oben: Pileolus mit Farbwechsel als Indiz für Machtwechsel (Bild: Ursula Baus)
„Nie wieder Krieg“
Mit der Wahl des neuen Papstes, Leo XIV, entschied das Konklave eine bemerkenswert deutliche Werteorientierung der Kirche. Mit seinem Namen setzt der Papst am Vermächtnis Leo XIII (1810-1903) an, der als „politischer Papst“ 1891 die erste „Sozialenzyklika“ der römisch-katholischen Kirche veröffentlichte: Rerum Novarum1). Deutliche Kapitalismuskritik dürfte also von Leo XIV genauso zu erwarten sein wie eine friedensorientierte Einstellung: Gleich die erste Messe begann er mit dem Appell: „Nie wieder Krieg“. Julia Klöckner (Christlich Demokratische Union) wird sich zurückhalten müssen mit ihrer Auffassung, die Kirche solle sich aus der Politik raushalten. Und Friedrich Merz als sich auf Gottes Hilfe berufender Kanzler dürfte in der Innen- und Außenpolitik auch mal hören, was der Papst sagt. Denn in einer durch Wirtschaftsinteressenvertreter geprägten Regierung kann die sozialethische Stimme der Kirche nicht laut genug sein – bei aller Kritik an ihren eigenen, gravierenden Fehlern in der Kirchengeschichte.
Kanzlerwahl und -qual
Bemerkenswert beim Machtwechsel im Kanzleramt ist auch ein Novum, das für heftige Diskussionen sorgt: Wer waren die 18 „Abweichler“? Nun ist die Kanzlerwahl eine Persönlichkeitswahl – und sie ist mit guten Gründen vom Gesetzgeber als geheim festgeschrieben. Um diejenigen zu schützen, die frei wählen können müssen, ohne Repressalien zu befürchten. Bei nicht geheimen Wahlen hat sich der gesetzlich nicht vorgesehene „Fraktionszwang“ bereits eingeschlichen – in dem sich durchaus eine Schwäche des Parteiensystems zeigt, das die Demokratie immer weniger zu tragen in der Lage ist. Denn was heißt demokratiepraktisch „Zwang“? Erinnern wir uns an Zwangsjacken und Zwangsarbeit. Fraktionszwang parlamentarisch zu verlangen, ist ein Hinweis darauf, dass politische Argumente und Entscheidungsperspektiven eigene Parteimitglieder nicht überzeugen.
Wer nun Friedrich Merz eingedenk seiner Kapriolen, Wankelmütigkeit und Wortbrüche beim Umgang mit der AfD und der mit 500 Mrd Schulden „erledigten“ Schuldenbremse für unzuverlässig hält, muss ihn nicht zum Kanzler wählen. Und auch wenn es andere Gründe für einzelne Abweichler gegeben haben sollte: Eine rechtlich geheim angesetzte Wahl ist geheim und muss es bleiben.
Die Zuschnitte und Besetzung der Ministerien mit jedem Regierungswechsel neu zu konzipieren, ist teuer und zeitraubend, im wesentlichen zudem der Tatsache geschuldet, dass Posten und Pöstchen versprochen waren und zudem mit Länderproporz vergeben werden müssen.
Machtwechsel
Immerhin: Die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) wand ihrem Vorgänger Robert Habeck (Grüner) bei der Amtsübergabe eine Art Lorbeerkranz, was als Highlight politischer Kultur benannt wird.2) Anerkennung der Leistung politischer Gegner sollte jedoch demokratiepraktisch selbstverständlich sein. Vielleicht ist es Katherina Reiche als „Quereinsteigerin“ zu danken, dass sie noch nicht erstarrt ist in parteipolitisch zementierter Denk- und Redeweise und Robert Habecks Krisenmanagement anerkennen kann. Es wird sich zeigen, ob dieser einsichtigen Rhetorik in ihrem Ministerium auch einsichtiges Handeln in dem Sinne folgt, dass Klimaschutz und Umweltfragen eine Rolle spielen werden. Am Tegernsee beim Erhard-Gipfel klang es bei ihr aber so, dass vor allem Klimaschutz in den Hintergrund rücken wird.3) Für Stadt- und Architekturentwicklungen sind diese inhaltlichen Prämissen von eminenter Bedeutung. Denn Politik wird mit Geld gemacht. Insofern war es bei der „Ampel“ völlig richtig, den Klimaschutz ins Wirtschaftsministerium zu verlagern.
Verkehr, Auto, Schiene
Mit der Bahn wird erstmal „mittelfristig“ etwas angepeilt, beim Straßenbau soll es sofort losgehen, Was sonst. Autolobbyarbeit zeitigt in den CDU/CSU-Kreisen mit allen vorgestrigen Vorstellungen von umweltschonender-, alters- und jugendtauglicher, also öffentlicher Mobilität ein Desaster für die seit Jahrzehnten eingeforderte Verkehrswende. Das beweist einmal mehr die Autolobby in Brüssel: Die Grenzwerteinhaltung ist um drei Jahre verschoben. Wenn Autohersteller die vorgeschriebenen Verminderungen bei CO2-Emissionen bis 2025 nicht erreichen – bezogen nicht auf Einzelfahrzeuge, sondern „Flottengrenzwerte“ –, müssen sie keine Strafe mehr zahlen. Die elendige Vokabel „Technologieoffenheit“ wird wieder vorgeschoben, um alles beim Alten zu lassen und nicht das Geringste von Autoherstellern im Sinne unternehmerischer Leistung zu fordern. Schamlos vermeldet der Verband der Automobilindustrie (VDA): „Politisches Handeln bedeutet, nicht nur Ziele zu setzen, sondern auch deren Erreichung zu ermöglichen.“ Haben denn die Hersteller noch andere unternehmerische Aufgaben als Gewinne einzustreichen und gegebenenfalls beim Staat nach Förderung zu rufen? Sie sind es doch, die etwas politisch Erstrittenes „erreichen“ müssen!
Es scheint zudem nur eine Frage der Zeit zu sein, bis das Verbrennerverbot 2035 dank der Autolobby gekippt wird.
Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen
Es wird beim neuen Ministerienzuschnitt kein Infrastrukturministerium geben, in dem mit Verve, Verstand und Effizienz die infrastrukturelle Erneuerung des Landes als auch stadtplanerisch und architektonisch relevante Aufgabe begriffen und gelöst wird. Patrick Schnieder (SPD) darf sich mit Verkehrsthemen rumschlagen, wobei es ein Treppenwitz der Geschichte wäre, dass beim modernsten Bahnhof der Republik – in Stuttgart – das Projekt „Digitaler Knoten Stuttgart“ höhere Kosten und weitere Verspätungen verursachen könnte; wenn er überhaupt kommt.4) Karsten Wildberger als Leiter des Digitalministeriums bekam von Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst schon mal deutliche Ansagen, worauf es bei der Digitalisierung nun ankomme.5)
Verena Hubertz (SDP) ist neue Bauministerin. 37 Jahre jung, hat sie sich Meriten primär in Kitchen-Influencer-Kreisen erworben. Sie war auch im Bau- und (Quelle) Ausschuss tätig. Bei Linkedin stellt sie sich nun, durchaus mit Influencer-Erfahrung, vor.6) Es beginnt mit üblichem Erstaunen und Dankesbekundungen, bis es zur Sache geht. Ich zitiere:
„Ich weiß, Bauen und Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. Es gibt viele Probleme dort zu lösen, und deswegen habe ich auch gesagt: Die Bagger müssen rollen, ob bei den Kitas, den Brücken oder den Häusern. Und all das will ich mit Kreativität und auch Startup-Spirit auf den Weg bringen. Ich freue mich sehr auf alles, was jetzt kommt, und darauf, dass ihr mich auf diesem Weg begleitet. (Rechnerkamera-Schwenk) Und dieses Büro hier, mein Fraktionsbüro im Bundestag, das gilt es jetzt erstmal auch umzuziehen, auszuziehen, und da wird noch einiges jetzt anstehen. Also: bis bald!“
Es folgen im Linkedin-Video Blicke vom neuen Büro nach draußen, unterlegt mit einem Sound recht einfältiger Kompositionsansprüche. Verena Hubertz präsentiert sich – und man nehme mir diese despektierliche Sicht nicht übel, ich weiß, wovon ich rede – wie eine PR-Kraft im Ministerium, das sie eigentlich leiten soll.
Und so sei hier fairerweise der offizielle Lebenslauf von Ministerin Hubertz auf der Website des Ministeriums benannt:
„Verena Hubertz wurde am 26. November 1987 in Trier geboren.
2007 Abitur (Gymnasium Konz)
2007 bis 2008 Bachelor-Studium in Betriebswirtschaftslehre an der Universität Trier, danach von
2008 bis 2011 Bachelor-Studium in Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Trier, danach von
2011 bis 2013 Studium Master of Science in Betriebswirtschaftslehre an der Otto Beisheim School of Management, Vallendar
2013 bis 2020 Gründerin und Geschäftsführerin von Kitchen Stories, einer internationalen und preisgekrönten App-basierten Kochplattform
seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestags für den Wahlkreis Trier
Stellvertretende Fraktionsvorsitzende für die Bereiche Wirtschaft, Bauen & Wohnen und Tourismus sowie Klima & Energie
seit 06. Mai 2025 Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen“.7)
Laudate administrationem
Sie wird Unterstützung im Einarbeiten und Macht Ausüben brauchen, und dann gilt es einmal mehr, auf die Verwaltungen zu schauen. Sie sorgen für jene Kontinuität, die alles am laufen hält, andererseits für ein Beharrungsvermögen, das den letzten Nerv der Neuerer raubt. Zugleich hat der Machtwechsel der letzten Wochen gezeigt, dass die Gesellschaft als ganze mit demokratischen Grundfesten hadert. So ist – schon aus logischen Gründen – unsere Zukunft nur sehr bedingt eine berechenbare Fortsetzung der Gegenwart.8) Grundfeste wanken – etwa auch, wenn „das Progressive als Daseinsform und Werthaltung gebildeter urbaner Mittelschichten sich nicht (…) länger zum verpflichtenden Muster erklären“ lässt.9)
Es wäre schon viel geholfen, wenn die oben angesprochene Partei-Rhetorik so weit in ihrer Unsinnigkeit erkannt wird, dass sie sich auflöst. Robert Habeck lieferte eine Idee davon, dass Sprache Denken ist und als solche zur Glaubwürdigkeit gehört. Begriffe wie Verantwortung, Herausforderungen usw. sind schlichtweg verhunzt worden und könnten aus jedem Politikersatz gestrichen werden. Da übernehmen alle Verantwortung – aber ohne Konsequenzen. Da stehen alle vor Herausforderungen – aber erkennen oder benennen keine konkreten Aufgaben.
Fachliche Kompetenz, das bestreitet niemand, ist in den Verwaltungen in hohem Maße zu finden. Und weil weder Kanzler Merz, noch Vizekanzler Klingbeil und andere Ministerielle je ein Ministerium geführt haben, sind sie auf Berater angewiesen, die nun keineswegs „neu“ sind. Aber in ihrer Qualifikation andere Schwerpunkte setzen als in der Ampelzeit: Einige Staatssekretäre und hohe Beamte sind dabei so kompetent wie flexibel.
Jedenfalls meldeten sich alle üblichen Bau- und Architektenverbände und -kammern und sonstige Lobbyisten subito mit besten Wünschen bei der neuen Ministerin und der Vermutung, dass man in drei bis vier Jahren sehen werde, was sie geschafft hat. Nun, das ist aus meiner Sicht nicht wirklich ein glaubwürdiger Vertrauensvorschuss. Die Personalie könnte vielmehr darin begründet sein, dass die Regierung dem Bauen wenig Bedeutung beziehungsweise hinreichende Selbstläuferqualitäten beimisst. Im „Organisationserlass“ stehen Wirtschaft, Finanzen, Inneres und Verteidigung weit vorn, das BMWSB erscheint irgendwie „unter ferner liefen“ mit dem Hinweis: „Dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen werden aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Naturschutz und nukleare Sicherheit die Zuständigkeiten für nachhaltige Stadtentwicklung und Strukturwandel sowie Umweltangelegenheiten der Raumordnung, des Baurechts und Flächenverbrauch übertragen.“10)
Tatsächlich lässt sich mit der Personalie Hubertz noch nicht ahnen, wie das Bauen in Deutschland politisch in den nächsten vier Jahren gesteuert wird. Mit Bagger Rollen lassen ist es nicht getan.
2) auf Youtube, ab Minute 32:00, vor allem ab Minute 35:00: https://www.youtube.com/watch?v=LRUKr99gLz4
4) aktuell: https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/stuttgart/stuttgart21-bahnbaustellen-zugausfaelle-rekordjahr-2025-100.html
6) https://www.linkedin.com/search/results/all/?fetchDeterministicClustersOnly=true&heroEntityKey=urn%3Ali%3Amember%3A370986034&keywords=verena%20hubertz&origin=RICH_QUERY_TYPEAHEAD_HISTORY&position=0&sid=O2H
7) https://www.bmwsb.bund.de/Webs/BMWSB/DE/ministerium/ministerin-und-hausleitung/ministerin-und-hausleitung-node.html
8) siehe: Thomas E. Schmidt: Alles auf den Kopf. In: DIE ZEIT No 19, 8. Mai 2025
9) ebda.
10) Punkt XIV: https://www.buzer.de/BKOrgErl.htm