Italienischer Barock in Dresden: Städte sind „Möglichkeitsräume“, auch und vielleicht gerade in der Retrospektive. In ihnen ist nicht nur das eingeschrieben, was sich auf den ersten Blick an Architekturen zeigt. Darunter öffnen sich weitere Schichten all dessen, was ungebaut blieb, weil das Geld dafür nicht ausreichte oder sich die Machtverhältnisse verschoben. Das gilt auch für Dresden, das über exzellente Sammlungsbestände zu Gebautem und Ungebautem verfügt.
In Dresden lädt das Sächsische Landesamt für Denkmalpflege dazu ein, im Ständehaus am Schlossplatz jene Visionen für Dresden zu entdecken, die vom italienischen Barock angeregt, zu einem ganz anderen Elbflorenz hätten führen können. Die schöne, von Martin Schuster, Tobias Knobelsdorf und Jan Eining kuratierte Ausstellung greift weitgehend auf die bemerkenswerte Sammlung des Landesamtes zurück. Die Geschichte dieser Plansammlung ist eine eigene Ausstellung wert. Sie wird im Sommer 2025 aus Anlass des 200-jährigen Jubiläums des Sächsischen Altertumsvereins vorgestellt werden.
Zu den jetzt ausgestellten Beständen zählen großartige Blätter von Gaetano Chiaveri (1689-1770), dem Architekten der katholischen Hofkirche, von Julius Heinrich Schwarze (1706-1775) sowie dem legendären Matthäus Daniel Pöppelmann (1662-1736), der den Zwinger entworfen hat. Den Auftakt aber bildet eine jüngst restaurierte monumentale Panoramaansicht Roms. Sie wurde 1765 von Giuseppe Vasi gestochen. Eingefasst wird sie von ausgewählten Veduten aus der Hand seines Schülers Piranesi, die den europäischen Reisenden auf ihrer Grandtour zeigten, was man in Rom gesehen haben musste, um es anschließend gerne auf Kupferstichen mit nach Hause zu tragen.
Den Ruhm Roms vor Augen und den Aufstieg Dresdens im Herzen, schickte der Sohn Augusts des Starken, August III., etliche Hofkünstler nach Italien. Dort sollten sie die Antike ebenso studieren wie die jüngste barocke Mode. Augusts Ziel war es, den Glanz der jüngst erworbenen polnischen Königswürde, für die sein Vater zum Katholizismus konvertiert war, in eine neue architektonische Pracht in seiner Residenz zu überführen. Zugleich zog der Konfessionswechsel praktische Anforderungen nach sich. Musste es doch angemessene liturgische Geräte für den Gottesdienst geben, von der Monstranz über das Weihwasserkännchen bis zum Weihrauchschiffchen. Dafür schaute man von Dresden aus via Kupferstich sogar bis an den portugiesischen Hof. Mehr geschwungene Rocailles, Krönchen und verdrehte Putti, wie sie auf den zauberhaften Blättern von Francisco LaVega zu sehen sind, lassen sich auf derartigen Gefäßen gewiss nicht unterbringen.
Die repräsentative Elbfront
Herzstücke des neuen Dresdens sollten die Hofkirche und ein neues Residenzschloss werden. Während Jean de Bodt und Christof Knöffel Entwürfe im strengeren, klassizistischen Duktus des französischen Barocks lieferten, spielte Gaetano Chiaveri bei seinem Schlossentwurf virtuos auf der Klaviatur eines opulent verzierten römischen Barocks. Wahlweise mit einem oder zwei gedrehten Türmchen, wie bei St. Ivo alla Sapienza. Das ließ sich auf den so genannten Tekturen, den Variantenklappen der Entwurfszeichnungen, nach Belieben vorführen. Barockes Architekturmarketing vom Feinsten.
Während Augusts Pläne für das Schloss mit repräsentativer Elbfront nicht verwirklicht wurden, kulminierten seine römischen Barockträume in der heiter beschwingten Hofkirche, siehe Bild ganz oben. Deren Planung blieb lange geheim, um in Dresden nicht zu viel katholischen Staub aufzuwirbeln. Dabei sind Chiaveris Entwürfe schlicht zauberhaft! Was für ein Genuss, das Blatt mit dem Verlegeplan für den Fußboden der Kirche zu betrachten. Das strenge schwarzweiße Raster des Bodenbelags fügt sich um die rosa dargestellten, organisch geschwungenen Stützen. Nicht weniger famos ist eine Dachaufsicht. Sie zeigt auf den Sockeln der Balustrade des Dachs lediglich die Fußabdrücke der geplanten Skulpturen von Lorenzo und Francesco Mattielli sowie die Schatten, die die abwesenden Figuren auf die Dachfläche werfen. Zu den wenigen Leihgaben in der Ausstellung gehören drei von Mattiellis Skulpturenköpfe, die unterschiedliche Erhaltungszustände dokumentieren.
Mühen des Bauens
Weil Chiaveri Dresden vor dem Abschluss der Arbeiten an seiner Hofkirche wieder verließ, musste Julius Heinrich Schwarze sich um die Ausführung des Turmes kümmern. Unter Schwarze, der zuvor selbst römisch inspirierte Zentralbauentwürfe für die Hofkirche vorgelegt hatte, wurde Chiaveris allzu gedrückt wirkender Turmentwurf in die richtige Länge gebracht. Nicht verschwiegen wird in der Ausstellung, um mit Bertolt Brecht zu sprechen, wer dies alles errichtete: italienische Arbeiter. Die hatten zwischen Elbe und Zwinger ihr eigenes „Italienisches Dörfchen“, an das heute der ungewöhnliche Name einer Gaststätte am Ufer der Elbe erinnert. In einem Lageplan sind die unterschiedlichen Gebäude des Dörfchens samt Nutzung verzeichnet. So wohnte dort der Hofstuckateur Giuseppe Bossi, Nadal Landero betrieb eine Schokoladenboutique und beim Tänzer Alessandro Vulcani erhielten die Dresdner Galanteriewaren. Wie wäre es eigentlich, wenn man im rekonstruktionsverliebten Dresden darüber nachdächte, auf der Weite des Theaterplatzes rund um das König-Johann-Denkmal vor Semper-Oper und Gemäldegalerie einen Teil dieses italienischen Dörfchens wieder aufzubauen? Spaß beiseite.
Famose Bestände
Wirklich wünschenswert wäre es, wenn die Dresdner Ausstellung des italienischen Barocks den Weg bis nach Rom fände. Vielleicht ließe sich sogar davon träumen, dass das Sächsische Landesamt für Denkmalpflege dereinst einen klima- wie ausstellungstechnisch besser geeigneten Ort als das ehemalige Ständehaus erhält, um seine famosen Bestände zu zeigen. Verdient hätten sie es allemal.
Bis 27. März 2024
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Katalog
Landesamt für Denkmalpflege Sachsen (Hrsg.): »Italienischer Barock in Dresden«
Landesamt für Denkmalpflege Sachsen – Kalender 2024; Dresden 2023
28 Seiten, 51 teils farbige Abb., 54 x 45 cm, Ringbindung, ISBN 978-3-95498-785-6
Blick ins Buch/Leseprobe: https://verlag.sandstein.de/reader/98-785_Kalender2024/
Begleitprogramm
Virtueller Rundgang
https://my.matterport.com/show/?m=b1Q3EEx27G2
Vorträge
Mittwoch, 7. Februar 2024, 15.30 Uhr
Pöppelmann in Rom – Prolog und Effekt einer Fortbildungsreise
Dr. Peter-Heinrich Jahn, Architekturhistoriker, Technische Universität Dresden
Mittwoch, 6. März 2024, 15.30 Uhr
Die Dresdner Hofkirche in Druckgraphik und Malerei
Dr. Eduard Wätjen, Kunsthistoriker, Dresden/München
Mittwoch, 20. März 2024, 15.30 Uhr
Stefano Torelli und italienische Künstler am Dresdner Hof
Dr. Thomas Liebsch, Kunsthistoriker, Berlin
Führungen
nur mit Anmeldung unter +49 351 48430421 oder presse@lfd.sachsen.de
jeweils mittwochs, jeweils 16 Uhr.
31. Januar 2024
28. Februar 2024
27. März 2024
https://www.lfd.sachsen.de/3442.htm