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Diese Türme stehen noch nicht: Four Frankfurt. Geplant sind im Komplex unter anderem 600 Wohnungen. Architekten: UN Studio, Amsterdam. (Bild: Groß & Partner)


Hurra, es gibt einen neuen Trend: das Wohnen im Hochhaus. Das ist zwar eigentlich nicht neu – aber man gibt sich gerade deshalb alle Mühe, sich von der Vergangenheit zu distanzieren. Dabei müsste man das nicht. Besser wäre es, sich die Vergangenheit genauer und unvoreingenommener anschauen. Es könnte helfen, das Potenzial des Wohnhochhauses besser zu nutzen.


„Wohnen im Turm kommt in Mode“ – so lautete die Überschrift im Immobilienteil der FAZ am 1. September 2017. Der „neue Wohntrend in deutschen Großstädten“, wird mit Zahlen belegt: 97 Türme sollen es bis 2022 werden, 27 allein in Berlin und 24 in Frankfurt. Tatsächlich hat sich zunächst einmal die Diskussion über Wohnhochhäuser und deren Wiederentdeckung intensiviert. Drei Ausgaben der Bauwelt haben sich dem Thema in diesem Jahr gewidmet, das letzte ist gerade erscheinen. (1) 2016 berichtete das DAB. Zuvor war bereits über einen Wohnturm am Alexanderplatz diskutiert worden (2), die Welt lüftete 2015 das „Geheimnis hinter Deutschlands Hochhaus-Boom“. In Stuttgart, München, Hamburg werden Wohnhochhäuser in zentralen Lagen gebaut und drängen nicht nur schon ihrer optischen Präsenz wegen als Thema auf, sondern auch weil die Namen international tätiger Architekturbüros hier oft gestalterische Sensationen versprechen.

In den Niederlanden sind Wohnhochhäuser kein neuer Trend. Kop van Zuid, Rotterdam, 2015 (Bild: CC BY 2.0 | flickr.com, Frans Berkelaar)

Das war lange anders. Lange war das Wohnen im Hochhaus in Deutschland ein Tabu-Thema, anders als beispielsweise in den Niederlanden. Das wirkt bis heute: In den aktuellen Veröffentlichungen zum Thema stößt man verlässlich auf das Klischee, dass die Wohnhochhäuser nicht nur Zeichen für soziale Benachteiligung seien, sondern diese geradezu hervorrufen. Sie seien stigmatisiert gewesen, heißt es in der Bauwelt 10/2017, stünden noch immer für günstigen Massenwohnungsbau, so Florian Schlüter von Meixner Schlüter Wendt im Interview derselben Ausgabe. Vielen Deutschen sei das Leben im Turm suspekt, so las man einer Beilage der FAZ im August (3), das Wohnen im Hochhaus sei anonym und schmutzig, so die Welt. Nur zu gerne wüsste man, wie viele derjenigen, die sich hier äußern, sich schon einmal länger, und seien es auch nur ein oder zwei Stunden, in einer Hochhauswohnung aufgehalten haben oder Hochhausbewohner wenigstens zu ihrem erweiterten Bekanntenkreis zählen.

Ein guter Teil der Debatte befasst sich derzeit mit der Frage, wie man die Fehler der Vergangenheit vermeiden könnte, und die Antwort darauf ist meisten: Luxus. Oder zumindest: Hochwertigkeit. Zweizimmerwohnungen haben oft genug 90 Quadratmeter und einen „Master Bedroom“ mit Marmorverkleidung im Badezimmer oder einer freistehenden Badewanne. Die Wohnungen kosten nicht selten mehr als 10.000 Euro je Quadratmeter, in den unteren Geschossen beginnen die Preise bei etwa 3.000, die Spitze liegt knapp unter 20.000 Euro. Je Quadratmeter. 7.000 Euro im Schnitt kostet der Wohnungsquadratmeter, als Mieter muss man mit 20 Euro rechnen – von bezahlbarem Wohnraum kann also keine Rede sein, auch wenn die günstigsten Wohnungen gerne als Beleg dafür zitiert werden, dass man beim Hochhausbau auch die ganz normale Mittelschicht im Blick habe. Ebensowenig kann im Moment die Rede davon sein, dass die Wohnhochhäuser einen nennenswerten Beitrag zur Linderung der Wohnungsnot leisten: Auf 18.400 Wohnungen wird die Zahl der Wohnungen beziffert, die bis 2022 in den Türmen entstehen sollen. (4) Angesichts der möglicherweise 300.000 oder 400.000 Wohnungen, derer es bis 2020 pro Jahr bedarf, ist das Kosmetik; lediglich in Frankfurt kann mit 4000 Wohnungen bis 2020 ein spürbarer Anteil ausgemacht werden.

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Hamburg, Grindelhochhäuser, 1946–56. (Bild: © Ajepbah | Wikimedia Commons | CC-BY-SA-3.0 DE)

Nicht schlecht

Die mediale Präsenz dieses Wohnhaustyps steht also in einem merkwürdigen Missverhältnis zu seiner – quantitativen – Wirkung. Das ist allerdings nicht der einzige Grund, der die Diskussion und die aktuelle Entwicklung etwas schief erscheinen lässt. Denn schaut man etwas genauer in die Archive, schaut sich etwas aufmerksamer im Lande um, anstatt sich auf stereotype Behauptungen zu verlassen, dann stellt man fest, dass das Pauschalurteil vom sozialen Brennpunkt Wohnhochhaus genau das ist: ein Pauschalurteil. Eines, das hinterfragt werden muss. Denn es gibt eine ganze Reihe sehr ambitionierter Beispiele von hochwertigen Hochhäusern, die zwar Massenwohnungsbau waren, aber alles andere als billig: seien es die Grindelhochhäuser in Hamburg, die Bauten der Interbau in Berlin, die Hochhausscheiben Hannibal in Stuttgart.

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Hans Scharoun baute 1955–59 in Stuttgart den Komplex Romeo und Julia. Eine der Dachwohnungen nutzte Scharoun als Zweitwohnsitz. (Bild: Wikimediacommons | Bear62)

Große Architekten haben sich mit diesem Haustyp beschäftigt: Alvar Aalto in Bremen, Hans Scharoun in Stuttgart, Walter Gropius in Berlin. Damit ist es immerhin gelungen, breite Schichten der Bevölkerung mit attraktivem, bezahlbaren Wohnraum zu versorgen, dessen architektonische Qualitäten uns heute in vielen Fällen denkmalwert erscheinen. (5) Daneben kann in den meisten Wohnhochhäusern, die in ja fast jeder Stadt zu finden sind, von sozialem Brennpunkt keine Rede sein: Viele sind gut gepflegt und werden als Wohnstandort von denen geschätzt, die dort wohnen. Die Grindelhochhäuser sind seit eh und je beliebt, und für das seit kurzem denkmalgeschützte Pallasseum in Berlin Schöneberg gibt es schon längst eine Warteliste, auf die keinesfalls nur Menschen ohne Wahl geführt werden, sondern auch Universitätsprofessoren, die eben genau so wohnen wollen. Damit sollen die Probleme dort, wo sie bestehen, nicht kleingeredet werden – nur führt die Wohnform allein die Bewohner nicht zwangsläufig ins Elend, bloß weil sie nicht im Luxussegment angesiedelt ist: Wohnhochhäuser sind viel mehr Teil eines unauffälligen städtischen Alltags, als es die aktuelle Diskussion suggeriert.


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Inkunabel der Nachkriegsmoderne: Mailand, Torre Velasca, BBPR; 1958. (Bild: Maren Harnack)

Insofern wird sogar das Klischee bestätigt, mit dem die neuen Wohnhochhäuser vordergründig zu brechen scheinen: Die pauschale Abwertung der Nachkriegsarchitektur und der älteren Wohnhochhäuser wird mit dem stereotypen Mantra – „Wir wollen die Fehler von früher nicht wiederholen“ – nur weiter vorangetrieben, der differenzierte Blick auf eine baugeschichtliche Epoche verstellt und das alltägliche Lebensumfeld von Menschen diskreditiert. Damit wird vor allem aber die sorgfältige und behutsame Weiterentwicklung blockiert, die in der Stadt ein selbstverständlicher Prozess sein sollte; der Umgang mit den älteren Wohnhochhäusern wird in den Bereich von Sozialarbeit anstatt von anspruchsvoller Entwurfsaufgabe gerückt. Aber Stadt ist nie fertig, auch die der Nachkriegsmoderne nicht. Sie weiterzuentwickeln, ohne ihr den Respekt zu versagen, ist eine der wichtigen Aufgaben der Gegenwart, die allerdings voraussetzt, überhaupt erst einmal ihren Wert zu erkennen. Dieser Wert war unter anderem ein Versprechen: dass es allen möglich sein müsse, an Fortschritt und Lebensqualität teilzuhaben. Dieses Versprechen darf gerne wieder einmal erneuert werden. Die aktuell entstehenden Wohnhochhäuser jedenfalls tun dies nicht.

 

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Alltag in Deutschland: Kein sozialer Brennpunkt. Fellbach bei Stuttgart. (Bild: Christian Holl)

In einem Interview in der Süddeutschen Zeitung hat Ludwig Wappner darauf hingewiesen, dass Wohnhochhäuser eine sinnvolle Erweiterung des städtebaulichen Repertoires sind, vor allem dann, wenn man den Bau von 60 Meter hohen Häusern in den Blick fasst, die ökonomisch und sozialverträglich zu realisieren seien. Hochhäuser müssen also auch heute nicht auf das Luxussegment reduziert bleiben. Für die alltäglicheren Bausteine der Stadt stellt Wappner eine ganze Reihe von Fragen, die dabei im Sinne vorausschauender Planung zu berücksichtigen seien: die soziale Mischung, die Einbindung in die Nachbarschaft, die Nutzungen, der Freiraum, die Energieeffizienz. Mit einer dabei gewonnenen komplexen Alltagstauglichkeit könnte man für die Zukunft das moderate Wohnhochhaus als einen weniger Aufsehen erregenden, dafür aber ein in der breite wirksameren Baustein der Stadtgestaltung sichern. Das würde diesen Haustyp wieder in die Nähe dessen rücken, wovon man sich derzeit meint, distanzieren zu müssen: den Wohnungsbau für Normalverdiener. Das könnte auch der Weiterentwicklung des Bestands helfen, dessen Wohngrundrisse, Außenanlagen, Nutzungsstruktur nicht für alle Ewigkeit unverrückbar festgeschrieben sind.


Die Formel-1 der Wohnhäuser

Im Moment freilich ist man davon weit entfernt, denn man ist darauf fixiert, das Wohnhochhaus als die Formel-1 unter den Wohnhäusern zu profilieren. Das heißt aber auch, dass viele dieser Wohntürme oftmals stadtfeindlicher sind, als es ihre Lage suggeriert. Sie nutzen die Stadt als prestigeträchtiges Umfeld, von dem sie sich aber genug abschotten, um den Zumutungen der Stadt nicht ausgesetzt zu sein – Fitnessstudio, Restaurant, Waschservice werden mitunter im Haus angeboten, draußen bewegt man sich mit dem Auto, das einen ohne unangenehme Fremdkontakte in die Tiefgarage bringt. Beschönigend spricht man dann von der vertikalen Stadt, der allerdings das abgeht, was Stadt ja eigentlich ausmacht, die Herausforderung, dem Fremden zu begegnen. Eher müsste man von der vertikalen Gated Community sprechen. Was 1970 Bentman und Müller für das Penthouse des Hochhauses schrieben, kann nach wie vor gelten – sie stellten die Frage, „ob nicht auch hier der kritische Ansatz der Stadtflucht und unverhüllt in Architektur sich ausdrückender Statussymbolik dünner Eliten angebracht ist“, – als besondere Form des Statussymbols Villa, erhaben über den Niederungen des Alltags, mit freiem Blick und frischer Luft von allen Seiten. (6)

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Gewann den International Highrise Award: VIA 57 West, New York 2016. 
Architekten: BIG – Bjarke Ingels Group
. (Bild:© Kirsten Bucher)

Es wundert deswegen auch nicht, dass sich der Bau von Wohnhochhäusern zu einer Prestige-Aufgabe für Architekten zu entwickeln scheint – die Liste derer, die Hochhäusern bauen oder bauen werden, ist schon recht beeindruckend: UN Studio, BIG, Allmann Sattler Wappner, Meixner Schlüter Wendt, Barkow Leibinger, Sauerbruch Hutton, Behnisch Architekten, Max Dudler, blauraum architekten. Ein bereichernder ästhetischer Wettbewerb, ohne Frage. Es ist aber noch kein Beitrag zur Stadt, denjenigen, die unter anderen Umständen im Eigenheim im Umland wohnen würden, eine Hochhauswohnung zu bauen, in der die Zumutungen der Stadt auf Abstand bleiben und in der nicht mal das SUV abgeschafft werden muss, weil die Tiefgarage entsprechend großzügig bemessen ist. Im Gegenteil, man macht die Stadt zu einem Disneyland, im dem die Reichen sich auch ein bisschen schick urban fühlen dürfen. Falls sie sich denn zu Fuß vor die Tür begeben.


(1) Bauwelt 10/2017, Bauwelt 17/2017 und Bauwelt 19/2017.
(2) Wolfgan Kil: Der Kaiser ist nackt. „Nun will die Immobilienfirma ihren Turm doch in Angriff nehmen und verspricht – Wohnungen! Schon wieder so ein Griff in die Trickkiste: Wer glaubt denn an eine Entspannung des Wohnungsmarktes durch Skyscraper-Appartements in Spitzenlagen?“ >>>
(3) Theresa Weiß: Die oberen Zehntausend. FAZ Metropol. Wirtschaft in Rhein-Main, Nr. 5/2017
(4) Die Zahlen sind auf den Seiten der Bulwiengesa zu finden: >>>
(5) Siehe hierzu den Beitrag von Maren Harnack in der Bauwelt 19/2017: Alles schon mal dagewesen. >>>
(6) Reinhard Bentmann, Michael Müller: Die Villa als Herrschaftsarchitektur. Frankfurt am Main, 1992. S. 158 (Neuausgabe; Erstveröffentlichung 1970)