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Der hannoversche Patient


Die Ärztekammer Niedersachsen wurde zwischen 1965-67 nach Plänen Ernst Friedrich Brockmanns in Hannover errichtet. Nun ist sie vom Abriss bedroht.

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Die Ärztekammer im derzeitigen Zustand mit Haupthaus und Plenarsaal. (Bild: Hartmut Möller)

Die Ärztekammer Niedersachsen wurde zwischen 1965-67 nach Plänen Ernst Friedrich Brockmanns in Hannover errichtet. Sie befindet sich in zentraler Lage auf einem knapp 5.000 Quadratmeter großen Grundstück, wo sich der Innenstadtring, die Berliner Allee, mit dem Schiffgraben kreuzt. Ursprünglich bestand die Anlage aus den drei separaten Baukörpern: dem Haupthaus mit Büros, dem Vortrags- und dem Werkstattgebäude mit Dienstwohnungen. An Stelle des Letztgenannten steht schon seit Anfang der 1990er Jahre das gewaltige, im Grundriss dreieckige Ärztehaus. Auch eine ehemals am Eingang platzierte, in Beton gegossene Reliefwand, welche Brockmanns bildhauerisches Können bewies, musste schon vor etlichen Jahren weichen. Zudem eliminierte eine neue Vollverglasung des Hauptgebäudes dessen einst wohlproportionierte Gliederung der Vorhangfassade aus weiß emaillierten Leichtmetallpanels und dunklen Fensterbändern. Doch damit nicht genug: Nun ist das Ensemble gänzlich vom Abriss bedroht, wie der lokalen Presse zu entnehmen ist: >>>. An anderer Stelle wird es gar als „klinisch tot“ diagnostiziert: >>>. Im Zuge von Renovierungsarbeiten waren im Sommer 2015 gravierende Mängel festgestellt worden. Laut eiligst eingeholter Gutachten zwingen Brandschutz, Statik, Schadstoffbelastung und Haustechnik zu erheblichen Investitionen. (Näheres ist dem Bericht zur Ärztekammerversammlung zum Ärztehaus zu entnehmen >>>.) Wegen des steigenden Grundwasserstandes liegt der Bau dauerhaft feucht, des Weiteren ist das Vortragsgebäude, die so genannte „Schildkröte“ durch Asbest belastet. Eine Sanierung im laufenden Betrieb sei nicht möglich. Da man aber gern am Standort bleiben möchte, müsste man auch im Fall eines Neubaus während dessen Bauzeit eine Interimslösung finden. Eine endgültige Entscheidung ist zwar noch nicht gefallen, es scheint aber schlecht um das Schicksal dieses Schmuckstücks zu stehen.

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Blick auf den Plenarsaal, aktueller Zustand. (Bild: Hartmut Möller)

Trotz aller Schwierigkeiten wäre eine Erhaltung begrüßenswert. Die in versetzter Kreuzform angeordneten sieben- bis neun-geschossigen Flügel, welche sich um einen Betriebskern gruppieren und auf mächtigen V-Stützen aus Sichtbeton lagern, sind ein Zeugnis hoher Ingenieursbaukunst. Obendrein verfügt der mit einem schwebenden Glasgang zum Haupthaus verbundene, kristalline Plenarsaal über eine regelrecht sakrale Anmut im hektischen Stadtraum. Inmitten geometrisch aufgeteilter Plattenverkleidung befinden sich zwei eindrucksvolle Betonfachwerkfenster einer unregelmäßigen Struktur. Insbesondere bei Dunkelheit, wenn der Saal laternengleich von innen heraus strahlt, entfaltet sich die sakrale Wirkung. Der Abbruch dieses Bauwerks wäre zweifellos ein trauriger Verlust für die niedersächsische Hauptstadt.


Eine Ausstellung über Brockmann wird am 19. Juni 2017 in Hannover eröffnet >>>