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Die immer neue Altstadt

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Das Deutsche Architekturmuseum befasst sich mit einem nur scheinbar lokalen Thema: der neuen Altstadt in Frankfurt. Begleitet wird die Ausstellung von einem lesenswerten Buch.

Die immer neue Altstadt. Bauen zwischen Dom und Römer seit 1900. Hrsg. von Philipp Sturm, Peter Cachola Schmal. Texte deutsch und englisch. Hardcover, 368 Seiten, etwa 260 Abb., Berlin, Jovis, 2018. 48 (Museum) bzw. 58 Euro (Handel); ISBN 9768-3-86859-501-7

 

Das ist ein richtig schönes Buch. Stabil gebunden, goldgeprägte Schrift auf grauen Leineneinband, dazu ein passendes Vorsatzpapier. Die grafische Gestaltung kommt ohne um Aufmerksamkeit bemühtes Geschrille aus, die Schrift aus dem Garamond-Repertoire will gelesen werden. Es könnte sich um eine Festschrift handeln. Und ein wenig feierlich war es ja auch, als man nach dem Besuch der gleichnamigen Ausstellung im DAM in die neue Altstadt spaziert ist, um zusammen mit tausend anderen Besuchern das Ergebnis zu überprüfen.

KSP Engel und Zimmermann gewannen 2005 den städtebaulichen Ideenwettbewerb Technisches Rathaus. (Modell, © ANP Kassel)

KSP Engel und Zimmermann gewannen 2005 den städtebaulichen Ideenwettbewerb Technisches Rathaus. (Modell, © ANP Kassel)

Dass schon das Werden der neuen Bebauung zwischen Dom und Römer nicht unstrittig verfolgt wurde, dazu haben auch wir Architekturbeflissenen beigetragen. Die Realisierung wird in einem Buchbeitrag beschrieben als „ein Gemenge verschiedener Kompromisse“, damit am Ende „irgendwie so etwas wie die alte Altstadt“ herauskommt. Und man ist fast dankbar, dass sich das äußerst vertrackte Verfahren aus genehmigungsrechtlichen, städtebaulichen, denkmalpflegerischen, bautechnischen, sicherheitsrelevanten, wirtschaftlichen Konditionen so lapidar zusammenfassen lässt.

Rollenspiele

Natürlich ist es einfach, die Rekonstruktion von fünfzehn Altstadthäusern und ihren auf Trinkstärke herabgesetzten Verschnitt mit zwanzig altstadtaffinen Neuzugängen zu kritisieren. Als aufrechter moderner Architekt liegt man damit moralisch richtig. Man kann aber auch Partei für das Publikum ergreifen, wenigstens einmal, als Rollenspiel. Oder sich selbst beobachten, ob man sich wirklich einem der beiden Lager zuordnen will. Erhellend sind zwei Zitate an den Stellwänden der Ausstellung. Sie stammen von Peter Cachola Schmal, dem Direktor des Museums. „Die Altstadt ist ein großer Fehler. Da erlauben wir uns als reiche Stadt, für Millionen Euro Steuergeld 8.000 Quadratmeter Altstadt-Fläche zu subventionieren, unglaublich.“ Sagte er vor drei Jahren. Und jetzt, nachdem das Ergebnis zu erleben ist, lautet sein Resümee: „Die neue Altstadt ist besonders stadträumlich gelungen. Sie bindet sogar die Schirn mit ein.“ Darin muss man keinen Widerspruch suchen. Was Philipp Sturm, der Kurator, in einem Interview gesagt hat, wägt die vertanen Alternativen vielleicht am besten ab, nämlich „dass sich so ein historischer Stadtgrundriss auch mit zeitgenössischer Architektur füllen lässt. Dafür muss nicht rekonstruiert oder simuliert werden“.

Die neue Altstadt, Blick vom Dom, 2018 (Foto: Uwe Dettmar)

Die neue Altstadt, Blick vom Dom, 2018 (Foto: Uwe Dettmar)

Offene Fragen

Das DAM nimmt sich des Themas unvoreingenommen an, das belegt dieser Katalogband. Neben einer Dokumentation der Bauten wird die Planungsgeschichte des Römerbergs aufgerollt, die zahlreichen städtebaulichen Eingriffe, die Wettbewerbe und politischen Debatten, die dem Altstadt-Projekt vorausgingen und damit endeten, dass die Stadt sich für ihre Puppenstube mit 100 Millionen verschuldet hat. Die Spanne der Beiträge reicht von Stephan Trübys Recherche im rechten Milieu, das mit Heile-Welt-Gebaue die Menschen verblödet, bis zur Eloge des Erzkatholen Martin Mosebach, der das Glück nicht fassen kann, diese Architekturwende noch erleben zu dürfen. Man verlässt das Museum (oder schlägt das Buch zu) und nimmt die offene Frage mit, „was unsere Gesellschaft der Architektur der Moderne noch zutraut.“