• Über Marlowes
  • Kontakt

Krötenwanderung

2402_SL_ch_Baustelle_2

Bauen ohne Sinn, ohne Verstand, ohne Konzept. Mit freundlichen Grüßen aus Berlin. (Bild: Christian Holl)

Das Jahr hat kaum begonnen, da muss man schon befürchten, dass der wohnungspolitische Supergau kommt. Vorbereitet Ende 2023, steht ein neuer Gesetzentwurf zur Diskussion, der fast aller Bau- und Planungskultur Hohn spricht, auch Klima- und Umweltfragen werden ignoriert. Der Vorschlag für einen neuen §246e im Baugesetzbuch wird aller Voraussicht nach nicht einmal für das sorgen, was man sich von ihm verspricht: bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Vielleicht muss man für gute Nachrichten auch selbst etwas tun. Insofern wundert es nicht, dass das Jahr 2023 im Rückblick als kein besonders gutes Jahr empfunden wird. Es war wieder einmal das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichungen, wie schon 2018, 2014 und 2000. Kriege, Krisen und eine Regierung, der der Kompass verloren gegangen zu sein scheint. Und nicht nur der Regierung. Man nehme etwa die diversen Entgleisungen von Friedrich Merz, unter denen die von den Geflüchteten, die den Deutschen die Zahnarzttermine wegnehmen, noch die am leichtesten zu widerlegende, aber auch dreisteste ist. Solche Sprüche wirken, sie verschärfen das ohnehin schon belastende Klima der Fremdenfeindlichkeit. Aber damit sind solche Äußerungen noch nicht ausreichend bewertet. Denn sie sollen nicht nur wirken – der Kanzler, der „endlich in großem Stil abschieben“ will, ist ja nicht besser – sie zeigen, dass das Gift der AfD und des Rechtsextremismus wirkt. Das Gift wirkt, weil viel zu lange der sachorientierte Umgang mit der Zuwanderung umschifft und ausgesessen wurde. Wenn man möchte, dass die Menschen hier bitte deutsch zu sprechen hätten, muss man ihnen die Angebote machen, damit sie es lernen können. Dann muss man in Bildung und in Schulen investieren, Strukturen aufbauen, die denen, die hierher kommen, eine Chance geben, das zu erfüllen, was man von ihnen erwartet. Denn wir brauchen sie doch: „Wir brauchen Flüchtlinge, um unseren Wohlstand zu erhalten“ konnte man in der FAZ am Sonntag vor Weihnachten lesen. In diesem Fall ging es um den Postversand, aber genauso gut kann man sich in anderen Branchen umhören. Das Wort Fachkräftemangel sollte nur noch der in den Mund nehmen, der auch darüber klagt, dass wir es uns meinen leisten zu können, ausgebildete und integrierte Menschen abzuschieben. Von denen, die sich gerne integrieren wollen und die gerne eine Ausbildung machen würden, ganz zu schweigen.

Ohne Konzept

Es fehlt eine Vorstellung, wie man konkret agieren will – und so wird schwadroniert, polemisiert, reagiert. Das ist auf anderen Politkfeldern genauso. Dass Klimapolitik kein Vodoo-Zauber ist, dass man sie als Ganzes betrachten muss, hat Petra Pinzler in der ZEIT dargelegt: Der Regierung sei der Mut verloren gegangen, „nicht mehr nur in immer umstritteneren Einzelmaßnahmen zu denken, sondern als Gesamtkonzept – in dem gemeinsam über Kosten und Nutzen, Belastungsgrenzen, Gerechtigkeit und eine alles überwölbende Erzählung nachgedacht wird.“ Aber es ist nicht nur Mutlosigkeit. Wir erleben, wie mit einer bemerkenswerten/erschütternden/beängstigenden Ignoranz der fachlichen Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen wird. Dabei wäre es gerade sie, die die Argumente für die „alles überwölbende Erzählung“ liefern könnte – gerade weil sie es erlaubt, sachlich zu bleiben. So aber schliddern wir sehenden Auges in weitere Krisen. Die Zuwanderung macht so auch deswegen Angst, weil ihr keine Wohnungspolitik zur Seite steht – womit wir beim nächsten Politikfeld sind, für das kein Gesamtkonzept in Sicht ist, keine Vorstellung davon besteht, wohin man steuern möchte.

2402_SL_ch_Baustelle

Es wird schon irgendwie gut werden, wenn nur irgendwie viel gebaut wird. Es ist zum Verzweifeln. (Bild: Christian Holl)

Auch hier werden wieder einmal die großen Keulen geschwungen, die davon ablenken, dass dieses Gesamtkonzept fehlt. Ein Gesetzentwurf des Bundesbauministeriums vom 14. November sieht einen neuen § 246e im Baugesetzbuch vor, der – Achtung Wortungetüm aus der Bürokratieküche –  „der Umsetzung des am 25. September 2023 von der Bundesregierung im Rahmen des ‚Bündnisses bezahlbarer Wohnraum‘ verabschiedeten Maßnahmenpakets für zusätzliche Investitionen in den Bau von bezahlbarem und klimagerechtem Wohnraum und zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Bau- und Immobilienwirtschaft“ dient.

Es ist der „Bauen, bauen, bauen“-Alptraum und das wohnungspolitische Äquivalent zum „Abschieben im großen Maßstab“: die selbstverschuldete Hilflosigkeit, entstanden aus jahrelangen und regierungsübergreifenden Versäumnissen, die sich hier nur weiter fortsetzen.

Die Fachleute raufen sich die Haare. Zum einen darüber, dass sie für eine Stellungnahme gerade einmal drei Werktage zur Verfügung hatten. Gründlichkeit vor Schnelligkeit ist offensichtlich nicht das Ziel. Aber auch sonst hagelt es Kritik. Die SRL spricht davon, dass mit der vorgesehenen Sonderregelung für den Wohnungsbau jeder planerische Steuerungsanspruch aufgegeben werde. Und weiter: „Jedes auf dieser Grundlage an städtebaulich unpassender Stelle erbaute Wohngebäude lädt den Städten und Gemeinden für die nächsten Jahrzehnte unabsehbare städtebauliche und soziale Folgeprobleme auf und lässt die Entstehung von städtebaulichen Missständen erwarten.“

Die kommunalen Spitzenverbände bezweifeln, dass mit dem §246e der Bau von bezahlbarem Wohnraum vereinfacht und beschleunigt wird. Stephan Reiß-Schmidt, eine der prägenden Stimmen des deutschen Planungsdiskurses, schreibt: „Es klingt wie der neoliberale Traum von Finanzinvestoren und Projektentwicklern: Endlich ist überall Bau(erwartungs)land!“ Und ein Bündnis von Hochschullehrenden der Stadt- und Raumplanung meldete sich ebenfalls zu Wort: „Es werden alle bewährten Prinzipien von Planungskultur und Städtebaurecht hintergangen.“

Das Gemeinwohl bleibt außen vor

Der neue Absatz soll – befristet bis Ende 2026 – Ausnahmeregelungen für den Bau von Wohngebäuden ab sechs Wohnungen schaffen. Zwingende Voraussetzung dafür, diese Regelungen anzuwenden: Sie müssen ein Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt (also auch mit gesicherter Nachfrage) betreffen. Grundlegende Regelungen des Planungsrechts werden dabei im Sinne der Beschleunigung außer Kraft gesetzt, etwa die Umweltverträglichkeitsprüfung, die Öffentlichkeitsbeteiligung, Regelungen, die die Ausstattung mit sozialer Infrastruktur gewährleisten, die des geltenden Bebauungsplans aber eben auch. Was das bedeutet, formulieren die kommunalen Spitzenverbände: „Eine rechtssichere Anwendung der BauGB-Instrumente wird damit deutlich erschwert, da sich große Ermessensspielräume eröffnen. (…) Ziele des Freiraumerhalts, des Klimaschutzes, der Anpassung an den Klimawandel, der Grünraumentwicklung, der wirtschaftlichen Entwicklung, der nachhaltigen Quartiersentwicklung sowie soziale und weitere Ziele haben einen hohen Stellenwert und werden in Planungen jedes Mal im Einzelfall mit der geplanten Wohnbebauung sorgfältig abgewogen, auch mit dem Ziel der nachhaltigen Entwicklung der Kommunen. Bei einer Einführung der Sonderregelung wäre jedes Bauvorhaben im Einzelfall zu prüfen, zu bewerten, verwaltungsintern sowie im politischen Raum auszuhandeln, da bestehende Festsetzungen nicht bindend wären. Eine Gleichbehandlung von Bauherren könnte damit nicht mehr gewährleistet werden.“ Angelehnt ist die Regelung an die, mit der Notunterkünfte für Geflüchtete geschaffen werden sollten – eine schon damals nicht unumstrittene Regelung.(*) Sie für den Wohnungsbau zu übernehmen, ist insofern problematisch, als es sich bei diesen Unterkünften fast ausschließlich um temporäre Bauten handelt und der Anlass von außen kam. Gebäude, die nach dem §246e gebaut werden, werden hingegen auch nach den drei Jahren, die die Sonderregelung gelten soll, noch stehen. Deswegen darauf zu verzichten, zu prüfen, ob sie in das Gebiet, zur Nachbarschaft passen, ob Interessen gut abgewogen sind, ob das Gemeinwohl berücksichtigt ist, ist keine gute Idee.

Außerdem sind ziemlich merkwürdige Elemente in diesem Entwurf zu finden. Am erstaunlichsten ist wohl, dass es offensichtlich gar nicht um bezahlbaren Wohnraum geht.

In keiner Weise wird eine Einschränkung dahingehend gemacht, dass die Sonderregelung nur dann gilt, wenn eine bestimmte Anzahl von Sozialwohnungen mit einer bestimmten Bindungsdauer errichtet werden. Bauen darf jeder und jeder das, was er für richtig hält. Oder womit er am meisten verdient.

Nein, er muss nicht einmal bauen – auch eine Bauverpflichtung gibt es nicht. Es muss auch nicht nachvollziehbar dargelegt werden, ob mit den geplanten Wohnungen tatsächlich bestehender Wohnbedarf gedeckt wird. Die neue Regelung ist also eine treffliche Spekulationsgrundlage. Denn es ist ja nicht so, dass jede genehmigte Wohnung auch gebaut wird: Ende 2022 gab es bundesweit fast 900.000 genehmigte, aber noch nicht fertiggestellte Wohnungen, bei über 47 Prozent der genehmigten Wohnungen war noch nicht einmal mit dem Bau begonnen worden.

2402_SL_ch_Bauerwartungsland

Könnte ganz schnell Bauland werden. 30 Hektar-Ziel? Klimawandel? Offensichtlich nie gehört. (Bild: Christian Holl)

Ein Geschenk für Investoren und die Bauwirtschaft

Und es kommt noch besser, oder besser gesagt schlimmer. Mit der Sonderregelung würde es möglich werden, die mietpreisdämpfenden Regelungen in Gebieten, in denen eine Erhaltungssatzung gilt, zu umgehen. Umlagefähige – das heißt mietpreissteigernde – Umbauten, Ergänzungen, Erweiterungen würden nun recht einfach und ohne das übliche Genehmigungsverfahren möglich. Es ist also nicht nur zweifelhaft, ob neuer bezahlbarer Wohnraum geschaffen wird – es könnte auch bestehender gefährdet werden. Und schließlich soll der §246e auch noch großzügig auf den Außenbereich ausgedehnt werden können, der bislang unter besonderem Schutz steht. Kurz und knapp meint die SRL dazu: „Die beabsichtigte großzügige Ausdehnung der Vorschrift auf den Außenbereich ist allein schon aus Gründen des Klimaschutzes und der Klimaanpassung unverantwortlich.“ Mehr muss dazu kaum sagen. Das 30-Hektar-Ziel ist offensichtlich nur noch Folklore.

War’s das? Nein, einen haben wir noch. Werden denn die Gemeinde gar nicht beteiligt? Doch. Sie müssen Anträgen, nach dem §246e vorzugehen, zustimmen. Wobei für die Zustimmung eine Fiktionsfrist von zwei Monaten geplant ist. (Fiktionsfrist bedeutet, dass die beantragte Behörde bis zum Ablauf der Frist eine Entscheidung treffen muss, ansonsten gilt die Genehmigung als erteilt.) Wie in dieser Zeit die Planungsämter den Antrag prüfen, Fachämter hinzuziehen und Beschlussvorlagen aufsetzen sollen, ist fraglich. Damit ist die Beteiligung der Kommune auch drastisch eingeschränkt.

Es wäre also nicht nur eine Kröte, die man schlucken müsste – und das Ziel, das man vorgibt erreichen zu wollen, wird dabei voraussichtlich ohnehin nicht erreicht. Der §246e ist ein Geschenk an Investoren und die Bauwirtschaft. Nicht aber einen an die Menschen, die bezahlbaren Wohnraum brauchen. Was für sie zu tun wäre, haben wir an anderer Stelle aufgeführt. Es wäre vor allem endlich ein Gesamtkonzept zu entwickeln, das sich vor Härten gegenüber der Wirtschaft nicht scheut, sie aber auch unterstützt, wenn damit das Gemeinwohl profitiert. Das wäre Politik, der man vertrauen kann, weil eine zusammenhängende Strategie ihre im einzelnen immer umstrittenen Elemente verständlich machen würde. Sicher nicht einfach, aber besser als solch panischer Aktionismus. Es ist zu hoffen, dass diesem Gesetzentwurf die Zustimmung verweigert wird. Verzweiflung wird man nicht dadurch Herr, dass man Anlass zu neuer gibt.


(*) Die Regelung für die Flüchtlingsunterkünfte war auch deswegen umstritten, weil sie es erlaubte, sie an für das Wohnen eigentlich ungeeigneten Standorten zu errichten (wie etwa Gewerbegebiete, nicht integrierte Randlagen). Damit wurden den Geflüchteten signalisiert, nicht erwünscht und Menschen zweiter Klasse zu sein.