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Architekt spielen

1810_Unterricht_Bauhaus


Stift, Papier, Materialmuster, Telefon: Unterricht am Bauhaus Dessau (Bild: unbekannt, 1925–1932. Stiftung Bauhaus Dessau)

Vom 15. bis zum 17. März trifft man sich in Kassel zu einem internationalen Symposium, es geht um > Hannes Meyer als Pädagogen. Das ist ein willkommener Anlass, um auf einen neuen Bauhaus-Roman aufmerksam zu machen, den Theresia Enzensberger geschrieben hat.


Theresia Enzensberger: Blaupause. 256 Seiten, Carl Hanser Verlag, München 2017. ISBN 978-3-446-25643-9, 22 Euro

Theresia Enzensberger: Blaupause.
256 Seiten, Carl Hanser Verlag, München 2017.
ISBN 978-3-446-25643-9, 22 Euro

Warum tut sich die Autorin das an: einen Roman über das Bauhaus zu schreiben? Zwar gehört die Idee historischer Erzählungen zum literarischen Repertoire, und je länger das Leben der aufgesuchten Protagonisten zurückliegt (Humboldt, Luther), um so weniger kann der Leser an ihrer authentischen Wiedergabe zweifeln. Doch Gropius, Itten und Meier sind noch heute lebenden Zeitgenossen begegnet. Insofern zweifelt man, ob die Autorin Theresia Enzensberger in ihrer Romanfiktion Aussehen, Sprache und Charakter der Bauhauslehrer aus ihrer Distanz treffend nachgezeichnet hat, zumal wenn man entdeckt, dass einige Details nicht stimmen.

2019 feiert das Bauhaus seinen 100. Wer wirklich wirklich am Bauhaus studiert hat, ist hier aufgelistet.

2019 feiert das Bauhaus seinen 100. Wer am Bauhaus studiert hat, ist hier aufgelistet.

Für ihre Geschichte schlüpft sie in die Figur der Luise Schilling, die zuerst in Weimar und später in Dessau studiert. Die esoterische Mazdaznan-Praxis der frühen Bauhäusler schildert sie mit dem staunenden Interesse einer jungen Frau aus gutbürgerlicher Familie, die sich auch in der vermeintlich fortschrittlichen Umgebung ihrer Architekturschule mit Vorurteilen gegenüber Frauen auseinandersetzen muss. Luise Schilling ist mittendrin, sie lässt nichts aus. Die 1920er-Jahre mit Inflation, Antisemitismus und den Indizien radikaler Parteien, wovor man sich mit nächtlichen Ausschweifungen in halbseidenen Etablissements rettet, entsprechen unserem Bild, wie es sich als lebendige Milieugeschichte erhalten hat. In diesem Biotop sammelt Luise auch ihre ersten erotischen Erfahrungen. So geht das eben in Romanen, viele Rezensionen haben den literarischen Wert inzwischen ausführlich erörtert.

Ludwig Mies van der Rohe mit Studenten, v.l.: Annemarie Wilke, Heinrich Neuy, Mies van der Rohe, Hermann Klumpp. (Bild: Pius Pahl, 1930/1931. Stiftung Bauhaus Dessau. © Peter Jan Pahl)

Ludwig Mies van der Rohe mit Studenten, v.l.: Annemarie Wilke, Heinrich Neuy, Mies van der Rohe, Hermann Klumpp. (Bild: Pius Pahl, 1930/1931. Stiftung Bauhaus Dessau. © Peter Jan Pahl)

Ein Aspekt wurde dabei nicht bedacht, nämlich die Architektur. Theresia Enzensberger erzählt ihre Geschichte im Präsens. Damit bleibt es offen, wann sie als Luise Schilling ihren Bericht aufgesetzt hat. Also mit den Kenntnissen der Gegenwart oder dem Wissen einer früheren Epoche? Dass sie der Architektur fern steht und deshalb laienhaft übers Häuserbauen berichtet, ist ein großes Manko. Es beginnt schon mit ihrer Unkenntnis der Arbeitsweise. Luise zeichnet und baut Modelle. Aha. Aber wie hat man am Bauhaus Striche gezogen, auf welchem Papier, mit welchen Geräten, wie hat man geändert, vor allem vervielfältigt? Das Buch heißt Blaupause. Aber der Begriff kommt darin nicht vor. Vermutlich hat man mit UV-Licht und Ammoniakdämpfen in hölzernen Schatullen die Transparente kopiert. Diese Mühen der Herstellung haben uns Studenten noch fünfzig Jahre später beschäftigt. Allein eine räumliche Perspektive zu zeichnen oder mit störrischen Kurvenschablonen eine Ellipse herzustellen, das hat aufgehalten. Davon weiß die Autorin nichts. Wenn sie aber glaubwürdig über ihre fiktive Zeit am Bauhaus als Architektin berichten möchte, hätte sie wenigstens beiläufig die Praxis am Zeichentisch, die sich von der heutigen eben drastisch unterscheidet, behandeln müssen. Nun liest sich der Roman, nicht nur wegen der sprachlich in die Gegenwart gerutschten Dialoge, als hätte sich die Autorin nur mit Wikipedia-Hilfe in ihre Rolle als Architekturstudentin eingearbeitet. Kühn ist der Schluss. Da geht es metaphorisch um eine Blaupause: Gropius hätte Luise Schillings Abschlussarbeit für seinen eigenen erfolgreichen Wettbewerbsbeitrag benutzt, während die prüfenden Professoren der Studentin das Abkupfern unterstellten. So leicht entsteht keine Architektur.