Das ist das Haus des Nikolaus – was für kleine Kinder als Urform des Wohnens mit der wohligen, vorweihnachtlichen Atmosphäre verknüpft wird, erwies sich wohntypologisch als Irrtum: Flächenfressend wuchern die Einfamilienhausgebiete in Reste unbebauten Gebietes. Und trotzdem gibt es immer wieder Bücher und Preise, mit denen sich Architekten mit selbstgenutzten Häusern selbst auf die Schulter klopfen.
„Die Wohnhäuser der innovativsten Architekten“ werden uns in einem dicken, großformatigen Buch anempfohlen. Michael Webb, in LA ansässiges Ehrenmitglied des American Institute of Architects und Chevalier de l’Ordre des Arts et des Lettres, präsentiert bis auf zwei Ausnahmen ausschließlich Neubauten und negiert damit ein Hauptproblem der Gegenwartsarchitektur: die Auseinandersetzung mit dem Bestand, in der Architekten scheinbar nicht „innovativ“ genug sind. Ausnahme eins: Norman Fosters Haus in Cap Ferrat – vom Ursprungshaus wird allerdings nichts gezeigt, und im Haus selbst erkennt man kaum etwas davon. Ausnahme zwei: die Haus-Collage in Girona von Ramon Bosch & Elisabeta Capdeferro. Wie hier Alt und Neu zusammengeführt sind, weist auf eine Kontinuität hin, wie sie hierzulande allenfalls von Schattner oder Bienefeld bekannt ist. Ansonsten blättert sich das Buch wie eine PR-Borschüre für Architekten, die Häuser für Betuchte bauen. Die „Innovation“ zeigt sich allenfalls in Sichtbezügen zwischen Innen und Außen, in räumlicher Komplexität, die großer Flächen bedarf und dezidiert nicht für den Massenmarkt gedacht ist. Wenn in diesen Arten des luxuriösen Wohnens die Innovationskraft von Architekten kulminieren soll: so what? Ein geschichtlicher Exkurs präsentiert „Ikonen der Baugeschichte“ – Jefferson, Soane, Moore, Wright, Corbusier, Melnikow und viele andere: Hatten formale oder konstruktive oder materialbedingte Experimente jeweils ihre Berechtigung, fragt man sich schon, was – um ein Beispiel aus Deutschland zu erwähnen – das Wohnhaus von Susanne Nobis in Berg heute ins Buch katapultiert haben mag. „Ich wollte meine Kinder auf dem Land großziehen, wo sie hin und wieder auch mal eine Kuh zu Gesicht bekommen“ – so zog sie von München an den Starnberger See, wo sie ihr – geschätzt – 200 qm großes Haus baute. Das Buch bleibt eine sinnfällige Erklärung, was heute „innovativ“ sein soll, schuldig.
Der Callwey Verlag ermittelt nun seit einigen Jahren in Kooperation mit dem Deutschen Architekturmuseum DAM und anderen Partnern nicht die innovativsten, sondern die „besten“ Einfamilienhäuser in einem Wettbewerb. Das Motto 2018: „Perfekter Plan – mit optimalem Grundriss zum Traumhaus“. Die Jury berücksichtigte „Nachhaltigkeit, innovativen Einsatz von Materialien, kreativen Umgang mit der baulichen Situation und konsequente Ausführung“, Finalisten wurden bis Ende November im DAM präsentiert – und in einem Buch dokumentiert – zum Bättern > hier.
Auch hier dominiert – leider – der Neubau, aber immerhin nicht der Luxus. Zudem wurden fünf Kategorien festgelegt: Nachhaltige Holzhäuser, Massivhäuser in Beton- oder Ziegelbauweise, kleine Häuser bis 150 qm, Villenarchitektur, Häuser unter 250.000 Euro und energieeffiziente Häuser. Interessiert man sich dafür, was man in diesen Kategorien alles machen kann, lohnt sich das Blättern und Schauen. Aber mehr als das, was Fachzeitschriften und Hochglanzmagazine bieten, wird leider auch nicht gezeigt. Details, Kontextualisierung, Prozesskultur: Fehlanzeige. In den nächsten Preis-Dokumentationen ließen sich hier neue Kenntnisfelder erschließen.
Außerdem darf man immer wieder die Beschäftigung mit dem Einfamilienhaus als „Altlast“ einfordern. Bauten der 1950er- und 60er-Jahre müssen im Kontext des damals fehlenden Bewusstseins für den öffentlichen Raum und die Infrastruktur aufgewertet werden. Zu wertvoll ist die Substanz dieser Zeit, als dass sie dem Verfall überlassen werden dürfte.