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Das Bauhaus politisch?

Der ARCH+ Salon "The Dark Side of a Monument" (Bild: David von Becker)

Der ARCH+ Salon „The Dark Side of a Monument“ (Bild: David von Becker)


Na, geht doch: Schon bevor der Bundespräsident am 16. Januar mit einer wenig inspirierenden Rede die Bauhaus-Begeisterung zur neuen deutschen Kulturstaatsräson ausrufen konnte, rumorte an verschiedenen Orten unüberhörbar Dissidenz. Zumindest in Berlin waren die ersten Wochen des Jubiläumsjahres dicht gepackt mit Veranstaltungen, bei denen vom Mainstream kräftig abgewichen wurde.


Thomas Flierl, Philipp Oswalt (Hrsg.): Titel. 640 Seiten, Leipzig, 2019, ISBN 9783959051507

Thomas Flierl, Philipp Oswalt (Hrsg.): Hannes Meyer und das Bauhaus. Im Streit der Deutungen. 640 Seiten, Leipzig, 2019, ISBN 9783959051507

Der ignorierte zweite Direktor

Der Startschuss fiel am 11. Januar 2019 in der Berliner Architektenkammer. Deren Domizil in Mendelsohns Metallarbeiter-Gewerkschaftshaus, eine der elegantesten Architekturadressen der Stadt, gab den honorigen Rahmen für die Vorstellung eines Buches, das ohne Umschweife beansprucht, die Geschichte des Bauhauses – wenn nicht neu zu schreiben – so doch in maßgeblichen Zügen zurechtzurücken. Hannes Meyer, ab 1928 zweiter Direktor in Dessau, 1930 aus politischen Gründen entlassen und nachmals durch eine von Walter Gropius massiv beeinflusste Geschichtsschreibung weitgehend ignoriert, soll nun endlich so beforscht, gedeutet und, ja, auch gewürdigt werden, wie sein Wirken am Bauhaus wie sein Insistieren auf einen „linken“ Funktionalismus („Volksbedarf statt Luxusbedarf!“) das verdienen.

Eine wirkliche Neuentdeckung sind Werk und Vita des Schweizer Weltbürgers nicht. Sowohl in der DDR mit ihrer späten Rehabilitierung des Bauhauses als auch unter westlinken Achtundsechzigern waren Meyers programmatische Schriften schon im Umlauf. Doch jetzt soll es um den „ganzen Meyer“ gehen: Um den glühenden Genossenschaftler, den industrieaffinen Kritiker gegen Gropius‘ Neigung zu Hand- und Kunstwerk. Um den Freund und Aufbauhelfer der Sowjetunion, der als aktiver Kommunist in die Verhängnisse von Stalins Terrorregime geriet und mit bislang kaum erforschten Direktiven ins mexikanische Exil aufbrach.

Blick ins Buch (Spector Books)

Blick ins Buch (> Spector Books)

Schließlich um den Verlierer im Kampf um die späte Deutung des Bauhauses – war letztere doch dank der Übermacht einstiger Kollegen mit US-administrativer Rückendeckung zu einer wirksamen Kulturfront im Kalten Krieg geworden.
Eine Lektüre von beachtlicher Wucht (und leider augenquälender Typografie), die eine Reihe internationaler Experten hier zusammengetragen hat.i Aber die Erwartungen sind wohl auch entsprechend, die Plätze im größten Saal des Hauses reichten bei weitem nicht.



Der Autor mit Anh Lin beim ARCH+ Salon (Bild: David von Becker)

Der Autor mit Anh-Linh Ngo beim ARCH+ Salon (Bild: David von Becker)

Eine neue Adresse und ein fast vergessenes Monument

Nur vier Tage später der nächste Termin: Die Redaktion von ARCH+ schätzte sich glücklich, einer treuen Fangemeinde ihre frisch bezogenen Räume zu präsentieren. Die Kollegen der „letzten von Großverlagen unabhängigen, konzeptuellen Architekturzeitschrift in Deutschland“ (Eigenwerbung) gehören zu den – dank Konzeptvergabe vor Wucher geschützten – Mietern des gerade reihum gefeierten Atelier- und Gewerbehauses Frizz23.ii Die Adresse in der südlichen Friedrichstadt könnte aufregender kaum sein, so direkt neben dem spektakulären Neubau der taz.

Struktur des FRIZZ23, einer Baugruppe für kulturelles Gewerbe (Bild: FRIZZ23)

Struktur des FRIZZ23, einer Baugruppe für kulturelles Gewerbe (Bild: FRIZZ23)

Nach Süden hin Libeskinds Jüdisches Museum, im Blick nach Norden lauter Hochhäuser: Leipziger Straße, GSW, Springer-Verlag. Individuellem Nutzerwunsch folgend, bilden die kargen, aber hohen Redaktionsräume ein ausgeklügeltes Kontinuum, in dem jedes Kompartiment sich separieren lässt, bei Bedarf funktioniert aber auch der Modus all-in-one. Höhepunkt ist der dreifach unterteilbare und durch ein Oberlicht erhellte Zentralraum. Ihn als „Saal“ zu bezeichnen, fehlen vielleicht ein paar Quadratmeter, aber seine Nutzungsqualitäten inklusive grandiosem Fensterausblick und Küchenzeile überraschten wohl jeden der weit über hundert Besucher dieses Eröffnungsabends. Mit dem ARCH+Space hat Berlin eine wirklich metropolitane und hoffentlich dauerhaft lebendige Debatten-Location hinzugewonnen.iii

Das "Revolutionsdenkmal", entworfen von Ludwig Mies van der Rohe (Bild: Bundesarchiv, Bild 183-H29710 / CC-BY-SA 3.0)

Das „Revolutionsdenkmal“, entworfen von Ludwig Mies van der Rohe (Bild: Bundesarchiv, Bild 183-H29710 / CC-BY-SA 3.0)

Aber da war ja noch dieses historische Datum: 15. Januar, exakt der 100. Jahrestag der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Mit dem gab die Redaktion sich unmissverständlich zu erkennen, da sie anlässlich ihrer Eröffnung an ein weithin vergessenes (verdrängtes?) Monument erinnerte – an das legendäre Denkmal für die Toten der Novemberrevolution. 1926 nach Entwurf Mies van der Rohes auf dem Friedhof Berlin-Friedrichsfelde errichtet, 1933 von den Nationalsozialisten abgerissen, nach dem Krieg mehrfach neu zu errichten versucht, bis heute nur in wenigen Fotografien überliefert. Andrea Contursi (Köln) gab Einblicke in seine detailreichen Bauforschungen, während Simone Hain (vormals Graz, jetzt Berlin) überraschende Verbindungslinien vom „frühen“ Mies zu den russischen Konstruktivisten Lissitzky und Malewitsch aufdeckte. Auch sein Engagement im revolutionären „Arbeitsrat für Kunst“ und Kontakte zu führenden Köpfen der Rätebewegung kamen zur Sprache. Die wichtige Frage allerdings, wann und warum der einst exponierte Linke auf die Seite demonstrativer Bürgerlichkeit wechselte, blieb auch an diesem Abend wieder offen. Aber das Jahr möglicher Bauhaus-Überraschungen hat ja gerade erst angefangen.


Veranstaltungsplakat (Bild: Haus der Kulturen der Welt)

Veranstaltungsplakat (Bild: Haus der Kulturen der Welt)

Provokante Ansagen

Zum einstweiligen Höhepunkt solcher Politisierungsbemühungen hatte ein Aktionskreis am 19. Januar – einem Samstag – ins Haus der Kulturen der Welt (HdKW) geladen. Acht Stunden lang wollten Kulturwissenschaftler, Kuratoren, Historiker, Planungsprofessoren, Journalisten und Politaktivisten wissen: „Wie politisch ist das Bauhaus?“ Wobei die Betonung auf „ist“ lag, also auf „Bauhaus heute“, und ihr Mammutprogramm hatten die Organisatoren als direkte Reaktion auf das Konzertverbot am Dessauer Bauhaus im letzten Novemberiv gedacht. Folglich wurde mit provokanten Ansagen nicht gespart: Bernd Scheerer (HdKW) etwa vermisste im technikgläubigen Leitbild der Bauhaus-Lehre eine „Politik der Solidarität“. Marion von Osten (Bauhaus Imaginista) hob die prägende Rolle des prononciert linken „Arbeitsrates für Kunst“ zumindest für die Weimarer Gründungsphase hervor. Anh-Linh Ngo (ARCH+) gab Einblicke in die vierjährige Denkarbeit des Theoriezirkels „projekt bauhaus“, wo man u.a. argwöhnt, die am Bauhaus erstrebte Expertokratie habe maßgeblich zu einer „Entpolitisierung der Moderne“ beigetragen – zu jenem Manko also, dem sie heute mit „Commoning“, der wiedererweckten Gemeingüter-Idee begegnen wollen. Ähnliche Reibung suchten Philipp Oswalt und Stefan Rettich (beide Uni Kassel) mit dem Hinweis, dass ausgerechnet zur Wohnungsfrage das historische Bauhaus wenig Vorbildhaftes erreicht hätte: Die Dessauer Meisterhäuser nichts als Vorzeigevillen für Besserverdiener, und das berühmte Törten ein typologisch fragwürdiges Siedlungsexperiment unter immenser Bauschadenslast. Nein, Gropius kam nicht gut weg an jenem Samstag in Berlin.

"Floating University" – ein Projekt von raumlabor. (Bild: Victoria Tomaschko, raumlabor, Berlin)

„Floating University“ – ein Projekt von raumlabor. (Bild: Victoria Tomaschko, raumlabor, Berlin)

Und jetzt?

Leider wurde das einzige Praxis-Experiment dieses Tages, die faszinierende „Floating University“ von Raumlabor Berlin, im Stress der überlangen Veranstaltung sträflich unter Wert verheizt. Weder die Projektautoren, noch die Veranstalter schienen sich darüber im Klaren zu sein, wie unverzichtbar gerade solche Projekte sind, wenn nach Anknüpfungspunkten für ein aktuelles Bauhaus-Vermächtnis gefahndet wird. Zu welchen Prozessen, zu welcher Gestalt findet denn radikal kreatives Denken heute? IBA Emscher-Park? „Hotel Neustadt“? „Volkspalast“? „Floating University“? Oder wird „der neue Mensch“ nicht sowieso längst viel erfolgreicher von Apple & Co. figuriert? Ginge es also eher um Widerstand?

Resümee eines erschöpften Beobachters: Wenn auf diesem Level weiter recherchiert und debattiert wird, sollte vom anstehenden Jubiläumsjahr doch der eine oder andere neue Blick auf das Jahrhundert der Moderne zu erhoffen sein.


i Thomas Flierl, Philipp Oswalt (Hrsg.): Hannes Meyer. Im Streit der Deutungen. Leipzig 2019, ISBN: 9783959051507, 38 Euro

iii ARCH+ Space. Friedrichstraße 23A, 10969 Berlin (U6 Station Kochstraße)

iv Vgl. Wolfgang Kil: Quo vadis Bauhaus? >>> Marlowes, 22. Oktober 2018