Gastronomie und sogar ein Naturkostladen im Quartier zu finden sind. Der ortsansässige Projektentwickler Deutsche Wohnwerte baute nun unter anderem für sich selbst mit Eike Becker Architekten einen Gebäudekomplex, der flexibles Arbeiten und Wohnen vereint: dicht im Quartier, exklusiv mit Blick ins Grüne an seinem Rand.

"Colours" nennt die Deutsche Wohnwerte ihren Büroneubau, der flexibel zu nutzen ist. (Bild: Deutsche Wohnwerte, **)

„Colours“ nennt die Deutsche Wohnwerte ihren Büroneubau, der im Sinne des Coworking flexibel zu nutzen ist. Rechts im Bild schließt der Wohnungsbau an. (Bild: Deutsche Wohnwerte, Eyal Pinkas)

Büro- und Wohnungsbau aus einer Hand; die Erdgeschossnutzung soll dem urbanen Umfeld Rechnung tragen.. (Bild: Ursula Baus)

Büro- und Wohnungsbau aus einer Hand; die Erdgeschossnutzung soll dem urbanen Umfeld Rechnung tragen.. (Bild: Ursula Baus)

Stadträumlich lassen sich die Grenzen von Büroetagen und Wohnungen in den Fassaden vielleicht unterscheiden, im architektonischen Ausdruck allerdings kaum, denn beide – Büros und Wohnungen in den fünf- bis sechgeschossigen Gebäuden – kommen ausgesprochen nüchtern daher. Im Ganzen umfasst der Block das Bürogebäude, zwei Mehrfamilienhäuser mit je sechzehn und zwei Stadtvillen mit zusammen zwanzig Wohnungen. Im Südwesten, bei den „Stadtvillen“ an der Landschaftskante, gehört noch ein ehemaliges Stellwerkhaus dazu, das wie ein Relikt von früheren Zeiten kündet und jetzt gastronomisch genutzt wird.

Zugang von der Straße zum Wohnungshof (Bild: Ursula Baus)

Zugang von der Straße zum Wohnungshof (Bild: Ursula Baus)

Die Wohnverhältnisse sind hier im Quartier sehr dicht, und die öffentlich zugänglichen Höfe bieten nur eine eingeschränkte Privatheit beziehungsweise Rückzugsmöglichkeit. Balkone und kleine Grünflächen mit etwas Kinderspielgerät können nicht darüber hinweg täuschen, dass derartige Urbanität – übrigens trotz Nähe zum ÖPNV und zum Bahnhof über einer Tiefgarage gebaut – Privatheit nur innerhalb der eigenen vier Wände bieten kann.

Sandkasten und Spielgerät im halböffentlichen Hof über der Tiefgarage – in solcher Coolness selten zu finden. (Bild: Ursula Baus)

Sandkasten und Spielgerät im halböffentlichen Hof über der Tiefgarage – in solcher Coolness selten zu finden. (Bild: Ursula Baus)

Ganz links im Bild die Balk0one der Stadtvillen, mittig das umgenutzte Stellwerkhaus. (Bild: Ursula Baus)

Ganz links im Bild die Balkone der „Stadtvillen“, rechts das umgenutzte Stellwerkhaus. (Bild: Ursula Baus)

Einlibkce in die komfortablen, flexibel zu nutzenden Büros (Bild: Design Offices)

Einblicke in die komfortablen, flexibel zu nutzenden Büros (Bild: Design Offices)

Ausgerüstet mit Laptop und Mobiltelefon, suchen sich die modernen Digitalnomaden den Arbeitsplatz und die wechselnden Teamkollegen immer mal wieder neu. Auch die Gesamtkapazität eines Start-ups oder eines kleineren Dienstleisters muss heutzutage wachsen und schrumpfen können – dazu bietet das Coworking-Haus, das von Design Offices verwaltet wird, sehr gute Möglichkeiten. Die Quantitäten reichen von knapp 200 bis 6.300 Quadratmetern, und als KfW 55-Gebäude errichtet, genügt es auch den energetisch einwandfreien Standards im gehobenen Segment. Atmosphärisch überraschen die Innenräume mit einem angenehmen Werkstatt-Charakter, ohne improvisiert oder „gebastelt“ auszusehen. Flexibilität bedingt allerdings, dass räumliche Verhältnisse vergleichsweise schnell in Größe, Nutzung und Zugänglichkeit zu verändern sind. Große oder kleine Büros oder Nischen und gemeinsam nutzbare Teeküchen und Küchenzeilen – das ist im Bürobau in dieser Qualität noch kein Standard.

Bauherr: Deutsche Wohnen GmbH, Heidelberg
Architekten: Eike  Becker_Architekten, Berlin


Erweiterung des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Bild: Marcus Ebener)

Erweiterung des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Bild: Marcus Ebener)

Eleganter Solitär

Dergleichen spielt bei dem Neubau, den Staab Architekten auf dem Campus Neuenheimer Feld in Heidelberg errichtet haben, kaum eine Rolle, um Urbanität in einem traditionellen Sinn geht es hier nicht. Gefragt war hier für das Max-Planck-Institut für aus ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht eine seriöse Noblesse in weiträumiger Umgebung. Seminar-, Ausstellungsflächen, Mitarbeiterbüros und ein neuer Lesesaal für Tagesgäste: Damit ist das Raumprogramm für 2.300 Quadratmeter hier bereits vollständig. Eine verglaste Erdgeschossfläche verbindet Alt- und Neubau, das alles ist klug konzipiert und makellos zusammengefügt. Die eloxierte Aluminiumfassade, die auch in feinen Lamellenstrukturen erscheint, wirkt unspektakulär und elegant.

Lageplan (Copyright: Staab Architekten)

Lageplan (Copyright: Staab Architekten)

„Urban“?

Das Neuenheimer Feld ist gewiss nicht herkömmlich „urban“. In dem Hochschulgebiet residieren vorwiegend Naturwissenschaften, seit etwa eineinhalb Jahrzehnten ziehen vor allem Institute mit steigendem Platzbedarf aus dem Heidelberger Stadtteil Bergheim hierhin. Der Lageplan zeigt deutlich den Dimensionssprung der kleinteiligen Wohnbaugebiete im Osten hin zu den funktionsbedingt großen Universitätsbauten, die explizit solitären Charakter aufweisen. Wer hier arbeitet, möchte in der Regel seine Ruhe haben, wobei die Öffnung des Max-Planck-Institutes für interessierte Laien immerhin etwas Publikumsverkehr erlaubt. Die hochwertige Architektur des Erweiterungsbaus signalisiert dem Publikum, dass die internationalen Rechtsangelegenheiten „in guten Händen“ sind, sie repräsentiert unaufdringlich und schafft doch eine „Adresse“.

Erdgeschoss-Grundriss (Bild: Staab Architekten)

Erdgeschoss-Grundriss (Bild: Staab Architekten)

In seinen Universitätsarealen kann Heidelberg nicht mit einem Städtebau punkten, der seinen Reiz aus öffentlichen Räumen mit vielfältiger Aufenthaltsqualität beziehen könnte. Beschauliche Freiräume und urbanes Treiben sind hier aus nachvollziehbaren Gründen unerwünscht. Und das wird bis auf weiteres auch so bleiben. Den Universitätsgebieten mangelnde „Urbanität“ anzukreiden, weist in eine falsche Diskussionsrichtung. „Urbanität“ hat ohne eine subtile Differenzierung dessen, was Arbeits- und Wohnverhältnisse an Vielfalt erfordern, keine debattentaugliche Aussagekraft.

Nobles Erscheinungsbild: Erdgeschoss des Erweiterungsgebäude (Bild: Marcus Ebener)

Nobles Erscheinungsbild: Erdgeschoss des Erweiterungsgebäudes (Bild: Marcus Ebener)

 

Bauherr: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Nutzer: Max Planck Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
Architekten: Staab Architekten, Berlin
Nicht offener Realisierungswettbewerb 2010
Planungsbeginn – Fertigstellung 2013 – 2018
NF 2.300 m2