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Wer will wie wohnen?

 


Seit Mitte März 2010 widmen sich der Architekt Christoph Mäckler und der Architekturhistoriker Wolfgang Sonne in jährlichen Konferenzen der „Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt“. Sie laden in den Kuppelsaal der Rheinterrassen in Düsseldorf, einem 1924-26 von Wilhelm Kreis aus damals aktuellem Anlass gebauten Ausstellungs- und Versammlungsgebäude: der großen Ausstellung Düsseldorf 1926 für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen.

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Bild: Deutsches Institut für Stadtbaukunst

Die Konferenzen

Man freut sich jedes Mal über die tadellose Vorbereitung und Organisation der Konferenzen. Mit zehn Thesen steckten die beiden an der TU Dortmund Lehrenden schon zu Beginn ab, was in den folgenden Jahren belegt werden sollte – nachzulesen hier >>>. Zu den Konferenzen kommen oft die selben Teilnehmer, wie Klaus Theo Brenner, Hans Stimmann, Jan Kleihues und viele andere, es werden aber auch immer wieder Vertreter anderer Vorstellungen von Stadt und Architektur eingeladen – wie Harald Bodenschatz, Matthias Sauerbruch oder Christoph Ingenhoven und andere. Für Forschungsveranstaltungen ist dergleichen allerdings selbstverständlich.

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Bild: Deutsches Institut für Stadtbaukunst

Falsche Gegensätze

Was eine Anerkennung offenen Erkenntnisdrangs von Christoph Mäckler und Wolfgang Sonne allerdings schwierig macht, ist ihre gelegentlich abenteuerliche bis wirklich falsche Feindbildkonstruktion und pauschale Verteufelungsstrategie. So befremdet es, ausgerechnet von einem Historiker wie Wolfgang Sonne zu hören, dass doch „Jeder“ die Wohnungsbauten der 1960er- und 1970er-Jahre hässlich finde. Aufgelockerte Stadt und Gartenstadt – das seien alles falsche Konzepte. Als Autorin dieser Zeilen darf ich mich nicht nur bauhistorisch gegen solche Pauschalisierungen wenden.

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Beitragsseite aus dem Magazin der Süddeutschen Zeitung am 27. Januar 2017

Hingewiesen sei deswegen kurz darauf, dass inzwischen längst eine von breiten Kreisen getragene Wertschätzung dieser Architektur- und Stadtentwicklung begonnen hat. Dazu sei auf das herausragende Internetportal >>> www.moderne-regional.de verwiesen, das sich in seiner jüngsten Ausgabe den Konsequenzen des Dämmens widmet. Außerdem haben die (nicht Fach-)Blätter NZZ (nachzulesen hier >>> ) und das SZ-magazin dazu berichtet, wie der Paradigmenwechsel – übrigens ein altbekanntes Phänomen in der Baugeschichte – in Gang gekommen ist.


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Und gerade Christoph Mäckler ist bekennender Bewunderer von Scharoun und Mies und Eiermann. So erstaunt es, dass er immer wieder dasselbe Beispiel eines zeitgenössischen Wettbewerbserfolgs zeigt und sogar argumentiert, wenn man die Bäume dort wegließe, sei gar kein öffentlicher Raum mehr zu erkennen. Wenn er obendrein ein Bild eines idyllischen Höfchens mit Sprossenfenster-Architektur zeigt und behauptet, da würde doch jeder wohnen wollen – dann kann mit Fug und Recht gesagt werden: nein. Aber nun ja, man kann solche „simple und provokative“ Thesenverkündung (Wolfgang Sonne) als Eigenart der Veranstalter zur Kenntnis nehmen – fragt sich aber schon, warum sie sich in eine Verteidungsposition begeben, ohne angegriffen zu werden. Das sei erläutert.

Zur 8. Konferenz wurde eine Ausstellung mit Projekten städtischer Wohnhäuser konzipiert. Die Projekte sind dort in Kürze zu sehen.

Zur 8. Konferenz wurde eine Ausstellung mit Projekten städtischer Wohnhäuser konzipiert. Die Projekte sind dort in Kürze zu sehen.

Eulen nach Athen

In der nunmehr 8. Konferenz stand die Frage an, wie aus Wohnhäusern Stadt werden könne. Um es klar vorweg zu nehmen: Mäckler und Sonne traten als Wissende auf. Man baue Häuserblöcke um Höfe herum, unterscheide Öffentlich von Privat – was im Block auf „vorne“ und „hinten“ hinausläuft – und achte auf ordentliche Grundrisse, schöne Fassaden und Nutzungsmischungen, wo sie denn möglich und sinnvoll sind. Hier ein Büro, dort etwas Gewerbe, da eine Versorgungseinrichtung im Erdgeschoss. Stimmt alles. Weite Teile unserer Städte sind auf diese Weise gebaut beziehungsweise umgebaut worden. Zudem zeigt eine zur Konferenz konzipierte Ausstellung, dass mit erkennbar zeitgenössischer Architektur diese Typologie bestens weitergebaut werden kann.

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Mit Klaus Kürvers veröffentlichte Jonas Geist (1936-2009) in den Jahren 1980 bis 1989 drei Bände zum Berliner Mietshaus.

So stellt sich der Eindruck ein, dass hier viele Eulen nach Athen getragen werden, denn kaum jemand bezweifelt, dass die 19.-Jahrhundert-Teile unserer Städte für viele Menschen passabel bewohnbar sind. Nicht zuletzt, weil inzwischen viel Geld in die Anreicherung von Gründerzeithäusern mit Schallschutzfenstern, Bädern und Einbauküchen geflossen ist, Dächer und Fassaden erneuert sowie Balkone angebaut wurden, zeigt sich eine bauhistorisch wie ökologisch und ökonomische Pflicht: die Pflege. Was der Architekturhistoriker Jonas Geist bereits vor dreißig Jahren in diesem Kontext zur Rehabilitierung dieser Bauepoche und dieser Typologie des Städtebaus beigetragen hat, sucht seinesgleichen.

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Öffentlicher Raum in einem Block-Quartier einer dicht bewohnten Stadt (Bild: Christian Holl)

Es lebe die Vielfalt

Genau deswegen darf man daran erinnern, dass im 20. Jahrhundert Stadtmodelle entwickelt und realisiert wurden, die gerade das Verhältnis von Öffentlich zu Privat anders, auch differenzierter interpretierten und damit auch der Tatsache Rechnung trugen, dass Menschen unterschiedliche Bedürfnisse in der Kommunikation, in der Gestaltung, in der Ruhebedürftigkeit und vielem mehr haben, was das Wohnen in individuellem Dasein und Zusammenleben kennzeichnet. Darauf wiesen auch viele Tagungsteilnehmer hin – etwa Arnold Bartetzky als Moderator, Ulms neuer Baubürgermeister Tim von Winning, Münchens Baustadträtin Elisabeth Merk, Architekt Andreas Hild oder Tim Rieniets von der StadtBauKultur NRW. Arno Lederer beschwor in deutlichen Worten ein ganzheitliches, auf weitreichender Bildung beruhendes Denken, zeigte keine Bilder und ließ sich nicht zu dogmatischen Gestaltungsthesen hinreißen.
Hier nun darf an die These 1 der Veranstalter erinnert werden: „Stadtbaukunst muss alle Aspekte der Stadt umfassen und ihnen Gestalt geben. Städte lassen sich nicht auf einzelne Aspekte und deren Bewältigung durch einzelne Disziplinen reduzieren.“ Wunderbar auf den Punkt gebracht! Aber nach nunmehr acht Konferenzen wird deutlich, dass sie genau diese These zu selten berücksichtigen. Denn wenn – wie 2017 bei No. 8 – die Frage gestellt wird: „Wie wird aus Wohnhäusern Stadt?“, dann kann die immer dramatischere Verkehrssituation in Städten und Vorstädten und Kleinstädten und Dörfern als Konsequenz ökonomischer Entwicklungen nicht auf nächstes Jahr im Sinne einer separierbaren Problematik geschoben werden. Es kann der Druck aus wirtschaftspolitischen Kreisen nicht ignoriert werden.

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Vorne – Hinten? Fassaden? Nutzungen? Die Probleme in unseren Städten lassen sich kaum mit einfachen, formalen und funktionalen Mitteln lösen (Bild: Ursula Baus)

Gerade wenn die Automobilität als immer stärkere Belastung für unsere (Straßen-)Städte benannt wird, zeichnen sich Stärken anderer Stadtmodelle als dasjenige von Block-und-Hof ab. Harald Bodenschatz sprach diesen Aspekt explizit an und thematisierte damit etwas, was zur These 1 gehört: Die Prämissen erkenntnisorientierter (Stadt-)Forschung müssen immer wieder korrigiert und aktualisiert werden – kurzum: offen bleiben. Daraus entstehende Konflikte gilt es zu kultivieren.

Prämissen des Wohnens

Denn vergegenwärtigen wir uns eine absurde Entwicklung: Die Bevölkerung in Deutschland schrumpft. Aber, so wird es in der Öffentlichkeit dramatisiert und von vielen Menschen leidvoll erlebt: Es fehlen zugleich Wohnungen. Zu fragen ist, wo und warum diese Wohnungen fehlen. Denn in bestimmten Regionen unserer winzigen Republik werden täglich Wohnungen in die Luft gesprengt und Häuser abgerissen. In Städten wie München, Hamburg, Stuttgart sieht es anders aus: Einem kapitalistischen Gesellschaftssystem folgend, drängt es Menschen dahin, wo die Futternäpfe stehen; dort wird das Angebot knapp, der Bedarf steigt. Inzwischen ziehen Nicht-Reiche wieder weg aus solchen Städten, weil diese zu teuer geworden sind. Und dann pendeln sie – steuerlich begünstigt – in die Stadt, um dort zu arbeiten. Und erzeugen horrenden, Mensch und Umwelt belastenden Pendlerverkehr. Man kennt das alles – und könnte durchaus gegensteuern. Und auf keinen Fall darf man aus diesen Entwicklungen schließen, wo und wie Menschen wohnen wollen.

Die Industrie prognostiziert mit dem schick klingenden Label „4.0“ einen Gesellschaftswandel, der ohnehin alles auf den Kopf stellt, was wir derzeit planerisch verfolgen. Längst könnten zum Beispiel Arbeitgeber zwei bis drei Tage „Homework“ für die Arbeitnehmer einführen – wenn, ja wenn denn unsere winzige und verflixt reiche Republik flächendeckend mit ordentlichen Datenleitungen versorgt wäre. Längst könnten mit Elektroautos, die leiser und auch sauberer als Diesel und Benziner unterwegs sind, Standard sein, wenn – ja, wenn Autolobbyisten wie Matthias Wissmann nicht politisch durchsetzten, dass Dreckschleudern von einer gelegentlich kriminellen, ökologisch verantwortungslosen Autoindustrie weiter produziert würden.
Und apropos Energiewende: Zunächst wird sie jahrelang gefördert, hatte Erfolg, und wird dann ausgebremst. Weil die Stromleitungen in unserer winzigen, reichen Republik fehlen. Nicht zuletzt muss sich jeder Einzelne von uns fragen, wieviele Quadratmeter er wirklich bewohnen muss und warum beispielsweise gerade die SUVs die Renner der Autokonzerne sind.
Stadt- und Strukturplanung ist ein schnell wechselndes, politisches Geschäft, und den Düsseldorfer Konferenzen fehlt hier und da die Chuzpe, sich darauf mit offenen, grundsätzlichen Fragen einzulassen. Das ist insofern schade, als dass „Schönheit“ und „Lebensfähigkeit“ als Themen unseres Zusammenlebens Fürsprecher brauchen, die sich nicht in vor Jahren festgelegten Thesen verlieren. Mit den verbleibenden Konferenzen bieten sich dafür gute Chancen.