Optimist zu sein, mag ein Pflicht sein, wie es Karl Popper behauptete. Eine leichte ist es im Moment sicher nicht. Auf der Suche nach Quellen, die den Optimismus noch stärken könnten, muss auch analysiert werden, was diese Quellen zum Versiegen bringt. Etwa das Festhalten an den gewohnten Wegen, die aus der Krise führen sollen, obwohl sie dafür bislang untauglich waren. Das Beispiel des bezahlbaren Wohnraums illustriert das sehr gut.
Es ist zum Verzweifeln. Gasförderung inklusive entsprechender Abhängigkeit von Despoten, erhöhte Pendlerpauschale statt verlässliche finanziertes Deutschlandticket, Agrardieselsubvention statt Tierwohl. Eine Regierung, die mit den Stimmen der AfD und kalter Unmenschlichkeit den Familiennachzug aussetzt, mit teurem Populismus europäische Kooperation in Sachen Migrationspolitik untergräbt und damit auch Wahlhilfe für Karol Nawrocki geleistet hat, den nächsten Rechtspopulisten, der nun ein hohes Staatsamt bekleidet. Dass man schon jetzt sicher sein kann, dass Jens Spahn trotz aller Unverfrorenheit, mit der er sein Amt für persönliche Vorteile ausgenützt hatte, ungeschoren davon kommen wird, ist da fast schon nur noch eine bittere Randnotiz. Ungerührt von Kriegen, sich verschärfenden Folgen des Klimawandels und einer gefährdeten Demokratie werden Entscheidungen getroffen, als gäbe es keine Welt jenseits der Landesgrenzen, wenn man nur die Grenze besonders scharf zieht. Als gäbe es kein Morgen. Man fragt sich, wie lange es ein Morgen überhaupt noch gibt.
Das Ende der Idylle und die Flucht in die nächste
Da mag es nachvollziehbar sein, wenn man nicht nur aufgibt, daran zu glauben, dass es irgendeine steuernde Kraft im Staat gibt, der eine sozialökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft gelingen könnte. Dass man sich abwendet von Politik, sich in Trotz oder in den überschaubareren Kreis des unmittelbaren Wirkungskreises zurückzieht. Und das sind ja nicht nur die, die sich resigniert ihrem Gärtchen in der Vorstadt zuwenden, sondern auch solche Kaliber wie Harald Welzer. Der schrieb kürzlich in der taz futurzwei vom Ende der Idylle, in der er sich auch als Kritiker eingerichtet habe: „Die sozialstaatlich und demokratisch gepolsterte kapitalistische Idylle, wie sie in Deutschland etwa die Ära Merkel verkörperte, bot ja doch für die meisten Mitglieder der Gesellschaft erhebliche Lebenssicherheit und viel Grund zum Einverstandensein“, so Welzer. Der Rahmen in dieser „Idylle“ war, so ließe sich das vielleicht zusammenfassen, noch stabil genug, um sich der Hoffnung hinzugeben, Kritik und Engagement könnten die Stabilität dieses Rahmens sichern. Doch diese Stabilität gebe es nicht mehr. Bis hierhin kann ich Welzer folgen. Überrascht hat mich aber seine „persönliche Lösung“ – „unten anzufangen und mit jungen Menschen Praxisprojekte auszubaldowern, in denen man intervenierend lernt, wie man Handlungsspielräume nutzen kann, die es nur in Demokratien gibt.“
So sehr ich glauben möchte, dass dies nicht nur eine persönliche Lösung ist, sondern eine, die auch für andere in Frage kommen könnte, so sehr beunruhigt sie mich. Es beunruhigt mich, wenn kluge Köpfe suggerieren, die Zerstörung der einen Idylle lasse sich mit der Flucht in eine andere kompensieren. Und vor allem beunruhigt mich, dass die Antwort auf die dystopischen Zukunftsaussichten in einem Verhalten bestehen soll, das genau das stärkt, was sie zu bekämpfen vorgibt. Der kleine Hinweis, dass es gelte, Handlungsspielräume zu nutzen, „die es nur in Demokratien gibt“ stellt immerhin die Frage, welche Instanz es ist, die Demokratie und Handlungsspielräume gewährt. Gerade dann, wenn ich den Frust über Staat damit beantworte, ihm die individuelle Handlung entgegenzusetzen, stärke ich den Glauben daran, dass dies eine Alternative ist. Und suggeriere, dass wir den Staat nur brauchen, um die Handlungsspielräume zu gewährleisten, innerhalb derer sich Praxisprojekte ausbaldowern lassen.
Illusionen und ihre Folgen
Das sind die gewohnten Fronten. Die zwischen dem zivilgesellschaftlichem Engagement hier und dem im besten Fall verkrusteten Staat, der von Bürokratie gelähmten öffentlichen Hand dort. Schon vor 30 Jahren hatte Friedrich Achleitner vor der Idealisierung des Kleinen und Überschaubaren gewarnt: „Die Ideologie des Kleinen ist verführerisch, die Illusion des Überschaubaren und Beherrschbaren steht der Dämonisierung ihres Gegenteils in nichts nach. (…) Offenbar ist der Mensch so strukturiert, dass er die größere Sicherheit in einem von im selbst beeinflussbaren Bereich glaubt. Wir steigen doch lieber ins eigene Auto als in den Jumbojet, da kann die Statistik hundertmal das Gegenteil beweisen.“ (1)
Alles weiter wie gewohnt: Neubau forte statt sorgfältig erarbeitete Erleichterungen für die Innenentwicklung. Ein hoher Preis für Bürokratieabbau.
Die Abgrenzungen vom Großen, Unüberschaubaren sind nicht so weit entfernt von einem Denken, das dem gleichen Misstrauen gegen die wuchernde Bürokratie den freien Markt entgegensetzt. Dem weniger Schranken gesetzt werden müssen, damit, zum Beispiel, nicht „jeder Vogel“ (Bundesbauministerin Hubertz) den Neubau eines Wohnquartiers verhindert. Nun hat man den bereits von der Vorgängerregierung geplanten Bau-Turbo verabschiedet und damit vermeintlich Bürokratie abgebaut. Schon im Januar 2025 war in einer Publikation des vhw festgehalten worden, „dass der § 246e BauGB-E vermutlich nur bei kleinen bzw. wenig komplexen Vorhaben oder Projekten, bei denen bereits viel Vorwissen besteht, durch den Verzicht auf ein Bebauungsplanverfahren zu einer tatsächlichen Beschleunigung führt.“ Die kleinteiligen Projekte der Innenentwicklung profitieren allerdings seltener, der „Bau-Turbo“ hilft hier wenig, da die Verfahrenserleichterungen „keine Lösung zum Umgang mit den teilweise divergierenden Zielen im Einzelfall bieten.“ Statt dessen hat man es leichter gemacht, neue Einfamilienhausgebiete auszuweisen und untergräbt weiter das Ziel, den Flächenverbrauch auf 30 Hektar je Tag zu beschränken. Dazu trägt unter anderem eine Änderung gegenüber dem Entwurf der Vorgängerregierung bei: Die Beschränkung auf angespannte Märkte wurde gestrichen. Selbst in einem Beitrag der FAZ, in dem das Gesetz prinzipiell begrüßt wurde, wurde das als Fehler bezeichnet. Alles weiter wie gewohnt: Neubau forte statt sorgfältige erarbeitete Erleichterungen für die Innenentwicklung. Ein hoher Preis für Bürokratieabbau.
Mythos Moloch Sozialstaat
Machen wir uns doch endlich klar: Neubau löst das Problem des bezahlbaren Wohnraums nicht, dem widersprechen alle empirischen Befunde der letzten Jahre. Die Mieten sind teuer wie nie, sie stiegen in den letzten Jahren in den angespannten Märkten völlig unabhängig von der Bautätigkeit – auch unter den CDU-geführten Regierungen. Mit Mietsteigerungen von drei bis fünf Prozent wird in den großen Städten derzeit gerechnet. Und es ist ja noch perfider, denn mit den Schritten der Vergangenheit, die uns heute belasten, werden nicht nur die Probleme der Gegenwart verschärft, sondern auch verhindert, dass die Fehler der Vergangenheit korrigiert werden. So hält man denen, die für den kommunalen Rückkauf von Wohnungen plädieren, entgegen, dass damit keine einzige neue Wohnung entstehe – und rechnet ihnen vor, wieviele neue Wohnungen man mit der Rückkaufsumme bauen könne. Dass für den Sozialen Wohnungsbau Belegungsrechte erworben werden müssen, taucht in dieser Bilanz zynischerweise nicht auf. In Hessen wurden unter der Regierung Koch die Büroflächen des Landes verkauft und zurückgemietet – und längst übersteigen die Kosten die Erlöse. Das Geld fehlt an anderer Stelle, die Ursachen des gegenwärtigen Elends bleiben bestehen. Und wie sollen die sogenannten Sickereffekte für bezahlbaren Wohnraum sorgen, wenn bei Neuvermietungen die Mietpreise angehoben werden, diese Mieten in den Mietspiegel eingehen und damit weiter höhere Mieten nach sich ziehen?
Machen wir uns aber auch noch etwas klar: Grundsätzlich entbürokratisiert wird in Summe nicht. Das Dienstwagenprivileg, die Pendlerpauschale, die Agrardiesesubvention: keine Entbürokratisierung weit und breit. Bürokratie wird nur dort abgebaut, wo damit Klientelpolitik betrieben werden kann. Das Allgemeinwohl steht dabei, naja, eher selten im Mittelpunkt. In der Generalkritik am überregulierten Gemeinwesen wird darüber aber gerne geschwiegen, denn es hieße ja einzugestehen, dass die prinzipielle Kritik am bürokratischen und übergriffigen Staat nicht stimmt. Und dass es nicht um Bürokratieabbau als Selbstzweck gehen darf, der immer gut ist, egal wo er betrieben wird, sondern dass er von den Inhalten her begründet werden und gerechtfertigt sein muss. Es steht ja nicht außer Zweifel, dass hier einiges verbessert werden kann. Man muss aber auch zulassen, dass die Inhalte dafür sorgen, dass Vorschriften und Regelungen bleiben.
So aber hat das Gerede vom Bürokratieabbau eine noch ganz andere Wirkung. Sie untergräbt das Vertrauen in den Sozialstaat. “Der Sozialstaat ist kein Zukunft fressender Moloch. Er ist die Basis des friedlichen Zusammenlebens unserer Gesellschaft“, so Udo Knapp. Und weiter: „In der Bundesrepublik setzen CDU und SPD dagegen lieber auf Sozialkürzungen, nehmen die Verschärfung der sozialen Unterschiede hin und propagieren eine spaltende Selbstverantwortungskultur“ – genau diese vermeintliche „Selbstverantwortungskultur“ ist ein wesentliches Charakteristikum des Neoliberalismus. Es ist so verinnerlicht, dass Vorschläge, das Bürgergeld zu kürzen, um die Wirtschaft zu stärken, zum politischen Standardrepertoire gehören.
»Die Kritik an einer ubiquitären, alles lähmenden Bürokratie ist für alle recht bequem. Die Bürokratie ist schlecht, die Bürokraten, das sind die anderen. … Doch dieses warme Gefühl hat seinen Preis.« Michel Küppers
Wie weit uns die Verunsicherung der Gesellschaft schon geführt hat, Stichwort AfD, ist bekannt und wird dennoch ignoriert. Denn die andauernde Kritik am Staat und dessen Bürokratie untergraben das Vertrauen an ein System, in dem diese Kritik formuliert werden kann. Die Kritik an einer ubiquitären, alles lähmenden Bürokratie, so Michel Küppers, „ist für alle recht bequem. Die Bürokratie ist schlecht, die Bürokraten, das sind die anderen. Wenn etwas nicht funktioniert, dann ist die Bürokratie daran schuld. Die Wut auf die Bürokratie eint uns. Doch dieses warme Gefühl hat seinen Preis. Wenn der Bevölkerung über Jahrzehnte ein Bürokratieabbau versprochen wird, der gar nicht eingehalten werden kann, führt das zu Frust und Enttäuschung. Der politisch angeheizte und institutionell verfestigte Bürokratieabbaudiskurs untergräbt systematisch das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates.“ Mit entsprechenden Folgen, die wir derzeit – siehe Einleitung zu diesem Beitrag – erleben. Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit wird zu Sache des Privaten, von NGOs und Stiftungen.
Neue Bündnisse
Bedroht ist damit nicht nur der immer weniger werdende bezahlbare Wohnraum. So kann es sein, dass es nicht mehr so lange dauert, bis auch der Handlungsspielraum, den es „nur in Demokratien gibt“ (Welzer) kleiner wird. Eingeschränkt wird er derzeit schon in der Kultur, in den USA auch in der Wissenschaft, die aber auch hierzulande schon lange in Richtung auf das Nützliche, weil Verwertbare hin optimiert wird. Die Räume für Zweifel, Unsicherheit, das Abwegige und Außergewöhnliche werden so kleiner – und damit auch die für eine Freiheit des Andersseins. (2) Nur allzu gut passt es ins Bild, dass auf dem Bundestag die Regenbogenflagge nicht mehr gehisst wurde.
Was aber ist zu tun? Wahrscheinlich ist es nun vor allem wichtig, die Gräben zu überwinden und die starren Fronten in Frage zu stellen. Solange Grüne und Linke sich um der eigenen Profilierung willen kritisieren, kann es keine Alternative zu den aktuellen Mehrheiten geben – die ja auch noch andere Koalitionen als die aktuelle zulassen. Aber über die Parteienlogik gilt es hinauszugehen und Verbündete auch dort zu suchen, wo man sie traditionellen Grenzziehungen folgend nicht suchen würde. Nur weil jemand Mitglied der CSU ist, muss er nicht teilen, was deren Vorsitzender vertritt. Wird in der Sache diskutiert, wie es das Konzept der Bürgerräte vorsieht, könnten Wege jenseits der parteipolitischen Räson gefunden werden – die Idee von Claus Leggewie einer „Konslultative“ ist hier ein konkretes Angebot. In manchen Gemeinderäten sind Bündnisse vertreten, die nicht der parteipolitischen Logik der Bundesebene folgen. Gegen die zersetzende Rhetorik zu wirken, die zu stärken, die ihr ein vereinendes Handeln entgegensetzen, daran zu arbeiten, Bündnisse auch im Maßstab jenseits des Lokalen zu bilden – keine leichte Aufgabe, das wissen alle, die am Rande des politischen Betriebs versuchen, etwa von der Notwendigkeit einer zukunftsfähigen Bodenpolitik zu überzeugen. Aber was ist die Alternative? Um eine Chance zu haben, so Naomi Klein und Astra Taylor in den Blättern für deutsche und internationale Politik„ müssen wir eine rebellische, offenherzige Bewegung aus Menschen bilden, die diese Erde lieben: treue Anhänger dieses Planeten, seiner Menschen, seiner Geschöpfe, und der Möglichkeit einer lebenswerten Zukunft für uns alle.“ Lassen wir es nicht zu, dass die Gewohnheit die Vernunft einschläfert.
(1) Friedrich Achleitner: Region, ein Konstrukt (1994); in: ders.: Region, ein Konstrukt? Regionalismus, eine Pleite?, S. 101–111; Basel, Boston, Berlin, 1997; hier S. 101
(2) Hierzu auch: Auf die Schnittstellen kommt es an, FAZ vom 24. April 2025, Armin Nassehi im Gespräch. Dort äußert er unter anderem: „Die Uneindeutigkeit ist eine Stärke der Wissenschaft und keine Schwäche.“ Und etwas später: „Wir könnten die Universitäten wiederentdecken. Universitäten wären die orte, an denen wir einüben, mit Differenz umzugehen.“