Erich Schneider-Wessling an seinem 80. Geburtstag © Foto: U.Nerger
Erich Schneider-Wessling war ein Pionier. Seine Wohnbauentwürfe waren ihrer Zeit voraus, seine Architektur fördert Kommunikation, der Bezug zu Umwelt und Landschaft ist in seinen Gebäuden gestaltprägend. Wofür er eintrat, ist unverändert aktuell geblieben.
Am 28. September ist der Architekt Erich Schneider-Wessling in Köln gestorben. Geboren wurde er 1931 im Oberbayerischen Weßling, den Namen dieses Ortes hängte er später in der Schreibweise mit Doppel-S seinem vielleicht zu gewöhnlichem Nachnamen an. Nach dem Architektur- und Bauingenieurstudium an der TU München ermöglichte ihm ein Fulbright-Stipendium 1956 eine Reise in die USA. In Los Angeles studierte und arbeitete bei Richard Neutra, später auch bei dessen Lehrer Frank Lloyd Wright, bevor er für zwei Jahre im Büro von Miguel Casas Armencol in Venezuela beschäftigt war.
Zurück in Deutschland fand er 1960 im Fluxus-bewegten Köln eine neue Heimat. Sein Büro wurde zur „Ambulanzgalerie“, zu seinen Freunden und Verwandten im Geiste gehörten hier Yona Friedmann, André Thomkins, Eckhard Schulze-Fielitz und Karlheinz Stockhausen, mit denen er neue Architektur- und Stadtkonzepte diskutierte. Eines seiner ersten Projekte war 1962 das Labyr, ein Wohn- und Studiogebäude für Stockhausen in Kürten. Sechseckige Räume fügten und durchdrangen sich zu einem Labor/Labyrinth für eine Künstler-WG. Dieses experimentelle Gebäude wurde der Auftakt für eine Reihe außergewöhnlicher Einfamilienhäuser der Kölner Szene, deren unkonventionelle Vorstellungen vom Wohnen und Arbeiten Schneider-Wessling mit der in Kalifornien geprägten Ideologie samt Formenschatz eine neue, filigrane Gestalt geben konnte. So machte sich der junge Architekt mit den flexiblen Grundrissen, den gestaffelten oder fließenden Räumen, bald einen Namen, seine Werke bezeichnete er als Reale Architektur.
1966 baute er gemeinsam mit Zeki Dinekli das Gästehaus der Alexander von Humboldt Stiftung in Bonn-Bad Godesberg. Doch fügte er in den historischen Bestand des Villenviertels nichts klassisch-passendes ein, sondern etwas Visionäres und damit zunächst Ortsfremdes. Unterschiedliche Wohnungen fügte er übereinander und nebeneinander zu einem Komplex zusammen, sie waren koppelbar und durch die weitgehende Auflösung der massiven Außenwände auf Kommunikation mit den Nachbarn, auf Licht und Luft ausgelegt. Verschiedenartigkeit war wichtig, mit Vorhängen und beweglichen Wänden ließen sich die Einheiten individuell gestalten, Begegnungen in gemeinsam genutzten Räumen Teil der Planung. Was heute in vielen Städten von Baugruppen realisiert wird, war Mitte der 60er Jahre vollkommen neu. Und dafür steht der Bau, dessen Wohnungen inzwischen an private Eigentümer verkauft wurden, inzwischen unter Denkmalschutz.
Nach einigen Jahren in denen sie als Werkgruppe 7 gemeinsam an Wettbewerben teilgenommen hatten, gründete Schneider-Wessling mit Peter Busmann die freie Architekten- und Ingenieurgemeinschaft Bauturm, der später auch Godfrid Haberer, Erwin Zander, Walther Ruoff, Peter Trint und andere angehörten. Durch den Zusammenschluss gewannen sie mit ihren Idealen an Größe, behielten sich aber vor auch als Individualisten aufzutreten. Ein charakteristisches Zeugnis diese Zeit ist die Musikhochschule Köln, die Schneider-Wessling gemeinsam mit Peter Busmann und Peter Trint 1973-77 realisierte. Wie eine Schnecke rollt sich der Gebäudekomplex in den Block des Kunibertsviertels: Übehaus, Bibliothek, Verwaltung und Kammermusiksaal münden in einer im Boden versenkten Aula auf deren Dach ein Marktplatz als offener Konzertsaal entsteht. Es ist eine vielgestaltige Raumfolge, eine im Inneren durchaus menschenfreundliche Landschaft in brutalistischer Hülle, ein Stadtbaustein, der offen sein wollte, geprägt von neuen Ideen des Lernens und Lehrens.
Mit dem Projekt Urbanes Wohnen Köln wollte Schneider-Wessling die Ende der 60er-Jahre noch utopisch erscheinenden Ideen wie Mehrgenerationenhaus, Nutzungsmischung, innerstädtische Verdichtung und Partizipation bis hin zum Car-Sharing als Baugenossenschaft in Form eines Terrassenhügelhaus für hundert Familien auf einem Parkplatz im Severinsviertel umsetzen. Doch das Projekt scheiterte, weil es, so sagte er später selbst einmal, von zu vielen Idealen belastet gewesen sei. Doch wesentliche Erkenntnisse und der Wille die städtische Lebenssituation zu verbessern blieben, denn „nur in der Stadt kann der Mensch des 20. Jahrhunderts seine mannigfaltigen Bedürfnisse befriedigen, aber die Städte sind in ihrer Entwicklung hinter dem allgemein erzielten Fortschritt zurückgeblieben.“
Gebaut wurde 1974 das in der Josephstraße gegenüberliegende Wohn- und Bürohaus. Dass er darin sein eigener Proband werden würde, war nicht geplant. Doch als der Bauherr absprang, zog der Architekt mit Büro und siebenköpfiger Familie selbst dort ein. Ideen, wie die Stadt zu einem menschlichen Lebensraum werden könnte, hatte er viele, zu viele wie er selbst später sagte. Einige dieser Ideen konnte er bei dem Bau des Hauses in der Josefstraße umsetzen, mit den Behörden musste er allerdings zwei Jahre um die Baugenehmigung streiten. Es hätte ein Holzbau werden sollen, doch erlaubt wurde nur Beton. An Decken und Wänden bleibt er sichtbar, Bauteile aus Holz ergänzen ihn, wo immer es möglich ist. Über dreizehn Ebenen erstreckt sich die Wohnlandschaft, halbgeschossig gegeneinander versetzt, treppen sie sich vom Keller bis zum Dach nach oben. Die beiden unteren Büroetagen besetzen das gesamte Grundstück, den damit verlorenen Garten ersetzt die darauf liegende große Terrasse vor der Wohnküche. Nach unten gelangt das Licht über Oberlichter, die oberen Etagen dagegen suchen den Kontakt nach draußen. Verglaste Fassaden vorne und hinten öffnen die Räume, Erker und Terrassen lassen sie so weit wie möglich in den Stadtraum vordringen. Dort ist das Gegenüber nicht fern, vor Blicken und allzuviel Sonne schützen nur Knöterich und Glyzinie, die Pergolen und Fassade beranken. Auch der Innenraum des Hauses ist mit Fenstern statt massiver Wände offen, licht und kommunikativ gestaltet. Vierzig Jahre nach dem Bau dieses Hauses ist der fortschrittliche Geist seines Schöpfers noch immer zu spüren. Seine Grundhaltung, Konventionen konsequent zu hinterfragen, hat er bei keinem seiner Projekte, egal ob Schule, Büro oder Wohnhaus aufgegeben – so lange, bis sie für uns schon fast zur Normalität geworden sind.
Eines seiner letzten Projekte ist das 1995 fertig gestellte Verwaltungsgebäude für die Deutsche Bundesstiftung Umwelt in Osnabrück. Auch dies ist wieder Beispiel dafür, dass künstlerischer Raum und Landschaft in Einklang zu bringen sind, wenn auch nicht mit konventioneller Denk- und Bauweise. Bei der Einweihung des Gebäudes wandte sich Schneider-Wessling an die Bauherren: „Danke, dass Sie dieses Experiment gewagt haben. Ich wünsche Ihnen und uns, dass es gelingt.“
Wir alle, die heute planen und bauen, verdanken Erich-Schneider-Wessling Gedanken und Bauten, die ihrer Zeit weit voraus waren. Mit Mut und großem Engagement gelang es ihm nicht nur private, auch öffentliche Bauherren von seinen neuen Ansätzen zu überzeugen. In diesem Sinne möchten wir sein Andenken wahren.
Uta Winterhager
Ehrungen: 1969 wurde Erich Schneider-Wessling in den Deutschen Werkbund berufen. Ab 1972 hatte er die Professur für Stadterneuerung und Wohnen an der Akademie der Bildenden Künste München inne, wo er 1978 den Reichenauer Architekturkreis („Reale Architektur“) gründete. 1988 war er Gastprofessor am Massachusetts Institute of Technology. Seit 1999 war er Mitglied der Akademie der Künste in Berlin.