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Kritischer Regionalismus reloaded

Europäisches Hansemuseum Lübeck

Foto: Werner Huthmacher

Seit 2007 zeichnet das Deutsche Architekturmuseum eines der im Architektur Jahrbuch gezeigten Projekte mit einem Preis aus – dem DAM-Preis für Architektur in Deutschland. Am 27. Januar wurde er wieder vergeben, zum ersten Mal nach einem modifizierten Verfahren.

Das Verfahren, in dem das DAM seinen Preisträger sucht, soll garantieren, dass die besten Bauten eingereicht werden. Anstatt zur Teilnahme aufzurufen, stellte bislang ein Team des DAM aus Veröffentlichungen und Auszeichnungsverfahren anderer Institutionen eine umfangreiche Auswahl zusammen, über die dann eine Jury befand. Die hatte nicht nur über den Preis zu entscheiden, sondern auch, wer in dieses Jahrbuch und die zugehörige Ausstellung aufgenommen wird. Nun wurde das Verfahren modifiziert: Das DAM-Team wählt in Zusammenarbeit mit den Länderarchitektenkammern Bauten aus, die von nun an jedes Jahr als Architekturführer erscheinen und im Internet einsehbar sind. Zweite Neuerung: Die Jury bestimmt eine Shortlist von vier Gebäuden, die sie dann vor Ort begutachtet, dann erst entscheidet sie, welchem Gebäude der Preis gebührt. Das erlaubt, die nie zu vermeidende Kluft aus Präsentation und Realität zu überbrücken. Man will sich in Zeiten digitaler Virtuosität nicht täuschen lassen. Nebenbei wird so die Spannung à la Oscar-Preisverleihung erhöht, zum Glück, ohne dass die unberücksichtigten Arbeiten komplett leer ausgehen. Sie werden ja in Ausstellung und Jahrbuch entsprechend vorgestellt.

Weitere Information über den Preis und Publikationen >>>

Dieses Mal ging der Preis nach Lübeck, an das Europäische Hansemuseum von Studio Andreas Heller Architects & Designers aus Hamburg – Wilfried Dechau hatte es bei frei04-publizistik.de bereits vorgestellt, ebenso war dort schon einer der weiteren Finalisten, die Grimm-Welt in Kassel präsentiert worden. Beide vereint ein sensibler Umgang mit dem Ort, beide verstehen sich als Stadtreparatur oder Rückgewinnung besonderer Orte für die Stadt, beide setzen die Volumina so, dass über Treppen und Terrassen Qualität im öffentlichen Außenraum gewonnen wird. In Lübeck war die Aufgabe im Altstadtkontext und einem einbezogenen Kloster komplexer, sie konnte – auch dank eines großzügigen Bauherren, der, so der Architekt, sich im Zweifel für die Qualität und gegen die Wirtschaftlichkeit entschied – letztlich mit mehr Delikatesse und Feinheit eine Spur feinfühliger sowie im Detail sorgfältiger ausgeführt werden als in Kassel. Nichtsdestotrotz könnte man beide als eine zeitgenössische Variante eines Ideals ansehen, das Kenneth Frampton in den 1980ern als kritischen Regionalismus beschrieben hatte (1) – mit Feingefühl für den Ort, Sorgfalt in der Ausführung, mit sinnlichen Qualitäten, die über das Visuelle hinausgehen, aber ohne sentimentale Anbiederung. Dem könnte man auch den dritten Finalisten zuordnen, einer zu einem Landhaus mit Ferienwohnung umgebauten, 140 Jahre alten Scheune in der Uckermarck, auch wenn sich hier fragen darf, ob hier nicht doch etwas zuviel von jener Sentimentalität für Landleben und Einfachheit mitschwingt.

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Die Finalisten: Grimmwelt, Kassel
, kadawittfeldarchitektur, 
Foto: Andreas Horsky; Landhaus, Fergitz
, TKA Thomas Kröger Architekten, 
Foto: Thomas Heimann; Generalsanierung und Aufstockung Wohnhochhaus, Pforzheim
, Freivogel Mayer Architekten
; Foto: Dietmar Strauß, Besigheim

Wohnen, Verkehr, Schulen

Ein anderes Kaliber ist da, auch im Hinblick auf das, was die Städte zu bewältigen haben, die Sanierung und Aufstockung eines Wohnhochhauses von 1970 in Pforzheim. Nicht nur ist es ästhetisch feinfühlig erneuert, nicht nur wird der Energiebedarf nun ausschließlich aus regenerativen Quellen gedeckt, auch sozial ist das Projekt vorbildlich: die Mieten wurden nur moderat erhöht, die Mieter konnten, wenn gewünscht, während des Umbaus wohnen blieben, eine Verdrängung fand nicht statt – ein starkes Signal.
Vergabemodalitäten und Vorlaufzeit haben zur Folge, dass die Projekte nicht mehr brandneu sind. Drei der vier Finalisten sind von 2015, der vierte wurde bereist 2014 fertiggestellt. Und so finden sich die aktuelle Diskussionen noch nicht in der Kraft wieder, die man sich möglicherweise erhofft haben mag. Immerhin, ein Übergangswohnheim für Flüchtlinge und Migranten ist im Katalog dokumentiert, es wurde eine feinfühliger und ansprechender Modulbau, die Erweiterung der Europäischen Schule in Frankfurt von NKBAK aufgenommen.

DEU, Deutschland, Frankfurt am Main, Erweiterungsbau der Europaeischen Schule Frankfurt, erbaut in nur 3 Monaten mit 98 Holzmodulen der Firma Kaufmann Bausysteme, Architektur von NKBAK Nicole Kerstin Berganski, Andreas Krawczyk 2015 | DEU, Germany, Frankfurt/Main, extension of the Europeen School Frankfurt, built within only 3 month with 98 wood moduls by Kaufmann Bausysteme, architecture by NKBAK Nicole Kerstin Berganski, Andreas Krawczyk 2015

Erweiterungsbau der Europäischen Schule Frankfurt, erbaut in nur 3 Monaten mit 98 Holzmodulen, Architektur: NKBAK Nicole Kerstin Berganski, Andreas Krawczyk 2015. Foto: Thomas Mayer

Mit der Wehrhahnlinie aus Düsseldorf ist ein ambitioniertes Infrastrukturprojekt und im Wohnbau ist mit dem Ausbauhaus in Neukölln von Praeger Architekten ein bemerkenswertes Modellprojekt berücksichtigt.

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Praeger Richter Architekten: 
Ausbauhaus Neukölln, Berlin. Foto: Naumann Friedel Architekturfotografie

Es besteht aus einem flexiblen System, das den Bewohnern viel Eigenentscheidung zugesteht, ohne auf demonstrativen Bricollage-Chic meinen setzten zu müssen. Über die Wahl zwischen verschiedenen Ausbaupakten und den Eigenleistungsanteil ließ sich der Quadratmeterpreis steuern, es wurde an einigen Ecken gespart, was nicht unsichtbar bleiben konnte, aber – soweit die Fotos das erkennen lassen – dem Gebäude letztlich nicht schadete. Der Anteil der Wohnbauten ist in der Auswahl der hundert Bauten höher als in denen der Longlist der 21 Bauten, die im Jahrbuch und in der Ausstellung gezeigt werden. Dass der Umbau und das Arbeiten im und mit dem Bestand eine hohe Bedeutung hatte, scheint schon eine gewisse Normalität zu haben. Drei Bauten von deutschen Büros, die im Ausland realisiert wurden, sind ergänzend in die Ausstellung und den Katalog aufgenommen worden.

1705_AT_DAMPreis_Shortlist

Links: Von der Arge Hermann Kaufmann ZT und Nagler Architekten: 
Schmuttertal-Gymnasium, Diedorf (Schwaben), 
Foto: Stefan Müller-Naumann
; rechts: Die Stuttgarter Architekten Von M sind mit dem 
Kinder- und Familienzentrum aus Poppenweiler, Ludwigsburg, in die Shortlist gekommen. 
Foto: Zooey Braun Photography

Alles sehr schön schön hier

Ansonsten fällt auf, dass die Jury ein Herz für den ländlichen Raum, für die kleine Bauaufgaben und insbesondere für Konstruktionen und Fassaden mit Holz gehabt zu haben schien. Das mag ein bezeichnendes Licht auf den Alltag des Bauens in Deutschland werfen, denn gemessen an diesem Alltag zeichnet die Auswahl ein recht freundliches und heimeliges Bild. Vielleicht etwas zu heimelig, denn Häuser fehlen, von denen man es erwartet haben könnte. In Katalog und Ausstellung sind etwa weder die Erweiterung des Sprengelmuseums von Meili & Peter noch die Trinitatiskirche aus Leipzig von Schulz und Schulz berücksichtigt wurden, auch einen der vorgeschlagenen Bürobauten sucht man dort vergebens. Immerhin kann man die Jury-Entscheidung nun an dem messen, was „nur“ in den Architekturführer aufgenommen wurde. Es ließe sich zu einem kleinen Gesellschaftsspiel ausbauen: Welche 21 Bauten hätten Sie ausgewählt? Die Frage, wer der nächste Gewinner sein könnte, scheint derzeit weniger spannend. Wir werden in einem Jahr sehen, ob es ein Haus gibt, dass der Elbphilharmonie den Preis wird streitig machen können.

Information über den Preis und die im Jahrbuch und der Ausstellung zu sehenden Gebäude >>>
Wer in der Jury saß, erfahren Sie hier >>>
Das DAM Architektur Jahrbuch stellt alle 24 Projekte der Longlist vor, die auch in der Ausstellung zu sehen sind: >>>
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(1) Frampton, Kenneth: Kritischer Regionalismus – Thesen zu einer Architektur des Widerstands. In: Andreas Huyssen (Hg.). Postmoderne : Zeichen eines kulturellen Wandels. Hamburg, 1986, S. 151 ff.