• Über Marlowes
  • Kontakt

Stilkritik (113) | Alle, die mitreden wollen, reden von »Zukunft«. Zukunft der Demokratie, der Architektur, des Bauens mit Beton, der Infrastruktur: Wovon denn sonst als von »Zukunft«? Das Tückische: Die Rede ist oft nur noch von Zukunft, aber dieser zeitgebundene Begriff wird nur in seltenen Fällen mit konkreten Vorstellungen verknüpft, weil vor allem Werbe- und Politikbranchen den Begriff »Zukunft« entwertet haben. Dem Begriff »Zukunft« eignet damit ein ähnliches Schicksal wie der »Nachhaltigkeit«. Wird also heftig von »Zukunft« geredet, ist Vorsicht geboten.

Haben die Alpen eine Zukunft? Gewiss, es fragt sich: welche? (Bild: Ursula Baus)

May be sometime: diskursive Isolierschichten

»Alles Zukunfterraten Ist wie gemalter Braten«.1) Die ehemalige Kanzlerin in ihrer gelegentlich eintönigen Rhetorik sprach gern davon, dass ihre Regierung sich um »Zukunftsfragen« kümmere. Worum, so fragte man sich, kümmert sich eine Regierung, wenn nicht darum, wie es mit Land und Leuten weitergehen soll? »Zukunft« hat eine diskursive Ebene in den medialen Alltag eingezogen, die wie eine Isolierschicht zwischen Intention und Handeln wirkt. Konkretes Beispiel: Alle »Wenden« – Energie, Verkehr und so weiter – sollen in eine bessere Zukunft führen, die erbärmlich schwammig umschrieben wird. Die Diskrepanz zwischen Zukunftsbeschwörung und konsequentem Handeln – mit Gesetzesänderungen, Auflagen, Steuerungs- und Fördermechanismen – ist evident, was uns die derzeitigen Miseren beschert. Wenn beispielsweise bei tatsächlich einzufordernden Werten – etwa beim CO₂-Ausstoß – »Zukunft« auf 2050 hin quantifiziert wird, wird das nicht ernstgenommen. Es lässt sich vielmehr mit Bedauern feststellen, dass bis dahin nicht das erreicht werden wird, was intendiert war. Derweil legen sich Autokonzerne nicht darauf fest, wann genau sie aus der Verbrenner-Produktion aussteigen werden oder wollen. Wenn die EU jetzt das Verbrennerverbot auf 2035 terminiert2), wirkt sie in eine Zukunft, nimmt Einfluß auf reale Verhältnisse – auch wenn die an Utopisches denken lassen.

Ein anderes Beispiel: Konkreter analysiert ein Experte in Sachen »Regenwasserbewirtschaftung«, dass Prognosen für kommunale Strategien in der Hochwasser-Vorsorge beziehungsweise Klimaanpassung nicht berücksichtigt werden, sondern in den Verwaltungen auf Normen, »die von Ehrenamtlichen aus den Fachverbänden gemacht und teilweise 20 oder 30 Jahre als sind«, geachtet werde. Es geht um Normen zu Dachbegrünungen oder Versickerungsanlagen, in denen sogar noch Baumpflanzungsverbote festgeschrieben sind.3) In solcher Konkretisierung hat die Verwendung des Begriffs »Zukunft« erst ihren Sinn, wenn sie die Abschaffung von Normen zeitlich fixiert. In diesem Fall müsste man von einem unlösbaren Problem sprechen, einem Paradoxon.4)

Let’s do it tomorrow: Zukunftsfähigkeit

Ein Ableger der Zukunftsbeschwörung ist die »Zukunftsfähigkeit«. Das Land, die Wirtschaft, die Infrastruktur, die Bildung, die Stadtplanung, die Architektur: Alles soll »zukunftsfähig« sein oder gemacht werden. Ontologisch muss man festhalten, dass Land, Wirtschaft, Infrastruktur, Bildung, Stadtplanung und Architektur auf jeden Fall eine Zukunft haben. Aber welche? Verbindliche Aussagen dazu fehlen in öffentlichen Diskursen immer öfter, weil eine Festlegung auf Konkretes angreifbar macht, eventuell missliche Konsequenzen zeitigen würde, verifizierbar oder zumindest evaluierbar wäre. Damit sind wir wieder bei der Diskrepanz zwischen Intention und Handeln beziehungsweise Handlungsfähigkeit. Täglich erreichen mich E-Mails, in denen es um die Zukunftsfähigkeit eines Bauunternehmens, einer Architektur, einer Stadtentwicklung geht. Um Kompetenz in der Gestaltung oder Problemlösung der »Zukunft«. Besonders emsig tritt die Fraunhofer-Gesellschaft mit dem Begriff »Zukunft« in Erscheinung, allein die Website ihres »Innovationsfeldes Morgenstadt« weist in der Textsuche 2.097 Ergebnisse für »Zukunft« aus, wobei es um »new work« und Trendstudien, um die »Zukunft von Wissensarbeit« und vieles mehr geht.5) Statt von Workshops spricht man neuerdings von »Zukunftsstudios«.6) Die mit »Zukunft« verbundenen Begriffe beschreiben zunehmend eine Ebene des Unkonkreten, welche die Gegenwart von ihren nachvollziehbaren Folgen abkoppelt. Der abstrakte Zeitmodus »Zukunft« erlaubt wortreiche Auslassungen, in denen die Gegenwart als Verursacherin nicht vorkommt. Obwohl Zukunft als Zeitmodus durchaus eine Richtung zugeschrieben werden kann, die mit Ursache und Wirkung korreliert. Wo diese Korrelation keine Rolle spielt, ließe sich je nachdem von grobem Unfug oder faszinierender Utopie reden.

Wasserstand (Bild: Ursula Baus)

Wasserstand (Bild: Ursula Baus)

Heute, morgen, übermorgen

In politischen Verlautbarungen steht Zukunft leider immer in einem lähmenden Zusammenhang mit den Zeitspannen der Legislaturperioden. Diese Krux verschlimmert sich immer mehr, weil die Planungs- und Realisierungsprozesse in einem überbürokratisierten Land lang und länger werden. Es gibt also auch deswegen viele Gründe, die den Begriff »Zukunft« in unserer Alltagskommunikation zu einer lächerlichen Vokabel schrumpfen lassen. »Zukunft« und ihre Begriffsableger scheitern an ihrer Unverbindlichkeit. Die Sprache erlaubt, allein mit der Futur-Form von Verben Konkretes zu kommunizieren. Hinzu kommen muss gerade für die Verwendung des Begriffs »Zukunft« neben einer verbindlich qualifizierenden eine quantifizierende Auskunft, die über einen bestimmten Zeitpunkt informiert, der ebenfalls verbindlich bleibt.


1) Joachim Ringelnatz

3) Starkregen und seine Folgen können jeden treffen. Thomas Hummel im Gespräch mit Heiko Sieker. In: Süddeutsche Zeitung, 5. Juli 2022

4) Peter Janich: Zeit. In: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie 4, Stuttgart/ Weimar 1996, Seite 828