So wird der deutsche Pavillon für die Expo 2020 in Dubai aussehen. Glücklicherweise nicht so, dass man ihn typisch deutsch nennen könnte. Der Entwurf stammt vom Berliner Büro LAVA – Laboratory for Visionary Architecture, Berlin. (Bild: Kölnmesse)
Martkgeschrei (12) | Lange Zeit waren stabile Regierungen ein deutsches Privileg. Es deutet viel darauf hin, dass diese Zeit vorbei ist; angesichts der aktuellen Regierung hofft man schon fast inständig auf Instabilität. Auch sonst wird einem eher blümerant, wenn man sich ernsthaft um eine Antwort auf die Frage müht, was typisch deutsch sein könnte. Besser, man stellt diese Frage nicht. Es gibt wichtigere Fragen.
Im 19. Jahrhundert hatte sich die inzwischen glücklicherweise als Irrtum herausgestellte Ansicht breitgemacht, die Gotik sei eine deutsche Erfindung und deswegen ein deutscher Stil. Pech gehabt, es waren andere, nämlich die Nachbarn im Westen: wenn überhaupt, dann ist die Gotik ein französischer Stil. Aber eigentlich ist es Blödsinn, mit den Kategorien von heute (oder des 19. Jahrhunderts) eine Entwicklung beurteilen zu wollen, die unter ganz anderen Umständen entstanden ist. Im Mittelalter wollte niemand mit der Gotik die Überlegenheit der französischen Nation beweisen, die gab es nämlich nicht.
In einer schönen Kolumne hatte sich Jürgen Kaube kürzlich darüber Gedanken gemacht, was denn typisch deutsch sei. Er kam zu keinem Ergebnis – deutsch sei das eine und sein Gegenteil: „Die Rechthaberei und die Unentschiedenheit, die Sehnsucht und der Golf Diesel, das Protestieren und das Mitlaufen, die Humorlosigkeit und Gerhard Polt.“ Wahrscheinlich ist es typisch deutsch, sich ständig zu fragen, was typisch deutsch ist, ungeachtet der Tatsache, dass man nie zu einem abschließenden Ergebnis kommt. Was deutsch ist, ist also die Konstruktion des typischen Deutschseins, die dadurch bestimmt wird, dass man darüber redet, was typisch deutsch ist, ungeachtet der Tatsache, dass man nie zu einem abschließenden Ergebnis kommt. Das kann man noch Jahrtausende so weitertreiben. Angesichts aktueller Debatten hofft man freilich auf die Geschichte. Sie hat das Konstrukt der Nation entstehen lassen, vielleicht spült sie es irgendwann auch wieder weg. Wenn wir Pech haben, werden die Menschen damit auch gleich weggespült.
Die Wenderepublik
Typisch deutsch ist es auf jeden Fall, ziemlich viel Plastik zu verbrauchen (Weltmeister!) und sich dennoch als Weltmeister der Nachhaltigkeit aufzuspielen. In Deutschland hätte die Energiewende ihren Ursprung, so wird zum Beispiel Dietmar Schmitz vom Bundeswirtschaftsministerium zitiert. Er ist verantwortlich für den deutschen Auftritt auf der Expo in Dubai, die 2020 stattfinden wird. Zu diesem Auftritt wird soviel Unsinn verbreitet, dass es für etwa zehn Kolumnen reicht. So soll es dort ein Bällebad geben, das Deutschland in Zahlen vorstellt. Das riecht nach Teletubbyniveau. Das mit der Energiewende ist auch Quark, schon allein, weil „die Energiewende“ nicht definiert ist. Wie auch sollte man Energie wenden, Energie ist kein Heu. Etwas Typisches könnte es vielleicht sein, dass sich immer etwas wenden muss: Der Verkehr etwa oder die geistige und moralische Verfasstheit der Deutschen, ganz zu schweigen davon, dass „Die Wende“ ein konkretes politisches Ereignis meint. Aber auch hier gilt, dass das Gegenteil stimmt: Wendehals ist kein Kompliment. Und schon im 19. Jahrhundert forderte oder hoffte vielmehr Ludwig Uhland ultimativ: „nun muss sich alles, alles wenden“. Er nannte das Frühlingsglaube, und das kleine Gedicht beginnt mit der Beobachtung, dass die linden Lüfte erwacht seien. So einen Frühlingsglauben im Herbst zu teilen, fällt schwer. Die Blätter fallen von den Bäumen und von linden Lüften ist wenig zu spüren. Dass sich im Land der SUVs und des kein bisschen nachhaltigen Braunkohleabbaus tatsächlich auch die Energie wendet, oder zumindest darauf geachtet wird, dass Energie so erzeugt wird, dass daraus nicht schwere Bürden für kommende Generationen erwachsen, fällt zu glauben ziemlich schwer: Deutschland ist das Land, in dem die Energiewende auch gleich wieder zu Grabe getragen wurde, vorausgesetzt, es hat sie einmal gegeben.
Über alle Grenzen hinaus
Aber es ist ja – siehe oben – ohnehin ausgemachter Blödsinn, aus der Frage der Nachhaltigkeit einen nationalen Wettbewerb zu konstruieren. Ob die Erde bewohnbar bleibt, entscheidet sich in einem System, in dem die zufälligen Grenzen der Nationalstaaten keine Rolle spielen. Staatengrenzen sind für diese Frage nach einer Welt, auf der sich noch leben lässt, die falsche Kategorie. Glücklicherweise ist der deutsche Pavillon auf der Expo wenigstens architektonisch so gestaltet, dass keiner auf die Idee kommen muss, er wäre typisch für Deutschland. Angesichts aktueller Diskussionen hätte er sonst vielleicht Fachwerk. Manchmal fürchtet man ja, das Fachwerk könnte so eine Art Gotik des 21. Jahrhunderts werden; in kaum einem anderen Land käme ein Politiker auf die Idee, zu behaupten, Bürger hätten ein Recht auf Fachwerk. Das äußert irgendwann mal ein SPD (!) Kommunalpolitiker in Frankfurt. Ach, die SPD. Hat man auch ein Recht auf Vögelgezwitscher? Oder auf Froschgequake?
Je blöder die Fragen, desto schlimmer die Antworten – so hieß es im Juli in einem Essay der FAZ. Angesichts vieler Antworten ist die Frage, was typisch deutsch ist, eine ziemlich blöde Frage. Wenden wir uns anderen zu. Bitte.