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Die Zeiten sind unruhig, in den Diskursräumen geht es hoch her. Dagegen trägt der unter Denkmalfreunden ausgetragene Dauerstreit um schuldige oder unschuldige Steine nahezu akademische Züge. Philipp Oswalt hat Konflikte um die Rekonstruktion prominenter Symbolbauten genauer untersucht und warnt vor dem reaktionären Geist allzu vieler Wiederaufbau-Begehren. Eine Diskussion in der Akademie der Künste folgt im Februar.

 

oben: Peter Kulka, Rekonstruktion des Potsdamer Stadtschlosses zum brandenburgischen Landtag; Kunst am Bau: Annette Paul (Foto: Wolfgang Kil)

Kürzlich wurde an dieser Stelle schon mal ein Buch über „Historisierendes Bauen in der zeitgenössischen Architektur“ besprochen.1) Der Rezensent Wolfgang Bachmann hatte die Autorin als Kunsthistorikerin ausgemacht, die selbst bei dem hoch umstrittenen Thema allenfalls „historische Kontexte und Entwicklungen“ untersuche, „polarisierenden Diskursen“ hingegen aus dem Weg gehe. „Ganz Wissenschaftlerin“, lehne sie „Fragen nach einem Richtig oder Falsch ab“.

Polarisieren

Solche Sowohl-als-auch-Balance ist bei Philipp Oswalt nicht zu erwarten. Der an vielen Fronten rührige Architekt, Baugeschichtsforscher, Publizist und Initiator publikumswirksamer Projekte fürchtet Polarisierungen nicht. Er hat sich jetzt mit einer kleinen Aufsatzsammlung zu Wort gemeldet, in der er den Wiederaufbau historischer Symbolbauten hierzulande kritisch Revue passieren lässt. Recherchiert und verhandelt werden fragwürdige Vorgänge um die Potsdamer Garnisonkirche und das Berliner Stadtschloss (aka „Humboldtforum“). Entschiedene Zurückweisungen gibt es zu Frankfurts neuer Altstadt wie auch zu drohenden Umgestaltungsplänen für die Paulskirche ebenda. Abschließend wird ausführlich das Prinzip der „präzisen Unschärfe“ erläutert, das der Rekonstruktion zweier Meisterhäuser des Dessauer Bauhauses zugrunde lag.

Garnisonkirche Potsdam (Wikimedia Commons, Raimond Spekking _CC BY-SA_4_0)

Garnisonkirche Potsdam, Baustelle 2023 (Wikimedia Commons, Raimond Spekking _CC BY-SA_4_0)

Um falschen Erwartungen etwaiger Neutralität vorzubeugen, beschreibt der Autor im Klappentext sein Verhältnis zu den hier verhandelten Fällen nicht als historische Wissbegier, sondern als Ergebnis „aktivistischer Beteiligung“. Auslöser war stets persönliche Betroffenheit. Dank familiärer Prägung geradezu allergisch auf jede Form rechtslastiger Umtriebe reagierend, hat Oswalt mehrmals reaktionäre Protagonisten und Netzwerke aufgespürt. Seine beharrlichen Enthüllungen von Geld- und Ideengebern aus nationalistischen oder militaristischen Zirkeln haben das Kirchenprojekt in Potsdam wie das Berliner Schlossprojekt wiederholt in öffentliche Kritik (und ihn auch schon vor Gericht) gebracht. Die Debatten um Paulskirche und Neue Altstadt setzen dem gebürtigen Frankfurter allein schon aus biografischer Anhänglichkeit zu. Und an der Durchsetzung der umstrittenen Entwürfe von Bruno Fioretti Marquez für die „unscharfe“ Wiederkehr der Häuser Gropius und Moholy-Nagy hatte Oswalt als dazumal amtierender Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau maßgeblichen Anteil.

Stadtschloss Berlin; für den Ostseite hat die Tapete nicht gereicht? (Foto: Wolfgang Kil)

Stadtschloss Berlin; für die Ostseite hat die Tapete nicht gereicht? (Foto: Wolfgang Kil)

Instrumentalisierte Geschichte

Grundsätzlich bekennt Oswalt bei seinen unversöhnlichen Kritiken ein doppeltes Unbehagen, „zum einen ein fachliches in Hinsicht auf die Qualität von Architektur und Städtebau; zum anderen ein geschichtspolitisches bezüglich des Verständnisses von Geschichte“ (Seite 197). Sollen Rekonstruktionen zumeist vordergründig als ‚Reparatur desolater Stadträume‘ oder zum ‚Wiedergewinn verlorener architektonischer Glanzleistungen‘ erfolgen, sind gerade bei prominenteren Fällen geschichtspolitische Ambitionen mit im Spiel. An die vermeintlich unpolitischen Fassaden werden – positive! – Erinnerungen an bestimmte historische Ereignisse und gesellschaftliche Zustände geknüpft. Das uneingestandene Ziel dahinter: eine Änderung unseres Geschichtsverständnisses. Bislang kritisch konnotierte Zeitläufte werden plötzlich idealisiert, historisch einschneidende Umbrüche vor allem des 20. Jahrhunderts werden negiert und gewachsene Identitäten mittels kultureller Überformungen ignoriert, wenn nicht gar gezielt bekämpft. An der heillosen Teilkopie des Berliner Schlosses, vor allem aber am aktuellen Streit um die Potsdamer Garnisonkirche lassen sich geradezu programmatische Bestrebungen einer Vereinnahmung und revisionistischen Umdeutung symbolträchtiger Orte nachzeichnen. Dass vordergründig rein imagebildende Kulissenspiele nicht nur als Marketingtrümpfe im globalen Standortvergleich taugen, sondern – identitätspolitisch aufgeladen – sich auch als Wegmarken hin zu einer ‚völkischen Baukultur‘ aufrufen lassen, haben verdienstvolle Recherchen zur Vorgeschichte von Frankfurts ‚neuer Altstadt‘ ans Licht gebracht.2)

Wobei an dieser Stelle gerechterweise zu ergänzen ist, dass „die zwischen Nationalkonservatismus und Rechtspopulismus changierenden Architekturentwicklungen kein deutsches Spezifikum, sondern ein globales Phänomen“ sind. Habe doch etwa Präsident Donald Trump für Neubauten der US-Bundesbehörden den Klassizismus als verbindliche Stilvorgabe verfügt, und wie ganz aktuell aus Polen zu erfahren ist, gehörte es zu den ersten Maßnahmen der neuen liberalen Administration, den von den nationalistischen Vorgängern betriebenen plakativen Wiederaufbau des barocken Sächsischen Palais im Zentrum Warschaus abzusagen. „Angesichts der spezifisch deutschen Geschichte aber“, lässt Oswalt nicht locker, entwickeln derart konservative Tendenzen „eine besondere geschichts- und erinnerungspolitische Brisanz.“ (Seite 41).

Populismus?

Womit wir beim „Populismus“ wären, einer Vorzugsvokabel des Autors, die ihm mangels inhaltlicher Klärung aber meist nur zum Abwatschen missliebiger Akteure und Positionen taugt: Als „geschichtspopulistisch“ gelten ihm das wertkonservative Warenspektrum von Manufactum genauso wie Hans Stimmanns ‚Berlinische Architektur‘, die pro Frankfurts neue Altstadt votierenden ‚Freien Wähler‘ wie auch das Weltbild des die Berliner Schlossattrappe durchboxenden Helmut Kohl. Bei passender Gelegenheit leitet der Schandbegriff sogar in einen Crashkurs zum allgemeinen Thema Rekonstruktion über: Geschichtspopulisten würden da auf „visueller Authentizität“ bestehen, „in der die äußere Erscheinung eines verloren gegangenen Bauwerkes anhand von historischen Fotografien möglichst exakt nachgebildet wird. […] Den Anforderungen der Gegenwart wird im Inneren durch die Neugestaltung Rechnung getragen, während auf die Fassaden die quasi in Stein und Putz geplotteten historischen Fotos appliziert werden.“ (S. 183) Erfordere also die Neufassung der Interieurs weiterhin klassische Architektenarbeit, so käme die Drapierung der äußeren Gestalt „ohne Architekten“ aus, weshalb Oswalt, Venturis ‚dekorierten Schuppen‘ noch übertrumpfend, von der „Wiedergeburt der Außenarchitektur aus der Fotografie“ spricht (ebenda).

Haus Gropius, Dessau. (Foto: Wikimedia Commons, Spydrosrakopoulos)

Haus Gropius, Dessau. (Foto: Wikimedia Commons, Spydrosrakopoulos)

„Reflektierte Aneignung“

Während in landläufigen Debatten ‚Geschichte‘ als ein jeweils willkürlich ‚eingefrorener‘ Vergangenheitszustand beschworen wird, findet Oswalt die eigentliche baugeschichtliche Tradition des Rekonstruierens von jenen Architekten gewahrt, deren Entwürfe als umstrittene Provokationen von sich Reden machten – Kuehn Malvezzi mit ihren stucklosen Rohziegelwänden beim Berliner Schloss etwa, oder eben Bruno Fioretti Marquez Architekten (BFM) bei den Dessauer Meisterhäusern. Deren aus heutiger Sicht frei interpretierende Abwandlung des Originals wird vom Autor als „reflektierte Aneignung des Erbes“ mit Nachdruck empfohlen (Seite 194).

2405_Lernort Garnisonkirche_Künstl. Vorschlag Ph. Oswalt_St.Schuhmann_2020

Kunstprojekt von Philipp Oswalt und Steffen Schuhmann

Womit die Revue der umstrittenen Rekonstruktionen ihre Zielgerade erreicht. Oswalt will – anders als die eingangs erwähnte Kunsthistorikerin – Denkmalfragen ausdrücklich nicht wertfrei diskutieren. „Architektur war von jeher eine wesentliche Kulturpraxis, sich mit der eigenen Geschichte und ihrem baukulturellen Erbe reflexiv ins Verhältnis zu setzen. Das dafür erforderliche Geschichtsverständnis basiert auf Wertefragen und kann nicht durch eine verwissenschaftlichte Denkmalpflege oder eine technizistische Rekonstruktion ersetzt werden.“ (Seite 195). Und an Dessaus neuen Meisterhäusern wird er fündig. Am Konzept der ‚präzisen Unschärfe‘ der Wettbewerbssieger BFM Bruno Fioretti Marquez fasziniert ihn das subjektive Handeln heutiger Zeitgenossen, die nicht ein verlorenes Original, sondern die Erinnerung an das Unwiederbringliche zum Zentrum der historischen Aussage erheben: „Der Rückbezug auf Geschichte ist ein kultureller und geistiger Prozess, in den sich – gewollt oder ungewollt – die eigene Zeitgenossenschaft und Subjektivität einschreibt.“ (Seite196). Das also wäre er dann, „zwischen radikalem Substanzerhalt und fotorealistischer Nachschöpfung“ ein ‚dritter Weg‘, der allerdings vom Publikum ganz erhebliches Abstraktionsvermögen fordert. Für den Spezialfall der ohnehin reichlich sublimierten Bauhaus-Bauten mag solch geistiger Aufwand vielleicht zumutbar sein; für ein allgemeines Ansehen von Architektur scheint so viel Bereitschaft zum Mitwissen und Mitdenken wohl eher illusionär. Was nicht heißen soll, es mit Vernunft und Witz nicht doch immer wieder mal zu versuchen.

Buchtitel

Philipp Oswalt: Bauen am nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik. Vorwort von Max Czollek. 240 Seiten, mit 18 Abbildungen, Berlin (Berenberg Verlag) 2023; ISBN 978-3-949203-73-2, 22 Euro, auch als E-Book erhältlich


Am 26. Februar 2024 diskutieren an der Akademie der Künste in Berlin um 19 Uhr: Aleida Assmann, Harald Bodenschatz, Max Czollek und Philipp Oswalt. Es moderiert Johanna M. Keller.
Informationen >>>


Zum Weiterlesen:
– 1997: Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz (Hrsg.): Rekonstruktion in der Denkmalpflege. Überlegungen – Definitionen – Erfahrungsberichte. Schriftenreihe Band 57, 1: 1997
– 2004: Ursula Baus: Zwei Aspekte des Umgangs mit Geschichte: Kommerzialisierung und ideologische Ausbeutung. Cloud Cuckoo,8. Jg., Heft 2, März 2004 (Online: https://www.cloud-cuckoo.net/openarchive/wolke/deu/Themen/032/Baus/baus.htm)
– 2005: Jan Friedrich Hanselmann (Hrsg.): Rekonstruktion der in der Denkmalpflege. Texte aus Geschichte und Gegenwart. Monudothema 04, Stuttgart, 2005
– 2009: Michael Braum, Ursula Baus (Hrsg.): Rekonstruktion in Deutschland. Positionen zu einem umstrittenen Thema. BSBK, Basel/ Boston/ Berlin 2009, ISBN 978-3-0346-0067-5
– 2010: Uta Hassler, Winfried Nerdinger (Hrsg.): Das Prinzip Rekonstruktion. Zürich 2010, ISBN 978-3728133472
– 2010: Winfried Nerdinger (Hrsg.): Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte. München 2010, ISBN 978-3791350929 (https://webarchiv.typo3.tum.de/AR/fak-ar/publikationen-archiv/bp-2010/geschichte-der-rekonstruktion/index.html)
_ 2010: Adrian von Buttlar, Gabi Dolff-Bonekämper, Michael S. Falser, Achim Hubel, Georg Mörsch: Denkmalpflege statt Attrappenkult. Gegen die Rekonstruktion von Baudenkmälern – eine Anthologie. Bauwelt Funbdamente, 146, 2010


1) Wolfgang Bachmann: „Irgendwie historisch“ über Eva von Engelberg-Dočkal: „Neo-Historismus? Historisierendes Bauen in der zeitgenössischen Architektur“. Berlin 2023

2) Unter diversen Publikationen hier vor allem zu nennen: Stefan Trüby: „Wir haben das Haus am rechten Fleck“ in: FAZ vom 8. 4. 2018