Stilkritik (57) | „Der Bau kleinerer Häuser ist umweltbewusster als der größerer Häuser, egal wie grün diese gebaut sind“ – so Urs Peter Flückinger (1). Doch wer wird sich ein kleines Haus bauen, wenn er sich ein größeres leisten könnte? Verzicht muss Spaß machen, muss Lebensstil sein, sonst übt ihn keiner, der es nicht nötig hat. Die, die wirklich verzichten müssen, sind einmal mehr die Betrogenen.
Die Bewegung sei nun auch in Deutschland angekommen, so die FAZ im Juli. Die Rede ist von der Tiny-House-Bewegung, von einem Siegeszug, der schon vor zehn Jahren vorhergesagt worden sei. Einer der führenden Anbieter habe bisher 86 Häuser gefertigt. Die Art Karlsruhe hat ein Tiny-House-Festival veranstaltet, auf dem Bauhauscampus in Berlin wurden von der selbsternannten „Tinyhouse University“ selbstgebaute Minihäuser errichtet, dort wurde „über neue und gerechtere Formen des Miteinanders geforscht.“ Kleinsthäuser in den USA sitzen meist auf einem Anhänger, sind also eine Art Wohnwagen. Gemessen an der laut Wikipedia in Deutschland zugelassenen Wohnwägen – etwa 650.000 – ist also die Anzahl der bisherig fertiggestellten Minihäuser ein Witz, selbst wenn es zum Marktführer und seinen 86 Häusern nochmal, seien wir mal großzügig, weitere 1000 kämen – Siegeszug und Bewegung sehen meiner Meinung nach etwas anders aus.
Eine instruktive Internetseite zum Thema hat diese Falle auch schon gewittert und stellt zwar fest, dass der fahrbare Untersatz schon zum Tiny House gehöre, es aber dennoch nicht um eine Wohnwagen-Variante gehe. Das Tiny House sei „viel eher als die ideale Lösung, um das Bedürfnis des „eigenen Daches über dem Kopf“ und ein knappes Budget (sowie nicht auszuschließende Wohnortswechsel) ohne nennenswerte Verschuldung unter einen Hut zu bringen.“
Das ist in Deutschland aber nicht ganz so einfach. Will man in Deutschland in einem Tiny House dauerhaft leben, muss man einen Baugrund und eine Baugenehmigung haben, da wird es also schon etwas komplizierter. Zur Frage der Mobilität kommt dann ganz schnell die Frage der Verfügbarkeit über Boden, der Genehmigung, der Versicherung. Darüber kann man schimpfen, ist aber kein Problem der Tiny Houses, überreguliert ist das Bauen ja angeblich ohnehin. Dabei vergisst man allerdings, dass so manche Regelung durchaus sinnvoll ist und dem Wohl der Allgemeinheit dient. Die Flächenmindestmaße im Sozialen Wohnungsbau zum Beispiel. Die liegen nicht zufällig über dem, was ein Tiny House bietet – und das sollte auch so bleiben.
Neu an den Tiny Houses ist wahrscheinlich ohnehin nur der Name. Ob in Wagenburgen oder ob Wanderarbeiter auf Großbaustellen und als Erntehelfer – die Kleinsthäuser sind weder als Bekenntnis noch als Teil des ökonomischen Systems etwas Neues. Warum als nun der merkwürdig künstlich anmutende Hype?
Kleine Fluchten, großes Pathos
Dass es ein paar Menschen gibt, die anders als der Mainstream leben, ist bestimmt kein Problem. Das soll möglich sein, und ein wenig Anschauungsmaterial in Sachen Alternativen schadet unserer Gesellschaft bestimmt nicht. Ob in ausgeflippter Form oder biedere Eigenheim-Idylle in Schrumpfversion, als eine Option, die nutzen kann, wer das mag – alles prima, zumal einige Aussteigerensembles schon etwas Staub angesetzt haben. Schön, dass es sie noch gibt, die kleinen Fluchten.
Die Frage ist nur, warum es für ein Leben à la Henry David Thoreau, vielleicht in einer Form, die länger als zwei Jahre durchzuhalten ist (2), ein Tiny House braucht – ein Zimmer in einer WG täte es auch. Man kann Vegetarier sein, sich mit wenig begnügen, die Tage in den nahegelegenen Wäldern verbringen. Man bleibt nur etwas zu unsichtbar – mit dem Tiny House ist das anders. Das Tiny House ist also – wenn man aus ihr denn unbedingt eine Bewegung machen möchte – ein demonstratives Selbstbekenntnis. Weniger ist mehr! Wir leben auf zu großem Fuß! Intensität statt Konsum! Wahlfreiheit statt Fremdbestimmtheit! Werden in Deutschland pro Person bald 48 Quadratmeter Wohnfläche genutzt, so sind die Tiny Houses deutlich darunter: 10, 16, vielleicht auch mal 20 Quadratmeter.
Dass wir uns einschränken müssen, ist nicht zu bestreiten. Es müssten aber auch und vor allem die tun, die dazu nicht gezwungen sind. An dieser Stelle bekommt die „Bewegung“ dann aber ihren bitteren Ton. Hohe Mieten, miese Angebote, hohe Hürden, eine Wohnung zu bekommen – so freiwillig wie es Henry David Thoreaus Entschluss war, zwei Jahre in einem selbst gebauten Häuschen zu wohnen, ist die Entscheidung ja oftmals nicht. Längst haben außerdem findige-windige Entwickler ja entdeckt, dass man mit Mikrohäuschen und -wohnungen mehr Geld machen kann als mit anständig großen Wohnungen. Darum geht es eben: um ein System, das die Spielräume im Wohnen soweit eingeschränkt hat, dass das Tiny House ein letzter Ausweg ist. Ein zum Luxus der Befreiung verbrämter Ausstieg aus einem System, in dem man normalerweise nur noch einen Platz auf den billigsten, also auch den schlechtesten Plätzen zugewiesen bekommt. Insofern ist das Tiny House ehrlich: Es geht dabei eben auch darum, das eigene Haus haben zu wollen – um ein klein wenig weniger zum Spielball von Kräften des Marktes zu werden.
Tiny Houses dann zu einem Experiment für das Zusammenleben als „Tinyhouse University“ zu verbrämen, ist deswegen schon fast geschmacklos – das passiert ohnehin auf jedem Festival und auf jedem Campingplatz. Da müsste man nur mal genauer hinschauen – und sich dann überlegen, wie sich das auf den Wohnungsmarkt übertragen lassen könnte, welche Rahmenbedingungen sich ändern müssten, damit eine Übertragung gelingt, anstatt sich gerade des Mittels zu bedienen, das die letzte Lücke auf dem Wohnungsmarkt nutzt und dies dann noch mit ein wenig Do-it-yourself-Attitüde zu bestreichen.Das wäre dann auch Forschung. Nur wäre sie weit weniger medienwirksam. Und so hat man den Verdacht, dass die vermeintliche Bewegung denen dient, die nicht auf das bisschen Freiheit, das ihnen die Bewegung schenken könnte, angewiesen sind. Die damit ihre Geschäfte machen oder die sich selbst damit ins Licht rücken. Der Mainstream hat die Tiny-Houses eh schon entdeckt, Hotel- und Resortbetreiber springen auf: Askese wird einmal mehr zum selbstgefälligen Luxusgut von Menschen. Das hat man nun davon.