Das „Heizungsgesetz“ ist durch den Bundestag, die Debatten um Energiequellen dauern aber an. Finanzminister Lindner (FDP) degradiert parteikonform immer wieder den Begriff „Freiheit“, indem er Ich-bezogenen Wunschvorstellungen der Wählerschaft entgegenkommt. Und nun proklamiert er gern eine „Technologieoffenheit“. Dieses hochtrabende Wortmonster erweist sich in planungs- und architekturrelevanten Entscheidungen als ärgerliche Verbrämung der Ignoranz.
Technik, Technologie und die Folgenabschätzung
„Technē“ ist die vitruvianisch geadelte Komponente der Architektur, die auch mit der Geometrie als unumstößliche „wissenschaftliche“ Grundlage derselben gilt und in der Antike explizit nur der Theorie und der moralischen Praxis gegenüber gestellt wird. Technik, Technologie und Technikfolgenabschätzung stecken in der Gegenwart ein anderes Feld ab, in dem sich auch die politischen Diskussionen um Energie und Umwelt verorten lassen. Und genau hier ist das Wortkompositum „Technologieoffenheit“ eine Finte, mit der Ahnungslosigkeit kaschiert wird.
Technik…
Zweckfreie Naturforschung lässt sich schon lange nicht mehr gegen zweckgebundene Technik positionieren – in der analytisch-empiristischen Technikphilosophie wird immer wieder darauf verwiesen, dass Technik und Technologien – zum Beispiel mit Mess- und Beobachtungsapparaten – immanente Rückwirkungen auf die zweckfreie Naturforschung haben. Mit entsprechenden Konsequenzen: Entdeckung, Erfindung und Entwicklung verlieren „ihre definierende Funktion, insofern auch in technischer Entwicklung die Gangbarkeit eines Weges entdeckt und in naturwissenschaftlicher Forschung ein Experiment erfunden und entwickelt werden kann.“1)
Geht es nun um die konkreten Technikthemen Energie und Umwelt, dann werden hier die Weichen für die Zukunft der Gesellschaft politisch gestellt. Um zwei Beispiele zu benennen: Angela Merkel ist der Ausstieg aus der Atomenergie zu danken. Der Autolobby ist die Beibehaltung des Verbrennungsmotors geschuldet, der mit fossilen Brennstoffen funktioniert; bei der aktuellen IAA (Internationalen Automobil-Ausstellung) dominierten erstmals mitten in München die chinesischen Autobauer bei der Elektromobilität weltweit. Wohlwissend, dass die FDP eine Wirtschaftspartei ist, die die Interessen deutscher Wirtschaft mit der parteinamentlichen „Freiheit“ nolens volens verknüpft, darf sich niemand wundern, dass der Ruf nach „Technologieoffenheit“ genau aus dieser Ecke kommt. „Technologiefreiheit“ würde als Begriff die Lächerlichkeit der FDP-Intention offenbaren. Stattdessen ist „Offenheit“ als neutrale, wissenschaftskorrekte Konnotation mit Technologie zusammengesetzt. „Technologieoffenheit“ soll so der Technologiefolgenabschätzung entzogen werden. Denn was ließe sich im Sinne der Erkenntnis gegen „Offenheit“ sagen? Offen heißt: offen für alles.
Konkret geht es aber um technologiebedingte Risiken, die zu berücksichtigen sind. Und damit sind wir bei der Technologiefolgenabschätzung, die in den gegenwärtigen Szenarien zum Energiemangel politisch in den Hintergrund gedrängt wird. Weil Energiequellen für Wohlstand und Komfort und Wirtschaftswachstum als wichtig erachtet werden, nicht aber in ihren Folgen für auch langfristige Entwicklungen in Natur und Gesellschaft.
…und die Folgen
Technikfolgenabschätzung ist dabei längst verwissenschaftlicht und institutionalisiert. Es führt hier zu weit, die methodischen Konzepte der Technologiefolgenabschätzung aufzudröseln. Sie basieren auf interdisziplinären Erkenntnissen, analysieren rückwirkend nach Erkenntnissen und Ereignissen, prognostizieren aber auch mögliche Risiken im Vorfeld von politischen Entscheidungen.
Um bei dem ganz konkreten Energiethema zu bleiben: der Atomenergie. Sah Christian Lindner noch im April keine Chance für Atomkraftwerke,2) sieht das nun aus Sicht des wahlkämpfenden Markus Söder anders aus.3) Das Kurzzeitgedächtnis der Gesellschaft verhindert leider immer wieder nötigen Protest: Fukushima (März 2011) und Tschernobyl (September 1982) sind nur zwei von vielen registrierten Unfällen in Atomkraftwerken,4) vom Einsatz von Atomwaffen wie in Hiroshima ganz zu schweigen. Und weil völlig ungelöst ist, wo der ganze weltweit anfallende Atommüll hin soll und weil nicht bewusst gemacht wird, welche Zeitbomben jeweils ticken, kann man „Technologieoffenheit“ in Fragen der Atomenergie nur als zynisch bis heimtückisch bezeichnen.
Es sei auch das leidige Thema der deutschen Automobilindustrie angesprochen, die globale Entwicklungen verschläft und dabei noch staatlich subventioniert wird. Schon propagiert die FDP mit dem Wortmonster „Technologieoffenheit“ die Idee, den Verbrenner weiterhin steuerlich zu begünstigen, weil es doch um E-Fuel gehe.5) Manche Wissenschaftler, so Jan Schmidbauer, „sprechen lieber von technologischer Ahnungslosigkeit“.6) Auch Wasserstoffgewinnung ist mitnichten so einfach, wie eine „Technologieoffenheit“ prinzipiell suggeriert. Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HfTW Berlin, sagt dazu: „Um ein Verbrennerauto mit E-Fuels anzutreiben, braucht man am Ende fünfmal so viel Solar- und Windstrom wie für den Betrieb eines Elektroautos – und dann wird das Ganze auch fünfmal so teuer. In Deutschland werden wir so viele Solaranlagen und Windräder gar nicht aufstellen können. (…) Egal – dann machen wir es doch einfach im Ausland! Chile hat richtig viel Wind, da geht doch was“, sage Christian Lindner. „Aber rechnen wir mal nach. Wollten wir unseren heutigen Autoverkehr mit E-Fuels betanken, müssten wir die Stromproduktion in Chile mindestens verachtfachen. Zehntausende neue Windräder in Chile, einfach nur, damit wir hier in Deutschland weiter Verbrenner fahren können. E-Fuels für den Autoverkehr vertragen sich also nicht wirklich mit Klimaschutz, Physik und Ökonomie. Dafür lieben Porsche, VW und Co diese Idee, weil sie so weiter Verbrenner verkaufen können. In Wirklichkeit gehört die E-Fuel-Story aber wohl eher in Grimms Märchenreich.“7)
Politsprecherei
PolitikerInnen können natürlich jeweils nicht vom Fach sein, Linder und Söder sind, wie viele Parlamentarier, Juristen. Um so dümmer, dass sie ihr Ohr selten der Wissenschaft, sondern der Wirtschaft leihen. Insbesondere die wirtschaftsnahen Parteien machen es so und wählen Worte wie „Technologieoffenheit“ dafür, wenn sie Wirtschaftsinteressen vertreten und dabei pseudowissenschaftlich formulieren. Richtig ärgerlich wird es, wenn das Gerede von der Technologieoffenheit konkret beim Thema Energie zulasten dessen geht, was mit erneuerbaren Energien dringend vorangetrieben werden müsste.
Es ist lange her, dass in einem jeweiligen irgendwie fürs Bauen zuständigen Ministerium jemand „vom Fach“ saß. Auch hier dominiert leider die Aufmerksamkeit für Vertreter der Wirtschaft statt für Wissenschaftler. Und wenn Juristen das Wort haben, sieht es, und damit zum Ende, so aus, wie es hier im neuen „Heizungsgesetz“ zu finden ist:
1) Peter Janisch: Technik. In: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 4, Stuttgart 1996, Seite 214 f.
2) https://www.zeit.de/politik/deutschland/2023-04/energie-atomkraft-christian-lindner-markus-soeder-ende?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F
3) https://www.youtube.com/watch?v=YwbGAVj_6_M; https://www.welt.de/politik/deutschland/article246772036/ARD-Sommerinterview-Markus-Soeder-will-Kernenergie-ab-2025-reaktivieren.html
5) https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/auto-verkehr/christian-lindner-lindner-will-e-fuels-steuerlich-beguenstigen-19148136.html
6) Jan Schmidbauer: Das Blaue vom Himmel. In: Süddeutsche Zeitung, 1. September 2023, Seite 3