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Baut Wohnungen! Fördert Wohnungsbau! Macht den Wohnungsbau einfach! Die gewinnorientiert arbeitende, private Wohnungswirtschaft fordert von der Politik allerlei Unterstützung – primär geldwerter Art durch Steuerabschreibungen, Energiepreissenkung und so weiter. Das Geld fehlt überall, aber schauen wir uns einfach um. Auf dem Tisch liegen die just erschienenen ZEIT- und SZ-Magazine, poppig, etwas abstrus, wir lesen: beides sind „Designhefte“. Da schauen wir mal hinein – und blicken zur „Wohnungsnot“ am Tegernsee.


Ein Super-Infrastruktur-Ministerium wird es nicht geben. Es steht eher etwas wie „Verkehr“ (bereits bei der CDU) und „Wohnen, Stadtentwicklung, Bauen“ im Postenangebot der werdenden Regierung. Über Wohnen und Wohnungsnot als Teil des Bauens ist nun eigentlich alles Politikrelevante gesagt. Aktuell schlägt Niklas Maak eingedenk der „dramatischen Wohnungsknappheit“ in der FAZ eine „radikale Wende in der Baupolitik“ vor;1) unter anderem zitiert er Franziska Eichstädt-Bohlig: Zwischen 2012 und 2022 seien in Deutschland die Angebotsmieten um durchschnittlich 43 Prozent, die Kaufpreise für Ein- und Zweifamilienhäuser um 116 Prozent gestiegen – Einkommen natürlich nicht entsprechend. So fragt man sich, wohin das Geld aus den Preissteigerungen denn geflossen ist.
Wohnungsbaupolitisch richtet die marktprinzipientreue Strategie Bauen, Bauen, Bauen herzlich wenig aus. Sie ist ökologisch, sozial und kulturell falsch, was „dem Markt“ völlig egal ist. Die Forderungen aus der Bauwirtschaft bedeuten maßgeblich neu Bauen, neu Bauen, neu Bauen. Eingedenk verödender Innenstädte, leerer Bürobauten, menschenleerer Straßenzüge muss der Schwerpunkt aber im Sanieren, im Bauen mit und auf Bestand liegen – und das wissen und schreiben alle, die etwas vom Bauen verstehen. Nur die Politik ignoriert es und schenkt ihr Ohr Lobbyisten, was wir immer wieder beklagen, siehe > hier. Und sie verfolgt uralte Konzepte: Investoren sollen Wohnungen bauen, dafür durch Steuerentlastungen (= fehlendes Geld in öffentlichen Haushalten) und von staatlichem Geld für Sozialwohnungen (= Steuern für privatwirtschaftlich profitablen Wohnungsbau, den die Privatwirtschaft aber nicht finanzieren will) profitieren. Man muss sich klarmachen:

Eine Gesellschaft, die „Sozialwohnungen“ braucht, ist nicht in der Lage, ihren Mitgliedern ein selbstfinanzierbares Wohnen zu ermöglichen.

Welche bürokratischen Monster zugleich den Neubau-Wahn befeuern, beschrieb nun auch Laura Weißmüller in der Süddeutschen Zeitung.2)

Sage also niemand, zu Beginn der aktuellen Regierungsperiode sei nicht abzusehen oder benannt und bekannt gewesen, worauf es ankommt.

Ein bisschen großzügig darf's sein.

Ein bisschen großzügig darf’s sein.

Wer wohnt in Deutschland wie?

Nun also der angekündigte Blick in aktuelle Magazine. Weil sowohl das Magazin der ZEIT, als auch jenes der Süddeutschen Zeitung kurz vor Ostern einigermaßen dick geworden sind, ahnt man gleich, dass ein anzeigenträchtiges Thema anstand. Die Printmedien haben’s ja verflixt schwer in einer Zeit, in der das Lesen als antiquierte Kulturtechnik verpöhnt wird. Irgendwo müssen die Printmedien ja ihr Geld herkriegen. Mit der bildträchtigen Thematik „Design“ sollten Anzeigenkunden wohl nochmal etwas aus ihrem Sortiment im Gedruckten präsentieren. Dezidiert ist es hier die Möbelbranche.

Flinkes Blättern und der Blick in die Inhaltsverzeichnisse zeigen: Es geht ums Wohnen. Im ZEIT-Magazin wird David Chipperfield zum „Besser Bauen“ befragt. Im zweiten Teil werden unter dem Titel „Selbst gemacht“ drei „verspielte Designer-Wohnungen in Athen, Rotterdam und Ho-Chi-Min-Stadt“ vorgestellt. Vielleicht weil – so könnte man vermuten – Architekten in Zeiten der Bürgerbeteiligung sowieso nichts besser wissen können als die BürgerInnen, die alles am besten selbst machen wollen. Dem geneigten Leser / der geneigten Leserin wird „viel Vergnügen mit dieser Ausgabe“ gewünscht.

Was ich ja immer in diesem Magazin lese: Harald Martensteins Glosse. In dieser Ausgabe schrieb er, „was an einem ganz normalen Tag in Berlin alles so kaputt ist“ – Verkehr, Brücken, Hallenbad: alles kaputt. Vielleicht wäre die Glosse halb so lang geworden und Platz für eine Anzeige gewonnen, hätte er über das geschrieben, was funktioniert. Jedenfalls springen rasch die ersten, durchweg ganzseitigen Anzeigen ins Auge, und es sind primär Möbel-Hersteller, die ihr Angebot der Leserschaft zur Kenntnis bringen.

Platz ist in der kleinsten Hütte? Nicht für gegenwärtige Sofalandschaften... (ZEIT-Magazin)

Platz ist in der kleinsten Hütte? Nicht für gegenwärtige Sofalandschaften… (ZEIT- und Süddeutsche-Magazin)

Raum und Platz und Geld

Die redaktionell vorgestellten Räume sind eher Räumchen, denn die Wohnungsnot, nun, sie ist ja groß, da muss man redaktionell die Bescheidenheit loben. Im Trend liegen Tiny-houses, small living, und so sieht man im redaktionellen Teil ein Arrangement, in dem Badestube und Küche zusammenfinden mussten, der Stuhl zur Leiter avanciert, Bücher messihaft ein ganzes Zimmer dominieren, weil sonst zwischen den eigenen vier Wänden kein Platz mehr für die Geistesnahrung zu finden ist. Der Stuhl wird einmal mehr als „Held des Alltags“ gepriesen, der eben viel mehr kann als wortwörtlich besessen zu werden.

Wenn's drinnen knapp wird mit dem Platz, wird draußen gewohnt.

Wenn’s drinnen knapp wird mit dem Platz, wird draußen gewohnt.

Die Anzeigen künden allerdings davon, dass Geldquellen eher dort zu erschließen sind, wo riesige Wohnzimmer, Schlafgemächer und, sollte der Platz doch mal knapp geworden sein, weiträumige Parks mit praktischem, vermeintlich schönem Mobiliar zu bestücken sind. Bitte kein „Sozialneid“, denn Leistung muss doch belohnt werden. Das SZ-Magazin geht die Sache spielerisch an, die Anzeigen sind nahezu die gleichen wie im ZEIT-Magazin.

Das Erbe des Wirtschaftsliberalismus

Nun wird in der mutmaßlichen neuen Regierungsmachtparteien-Liebschaft aus CDU/ CSU und SPD genau solche privilegierte Wohnlandschaftskundschaft behandelt, als sei sie bettelarm. Steuerbelastungen der eindeutig superreichen zehn Prozent, denen 54 Prozent des gesamten Nettovermögens gehören, schließt die gegenwärtig mögliche Regierung grundsätzlich aus. Egal, wie viel mit solchen Steuern aus privaten in öffentliche Kassen fließen könnten: Allein das Signal, dass diesem Teil der Gesellschaft nichts zugemutet werden könne, nicht ein einziger Euro mehr Steuern abverlangt werden solle, indiziert die Intention der Mächtigen. Die sich von den Anzeigen im ZEIT- oder SZ-Magazin vielleicht Ideen für ihre private Behaglichkeit vor Augen führen lassen. Da lesen wir: „Authentic kitchen. Made in Germany“. „For those who know“. „Großzügig, raffiniert und voller schöner Details“. „Konträr wie das Leben. Kompromisslos einfach.“ „Home. Not a place. A feeling.“ „Eine Oase im Alltag.“ „The Luxury of sleep.“ „Gutes Design. Spürt man“.

Wer hier mit Kaufinteresse hinschaut, kennt keine Wohnungsnot. Mit dem Wirtschaftsliberalismus der 1990er Jahre ist die enthemmte Bereicherung politisch abgesegnet worden, und dass PolitikerInnen – gerade in Deutschland – immer noch glauben, mit steuerlichen „Anreizen“ privates Kapital in gemeinnützige Richtungen lenken zu können, ist ein Märchen.

Gmund am Tegernsee, Januar 2025 (Bild: Ursula Baus)

Gmund am Tegernsee, Januar 2025 (Bild: Ursula Baus)

Und die Baukultur?

Es ist so gut wie amtlich, dass die Kulturstaatsminister-Position im Kanzleramt wohl einem konservativen Publizisten zufallen wird: Wolfram Weimer, ehemals Chefredakteur von der Berliner Morgenpost, von der WELT, vom Focus und Gründer des Magazins Cicero. Laut Wikipedia wird Weimer als liberal-konservativ, konservativ oder neokonservativ beschrieben.3) Und die Süddeutsche Zeitung meldet am 27.4.2025: „Dass sich der Medienunternehmer für Kultur interessiert, war bislang nicht bekannt“. Aber gut, Robert Habeck war auch nicht für seine Wirtschaftskenntnisse bekannt. Weimer hat also alle Chancen, sich in die (Bau-)Kultur rein zu fuchsen.
Wolfram Weimer wohnt nämlich am Tegernsee, wo Sep Ruf dem Wirtschaftsminister beziehungsweise Bundeskanzler Ludwig Erhard einst, 1951-54, ein schönes Haus neben seinem eigenen sehr schönen Haus gebaut hat.4) Und Friedrich Merz hat, so liest man, in Gmund am Tegernsee auch ein Heisl. Weimer und Merz spielen dort auch Golf, das ist eine Art vertrauensbildende Maßnahme. (Aktualisierung am 11.5.25: Wolfram Weimer spielt kein Golf.)

Gmund, Blick zu den Häusern am Ackerberg (Bild: Ursula Baus)

Gmund, Blick zu den Häusern von Sep Ruf am Ackerberg (Bild: Ursula Baus)

Gmund, Haus Am Ackerberg 12, Januar 2025. Dem Haus dürfte etwas mehr Pflege zuteil werden. (Bild: Ursula Baus)

Gmund, Haus Am Ackerberg 12, Januar 2025. Dem Haus dürfte deutlich mehr Pflege zuteil werden. (Bild: Ursula Baus)

Mit der Baukultur am Tegernsee ist es aber so eine Sache: Dort tut sich der Investor und „Hotelier des Jahres 2023“ Korbinian Kohler mit seiner Bachmair Weissach Group um. Kohler ist Sohn aus der Papierfabrikanten-Familie, die am Tegernsee das schöne Gmund-Papier herstellt und den Bundespresseball gesponsort hat. Kohler hat nun zum Beispiel das Hotel Bussi Baby in Bad Wiessee gebaut – und noch viel mehr, wie unter anderem das „Deal-Magazin“ berichtet.5)
Baukulturell wird die Latte von Sep Ruf am Tegernsee gerade nicht mehr erreicht – aber gut: Wenn die Baukultur nicht beim Kulturstaatsminister Weimer landet, sondern bei einer Persönlichkeit aus der SPD in einem Ministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (beim Verfassen dieses Beitrags stand sie noch nicht fest, den Verkehr übernimmt Patrick Schnieder, CDU), dann haben wir noch Hoffnung. Hoffnung darauf, dass das gute Wohnen als Aufgabe im Sinne der Transformation des Gebauten, des Bestands begriffen wird und Arbeitsplätze vielleicht dort geschaffen werden, wo es Wohnungen in Hülle und Fülle gibt.

Denn auch dies gilt es zu berücksichtigen: Wenn Arbeitgeber gern dorthin gehen, wo andere sind, nach München beispielsweise, dann sprechen Planer vom so genannten Matthäus-Effekt – weniger edel gesagt: Der Teufel sch… immer auf den größten Haufen. Wirtschaftspolitisch ließe sich hier durchaus steuernd eingreifen, um strukturschwache Gebiete zu stärken. Neu ist das nicht. Gewiss wird dann wieder nach „Freiheit“ der Niederlassungswahl geschrieen, aber wenn Steuerung hier vernünftig, wirtschaftlich segensreich, ökologisch sinnvoll und baukulturell anspruchsvoll wäre: Dann wäre eine Einflussnahme auf Unternehmensentscheidungen im Interesse aller angebracht. Dass aber die Machtverhältnisse längst Richtung Wirtschaft gewandert sind und die Wirtschaft die Politik gängelt, zeigt sich beispielhaft daran, dass Intel nur mit Milliarden Steuergeldern für die Ansiedlung in Magdeburg zu gewinnen war – und dann doch nicht kam. Und es zeigt sich am Tegernsee.

Auffällig im neuen Kabinett ist nämlich auch: Merz schaut sich bei Trump ab, wie (CDU-)Personalien im Sinne des Staats als Unternehmen zu entscheiden sind: von leitendenden Wirtschaftsposten – CEOs – direkt in hohe politische Positionen. Katharina Reiche (Wirtschaftsministerin) war Chefin im Energiebereich, Karsten Wildberger (Digitalminister) war u. a.  Chef der Mediamarkt-Saturn-Holding. Am Tegernsee trifft man sich regelmäßig zum von der Weimer-Medien-Group organisierten > Ludwig-Erhard-Gipfel. Das ist ein „Stelldichein der Wirtschaft“, das „deutsche Davos“, das „Spitzentreffen am Tegernsee“. Nächstes Mal am 7. bis 9. Mai 2025, da ist auch Christian Lindner wieder dabei.

Mal sehen, wann das erst 2022 eingeführte Lobbyregister abgeschafft wird. Es dient dazu, den Einfluss der Wirtschaft auf die Politik transparent zu machen. Und war zuvor an FDP und CDU/CSU gescheitert.


1) Niklas Maak: So können wir nicht weiterbauen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. April 2025;
zur sozialökologischen Wende in der Wohnungspolitik s. a. Anton Brokow-Loga, In: https://www.blaetter.de/ausgabe/2023/november/umbau-statt-neubau

Zur Mietentwicklung u.a. https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-03/steigende-mieten-wohnungsbau-deutschland-grossstaedte?freebie=4bdbe308

2) Laura Weißmüller: Verknotet. Phlegmatische Behörden, fehlender Mut: Das Bauen in Deutschland ist so kompliziert geworden, dass oft nichts mehr vorangeht. In: Süddeutsche Zeitung, 26./27. April 2025