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Grafikdesign: Wiegand
von Hartmann (WVH)
Die Ausstellung „The Gift“ im Architekturmuseum der Pinakothek der Moderne befasst sich mit den politischen und sozialen Motivationen architektonischer Geschenke, mit dem Verhältnis zwischen Gönner:in und Beschenkten sowie den damit verbundenen Verpflichtungen zwischen damals und heute. Der Spannungsbogen zwischen „gut gemeint“ bis indirekter oder direkter Machtausübung der Wohltäter:innen, wie es der Untertitel von „The Gift“ mit „Grosszügigkeit und Gewalt in der Architektur“ formuliert, zieht sich als roter Faden durch die gesamte Ausstellung.

Kuratiert wird „The Gift“ von Damjan Kokalevski, Architekt und Postdoktorand am Architekturmuseum, und von dem Architekturhistoriker Łukasz Stanek, vom Taubman College for Architecture & Urban Planning der University of Michigan, dessen eigene Forschung zum osteuropäischen Einfluss in Westafrika nach den Unabhängigkeitserklärungen und in Zeiten des Kalten Krieges in die Ausstellung einbezogen ist. Zusammen mit einem interdisziplinären Team aus lokalen Forscher*innen, Architekt*innen, Fotograf*innen und Filmemacher*innen zeichnen sie anhand von vier Fallstudien aus vier Kontinenten die Hintergrundgeschichten und das Vermächtnis der architektonischen Wohltaten nach.

Zu Beginn erhalten die Besucher*innen einen kurzen, einleitenden Abriss zur wechselhaften Beziehung zwischen dem Erwachen der Philantrophie und dem Aufstieg beziehungsweise Ausfall des Sozialstaates seit der Industrialisierung bis in die 1980er-Jahre. Zu vorangestellten Forschungsfragen gesellen sich großformatige Bilder gebauter Referenzen. Ohne eine Konkurrenz zu den im Mittelpunkt stehenden Fallstudien aufzubauen, bleiben hier die Architekturbeispiele, wie die Cité de Refuge von Le Corbusier und Pierre Jeanneret, plakativ im Bilderkaleidoskop verortet.

Die darauffolgenden vier Fallstudien reihen sich in den langgestreckten Räumen des Architekturmuseums als Enfilade nacheinander auf und bilden jeweils einen thematischen Schwerpunkt innerhalb der Raumsequenz. Die Ausstellungsarchitektur selbst besteht aus „geschenkten“, gebrauchten Materialien oder aus vorherigen Ausstellungsobjekten, die zu Raumgittern neu konfiguriert und mit den Exponaten (Pläne, Modelle, Tablets, …) wie ein Regal mehrseitig bestückt werden. In unterschiedlicher Konstellation zueinander bespielen sie die Sequenzen und geben zusammen mit den raumhohen Vorhängen aus Kunststoffgewebe alter Bauzaunverhüllung eine eigene Dramaturgie und Anmutung.

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Archivbilder der vier Städte, die als Fallstudie in der Ausstellung ausführlich vorgestellt werden. Oben links: Universal Hall in Skopje, Nord-Mazedonien, 1964; oben rechts: KNUST University Campus in Kumasi, Ghana, 1957
Unten links: Microdistrict III und IV in Ulaanbaatar, Mongolei, 1986; unten rechts: Highway 101 in East Palo Alto, CA, USA, 1937.

Vier Arten des Schenkens

Mit den vier Fallstudien arbeiten die Kurator*innen unterschiedliche Kategorien an architektonischen Geschenken heraus. Den Auftakt bildet „Das humanitäre Geschenk“ am Beispiel von Skopje. Die Stadt im ehemaligen Jugoslawien und Hauptstadt des heutigen Nordmazedoniens ist 1963 in großen Teilen einem verheerenden Erdbeben zum Opfer gefallen. In drei Teilen zeichnet das Forschungsteam die internationale Wiederaufbauhilfe aus über achtzig Ländern nach. Im Fokus steht neben dem neuen Siedlungsbau vor allem die Planungsgeschichte der sogenannten Universal Hall, einem kolossalen Rundbau mit weitsichtbarer Kuppel als gebautes Symbol internationaler Hilfe im Herzen der zerstörten Stadt. Nach Zerfall des Vielvölkerstaats in den 1990er-Jahren fristet jedoch das einstige Geschenk der Völkergemeinschaft einem tristes Dasein zwischen Leerstand und Zerfall. Die Frage in wessen Verantwortung eine mögliche Instandhaltung liegt oder ob es hierzu klärende Vertragswerke gibt, ist an diesem Beispiel virulent.

Unter dem Titel „Das Geschenk des Landes“ wird die zwiespältige Eigentumsfrage mit dem inbegriffenen Bodennutzungsrecht des Campusgeländes der Kwame Nkrumah University of Science and Technology in Kumasi, Ghana thematisiert. Obwohl die Entstehungsgeschichte des Campus bis zu den Anfängen der Unabhängigkeit Ghanas zurückreicht, ist das Konfliktpotenzial zwischen den beteiligten Akteur*innen bis heute präsent. Die Campusgebäude sind damals unter anderem von dem Architektenpaar Jane Drew und Maxwell Fry auf gepachtetem Grund realisiert worden. Die einstige, durch den ghanaischen Präsidenten verliehene Pacht an die britische Kolonialregierung ist später an die Universität übertragen und als „Geschenk“ verstanden worden. Aus diesem Verständnis heraus agiert die Universität als Impulsgeberin städtebaulicher Entwicklung und bestimmt das Machtgefüge zu den Pächter*innen des vermeintlichen Staatseigentums.

Die dritte Kategorie „Das diplomatische Geschenk“ befasst sich mit dem Wandel von Architekturimporten als Generationenerzählung. Länder wie die Mongolei stehen in den 1960er-Jahren in ihrer gesellschaftlichen und baulichen Entwicklung unter Einfluss chinesischer und sowjetischer Vorherrschaft. So werden beispielsweise in der Stadt Ulaanbaatar die Einwohner*innen aus ihren traditionellen Zeltbehausungen, aus den Gers oder Jurten, in die gestifteten Plattenbauten der Sowjetunion umgesiedelt. Während die Bewohner*innen der ersten Stunde den Sowjetbau als Geschenk des Fortschritts (in Ausstattung und Herstellung) annehmen und achten, fühlen spätestens die Enkel*innen der dritten Generation sich dieser Bindung zum ehemaligen Bruderstaatsgeschenk nicht mehr verpflichtet, sondern betrachten es als genuinen Teil ihrer eignen Identität.

„Das philanthropische Geschenk“, als vierte und letzte Fallstudie, beleuchtet anhand von drei Projekten die Praktiken unterschiedlicher Milliardär:innen und ihrer Stiftungen, wie die des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg mit der Chan Zuckerberg Initiative. Als Experimentierfeld des Philanthrokapitalismus dient die kalifornische Stadt East Palo Alto im Silicon Valley. Die Kehrseiten der philanthropischen Geschenke liegen in der unzureichenden Transparenz bis zum Demokratiedefizit in Form von Mitbestimmung und Teilhabe. East Palo Alto stellt ein höchst aktuelles Beispiel eines sozialen Brennpunkts dar, wie Stadtentwicklung unter dem Deckmantel der Gemeinwohlverpflichtung in Abwesenheit des Staates von Tech-Konzernen eigennützig ausgeübt wird.

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Die vier Städte heute. Oben links: Universal Hall in Skopje, N. Mazedonien, Foto: Mila Gavrilovska
Oben rechts: KNUST Universitätscampus in Kumasi, Ghana, Foto: Joe Cann
Unten links: Microdistrict III und IV in Ulaanbaatar, Mongolei; Unten rechts: Bloomhouse, Emerson Collective in East Palo Alto, CA, USA.

Forschung und aktuelle Bezüge

Am Ende der Enfilade lädt die Ausstellung in einen sogenannten „Forschungsraum“ ein, welcher zum einen von Studierenden der University of Michigan zum Thema „A Campus of Philantrophy“, zum anderen von Studierenden der Technischen Universität München unter Leitung von Andres Lepik zur Frage „What about Germany?“ kurartiert worden ist. Die Seminarergebnisse dokumentieren die Suche nach gebauten Geschenken in ihrem jeweiligen Umfeld beziehungsweise in ihren Ländern. In „What about Germany?“ werden neben dem Amerika-Haus am Münchner Karolinenplatz vornehmlich Projekte aus der Nachkriegszeit in Berlin, wie die Kongresshalle von Hugh Stubbins oder wie das British Council in Köln von Wilhelm Riphahn, kurz porträtiert. Die Projekte der Alliierten, die im Zuge des Wiederaufbaus oder in Zeiten des Ost-West-Systemwettkampfs in der damals noch jungen Bundesrepublik errichtet wurden, bleiben ohne Nachbetrachtung, wie in den Fallbeispielen zuvor. Leider kann der inhaltliche und räumliche Abschluss des „Forschungsraums“ nicht ganz überzeugen. Mag einem der aktuelle Umgang mit den historischen Projekten vernachlässigbar für diese Diskussion erscheinen, so wäre spätestens jetzt ein Denkanstoß auf eine gegenwärtig geführte Debatte durchaus sinnfällig gewesen – what about Humboldt Forum und seine ominösen Fassadenschmuckspenden?

Die Ausstellung lohnt einen Besuch, weil die ausgewählten Beispiele nicht allein im Historischen verhaften bleiben, sondern stets den Gegenwartsbezug herstellen. Die Fallstudien enden auch nicht in einer Stilanalyse zwischen Tropical Architecture bis Sowjetmoderne oder einer Analyse von gebauten Machtinsignien – die eventuell nur Fachleute in den Feinheiten zu unterscheiden wissen. Vor allem die Interviews mit den Beschenkten/Betroffenen als Oral-History-Videomitschnitt sind interessant, aufschlussreich und benötigen beim Besuch der Ausstellung ein großzügiges Zeitkonto.

Obwohl das Schenken im Rahmen der aktuelle Stimmungs- und Weltlage, wie zum Beispiel Chinas geopolitisches Engagement und gebaute Wohltaten in Afrika indirekt und leise mitschwingen, finden sie keine direkte Referenz in der Ausstellung – geschenkt. Für den fortführenden Diskurs zeigt sich die Ausstellung dennoch anschlussfähig.


The Gift – Stories of Generosity and Violence in Architecture
Grosszügigkeit und Gewalt in der Architektur >>>
Architekturmuseum der TUM in der Pinakothek der Moderne, bis zum 8. September 2024
Partner: University of Michigan in Ann Arbor, USA
Online-Publikation: www.e-flux.com/architecture/the-gift/
Kuratoren: Damjan Kokalevski, Łukasz Stanek
Ausstellungsdesign und Forschung zu deutschen Fallstudien: Andjelka Badnjar Gojnić
Grafik Design: Wiegand von Hartmann (WVH), München