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Wer liest denn noch? Wenn Verleger schon kundtun, dass ihre Kinder mutmaßlich nie ein Buch in die Hand nehmen werden? Zeichen und Symbole werden umso wichtiger, der „iconic turn“ ist bereits generationsübergreifend verinnerlicht. Worauf kommt es dabei an? Und was heißt das für die Gestaltungslehren? Zwei Bücher belegen, dass Gestaltung eine intellektuelle Dimension und Kraft hat, die es immer wieder zu erneuern gilt.


Sehen und Verstehen

Ein Hand- und Grundlagenbuch soll es sein. Tatsächlich spielen Zeichen in allen Kulturkreisen und in mehr oder weniger neuen digitalen Kommunikationsweisen inzwischen eine wichtigere Rolle als die über Jahrtausende entwickelten Schriftzeichen welcher Art auch immer. Dass diese aus „Bilderschriften“ hervor gegangen sind, weist auf eine grundlegende menschliche Leistung: die Abstraktion. Inzwischen geht es wieder zurück von abstrahierten Schriftzeichen zu gegenständlichen Icons. Diese Icons „liest“ man heute nicht mehr, man muss sie visuell sofort in den inhaltlichen Aussagen im Sinne nonverbaler Kommunikation verstehen. Das Buch bietet einen theoretischen und einen gestaltungspraktischen Teil, richtet sich primär an Gestalter und reicht in Aufgabengebiete hinein, die den öffentlichen Raum betreffen. Es geht dabei weniger um Markenzeichen als um Zeichen, die in praktischem Kontext nützlich, das heißt: verständlich sein müssen. Wer stand nicht schon mal vor einer mit Zeichen bestückten Hinweistafel und verstand – nichts? Um verständliche Zeichen zu entwickeln, müssen natürlich auch Normen her, denken wir an Notausgang-Markierungen und ähnliches. Der Autor erklärt auch unmissverständlich, dass zu Beginn in bestimmten Fällen immer zu klären ist, ob „ob es Sinn ergibt, hier Bildzeichen zu nutzen oder es ggf. besser nur typografisch zu lösen“. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen Ikonogramm, Piktogramm, Kartogramm, Diagramm, Ideogramm, Logogramm, Typogramm, und Phonogramm – verschiedene Abstraktionsgrade sind hier augenfällig. Wer erinnert sich nicht an Otl Aichers Werk für die Olympischen Spiele 1972? Sprachbarrieren müssen in solchen Fällen überwunden werden, so lassen wir uns nun von der Olympiade in Paris überraschen. Dass in der Entwicklung von Icons auch Stümper arbeiten, weiß jeder, der schon mal eine gezeichnete Selbstbau-Anweisung befolgen musste.
Für ArchitektInnen lohnt der Blick ins Buch, sobald öffentliche oder halböffentliche Räume zu gestalten sind, also beispielsweise Orientierungen in Schulen, Kigas, Kitas, Krankenhäusern, Ämtern und so weiter passend zur Architektur zu wählen oder zu entwerfen sind.


Denken und Gestalten

Um Gestaltungsfragen geht es auch in der zweibändigen, sehr schön gemachten Publikation von Alfredo Häberli, in welcher der 1964 in Buenos Aires geborene Designer sein autobiografisches (Berufs-)Gedächtnis erkundet und notiert. Und zwar ausschließlich verbal. 1977 kam Häberli in die Schweiz, wo er an der HfG Zürich studierte und sich 1999 nach praktischen Tätigkeiten selbständig machte. Im schwarz-violett betitelten Band geht es fast tagebuchartig um den Berufsweg und die vielen Persönlichkeiten, Begegnungen und Erfahrungen, denen Alfredo Häberli so vieles verdankt. Im grün beschrifteten Band geht es um 30 ernste oder heitere, beiläufige oder grundsätzliche Fragen, die Häberli von unterschiedlichen Zeitgenossen gestellt bekam und die er gewissenhaft beantwortet. Hans Ulrich Obrist fragte zum Beispiel: „Welches sind deine nicht realisierten Projekte?“ Oder Anniina Koivu: „Welcher Superheld würdest Du gerne sein? Und warum?“ Das alles liest man gern und mit Gewinn, wenn man auch seine – ja, sagen wir’s: typisch schweizerischen Einrichtungs- und Gebrauchsgegenstände aller Art im Kopf hat. Diese beiden Lesebücher sind allen zu empfehlen, denen Gestaltung mehr bedeutet als marktgängiger Krimskrams und Orientierung im Raum mehr als Baumarkt-Sticker.