• Über Marlowes
  • Kontakt

Politik, Positionen und Posten


Koalitionsgerangel, Landes-Wahlkämpfe, Personal-Querelen: Wenn noch dieses Jahr eine handlungsfähige Regierung zustande kommen wird, werden Ministerien neu zugeschnitten; neu erfunden und programmatisch profiliert. Fragen zu Stadt, Landschaft, Bauen, Energiewende und Digitalisierung drängen sich für die nächsten vier Jahre auf.


Er sieht leidend und gerupft aus, der amre Bundesadler (Bild: Bundesregierung.de)

Er sieht leidend und gerupft aus, der arme Bundesadler. Irgendwas bekommt ihm nicht … (Bild: Bundesregierung.de)

Bevor in Niedersachsen am 15. Oktober gewählt sein wird, tut sich in jeglichen Vorbereitungen für eine neue Bundesregierung offiziell: nichts. Wahltaktische Risiken will niemand eingehen, aber hinter den Kulissen wird schon über Schattenkabinette und vieles mehr verhandelt, was in den eingangs genannten, planungsrelevanten Bereichen Konsequenzen haben wird. In schnelllebigen Zeiten wie diesen steht viel auf dem Spiel – man muss kein Apokalyptiker sein, um die Dimension politischen Handelns wie der Historiker Philipp Blom in seinem Buch „Alles steht auf dem Spiel“ zu sehen.

Bestandsaufnahme

Derzeit gibt es 14 Ministerien, denen nach Wahlen immer mal andere Ressorts und Themen und Personalien zugemutet werden.(1) Was die Zeitläufte dabei mit sich bringen, endet auch in Unübersichtlichkeit und Skurrilem. Ministerien werden deswegen auch abgeschafft, erfunden, neu zugeschnitten. Dann kommt die Energie zum Beispiel in das Wirtschaftsministerium (Ministerin Brigitte Zypries, SPD), die damit auch über die Bundesnetzagentur, Materialforschung, Geowissenschaft und Rohstoffe waltet. Oder das Justizministerium (Minister Heiko Maas, SPD) trägt im Namen explizit den Verbraucherschutz, als ob der Arm des Gesetzes normalerweise nicht in der Lage sei, den Verbraucher zu schützen.

Vierzehn Ministerien – sollten es mehr oder weniger sein? (Bild: https://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/Bundesministerien/bundesministerien.html)

Vierzehn Ministerien – sollten es mehr oder weniger sein? (Bild: https://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/Bundesministerien/bundesministerien.html, Zusammenstellung: marlowes.de)

Oder es kümmert sich ein ganzes Ministerium (Katarina Barley, SPD) um Familien, Senioren, Frauen und Jugend, als ob ein Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Andrea Nahles, SPD) sich mit diesen Mitmenschen nicht befassen müsse. Ein Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Christian Schmidt, CSU) konkurriert mit einem Ministerium, das für Umwelt und einem, das für Gesundheit zuständig ist – und obendrein mit dem bei der Justiz ansiedelten Verbraucherschutz. Ein Ministerium für Bildung und Forschung (Johanna Wanka, CDU) darf die Jugend, die bei Katarina Barley untergekommen ist, eigentlich nicht außer Acht lassen, ein Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Gerd Müller, CSU) muss gut mit dem Auswärtigen Amt (Sigmar Gabriel, SPD) gekoppelt und im Land der Weltmarktführer mit dem Wirtschaftsministerium auf Du-und-Du sein. Aber eigentlich auch die Migration organisieren. Kurz: Die Lage ist vertrackt und unübersichtlich, keineswegs alles scheint in sinnfällige Bahnen gelenkt worden zu sein.

Bauen, Umwelt, Verkehr, Infrastruktur, Kultur … und die Ausschüsse

Um in die Bau- und Planungsbereiche zu kommen: Unter einer Decke stecken derzeit Verkehr und digitale Infrastruktur (Alexander Dobrindt, CSU) sowie Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Barbara Hendricks, SPD). Kultur (Monika Grüters, CDU) ist Angelegenheit im Kanzleramt, und Frau Grütters reduziert sie auf Hauptstadtmarketing, während die Bundesstiftung Baukultur im BMUB angesiedelt und natürlich republikweit unterwegs ist. Die Stiftung könnte, weil sie zum Beispiel auf der Expo Real präsent ist, auch beim Wirtschaftsministerium zuhause sein. Ein Aufschrei ginge durch die Architektenschaft, denn genau dort sitzen die Erzfeinde der Baukultur – oder diejenigen, die Architekten für ihre Feinde halten. Waren doch die Expo-Pavillons der Weltausstellungen immer Zankäpfel zwischen Architektur- und Wirtschaftsinteressen.

Große Runde in Ausschuss-Sitzungen (Bild: DBT/Trutsche/photothek.net)

Große Runde in Ausschuss-Sitzungen (Bild: DBT/Trutsche/photothek.net)

Erhebliche Bedeutung haben ohnehin die gesamten Ausschüsse, in denen „die Arbeit gemacht“ wird. Der 18. Bundestag richtete 23 Ausschüsse zu einzelnen Politikfeldern ein, die nicht deckungsgleich mit ministeriellen Zuständigkeiten sind. Ausschüsse dienen fachlichen Vorbereitungen aller Art und werden unter anderem von Gutachtern beraten oder „informiert“. Sie tagen teils nicht öffentlich, Dieselskandal oder Modernisierung der Netzentgeltstruktur wurden zum Beispiel hinter verschlossenen Türen verhandelt. So weit, so mehr oder weniger gut.

Ex- und interne Sichten

Mit der rasant und unkontrolliert ausufernden Digitalisierung, der Symptomatik des Dieselskandals,  weltweiten Migrationsströmen haben wir es mit politischen Themen zu tun, die bei einer Neuverhandlung von Ministerien und Personalien über ihre Tagesaktualität hinaus eklatant wichtig sind. Sortiert man die politischen Themen des 21. Jahrhunderts, passen die alten Ministerien-Zuschnitte nur noch bedingt. Um Vorschläge zu diskutieren, hörte ich mich nun auch bei Mitarbeitern der Ministerien um, die als Insider einen anderen, kenntnisreichen Blick auf die Strukturen haben. Dort reichten die Vorstellungen von der Reduzierung der Ministerien auf 10 bis hin zu der Idee, der Digitalisierung eine weitere Hierarchie einzuräumen.

Es spricht einiges dafür, in einer Art „Superministerium“ Bauen, Verkehr (=Mobilität), Infrastruktur, Umwelt, Landwirtschaft und Energie zusammenzuführen – vor Alexander Dobrindt, der fürder die bayerischen Landesschäfchen beieinander halten muss, braucht man sich nicht mehr zu fürchten. Die Bereiche eines solchen Ministeriums griffen vielfältig ineinander und müssten vor allem dem Einfluss einer übermächtig gewucherten Agrar-, Auto- und Bauwirtschaftslobby entzogen werden. Ohnehin können sich die immer dreisteren, Pfründe sichernden Einflussnahmen durch (Berufs-)Verbände und Lobbyisten nicht mehr hinter Schloss und Riegel der Abgeordnetenhäuser verbergen lassen. Dankbar müssen wir Initiativen wie Abgeordnetenwatch oder Lobbycontrol sein, die Transparenz bei Machteinflüssen verfolgen. Und bei manchen Parteien (Möwenpick & Co) nicht gut gelitten sind.

Stadt und Land

Es steht zum Beispiel auch ein vernünftiges Gleichgewicht unterschiedlich zu charakterisierender, immobilienwirtschaftlich boomender Städte und peküniär uninteressanter, darbender, aber zum Leben zauberhafter Landstriche an, um das Land im europäischen und global-ökologischen Kontext gut zu „managen“. Immer noch stehen Millionen Wohnungen hier leer, werden Flächen dort für Neubausiedlungen gefressen. Ohne eine radikal schnelle, flächendeckende Versorgung mit Digitalität gelingt eine ausgleichende Strategie weder in Verkehrs-, noch in Bildungs-, Gesundheits- oder sonstigen Versorgungssektoren.

Praktisch? Schön? (Bild: PR_KIT)

Praktisch? Schön? Überflüssig? (Bild: PR_KIT)

Digitalisierung – parteiloser Abschied vom Wachstum

Digitalisierung andererseits muss in ihrem Eingriff in Datenschutzbereiche dringend durch die Justiz geregelt werden. Eine kompromisslose Umrüstung des Landes auf erneuerbare, nichtfossile Energie lässt sich ohne digitalisierte Koordination auch nicht effizient angehen. Obendrein ist – nicht nur hier – die Machtverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zu berücksichtigen. Nichts scheint mehr von der Digitalisierung nicht betroffen zu sein. Sie, die Digitalisierung, dem Wirtschaftsministerium zu überlassen, gliche einer Fütterung der Raubtiere mit Kaviar und Partydrogen. Gäbe es ein „reines“ Ministerium für Digitalisierung, wären dessen Aufgaben und Koordinationszwänge klar. Schade, dass man kein parteiloses Ministerium erfinden kann, dass sich der Digitalisierung im Sinne des Abschieds vom Wachstum widmen könnte, wie wir es kennen und wie es von allen „Wirtschaftsexperten“ zerstörerisch, menschen- und weltfeindlich weiter verfolgt wird. Klimawandel, Flächenfraß, Ressourcenplünderung, Konsumterror – wer glaubt da an sinnvolle „Wachstumssteuerung“?

Migrationsministerium?

Dass Migrantenströme für unsere politische Kultur eine entscheidende Rolle spielen, wissen wir. Aber wie sie zustandekommen, zu lenken und zu empfangen sind, ist zunächst nicht Aufgabe eines Superministeriums im oben angesprochenen Sinne. Also ein eigenständiges Migrationsministerium planen? Ach ja, die Arbeit wird in Ausschüssen erledigt – und in denen sitzen auch die Vertreter der Afd und der Linken. Welch eine Chance, dass Politik nicht allein den Regierenden überlassen wird, sondern auch der Opposition und ohnehin uns allen obliegt.

Raus aus den Klischees ...

Raus aus den Klischees …

… und dann noch 50 % Ladies

Angela Merkel sprach von mindestens 50 % Frauen in den Leitungspositionen der Ministerien. Ursula van der Leyen, Kathrin Göring-Eckhardt, Julia Klöckner, Nicola Beer, Katja Suding – das Damenpersonal der Jamaika-Verhandler ist überschaubar.

Das des männlichen Personals jedoch auch: Peter Tauber, Peter Altmeier, Hans-Peter Friedrich, Christian Lindner, Cem Özdemir, Hermann Otto Solms, Wolfgang Kubicki, Alexander Graf Lambsdorff, Robert Habeck, Anton Hofreiter …



Schwarzbraun, Grün und Gelblich – Tortenrezepte für Jamaika (Bild: Küchenfee)

Schwarzbraun, Grün und Gelblich – Kuchenrezepte statt Tortendiagrammen für Jamaika (Bild: Küchenfee)

Ich halte von Quoten nichts, weil sie Quantitäten vor Qualitäten setzen. Das gilt auch für die ganzen Rankings und (Polit-)Barometerszenarien, die Indizien dafür sind, dass unsere sogenannte Wissensgesellschaft quantifizierenden, reduktiven Statistiken allen qualifizierenden, komplexeren Analysen mehr und mehr vorzieht. Daran krankt auch die Einsicht in aufwändige Analysen und Strategien, man erschöpft sich in der Proklamation von „Sorgen-ernstnehmen“ und „Herausforderungen“. Bla, bla, bla …

Politik ist eine mühsame, eine aufreibende Angelegenheit. Wie jede andere auch. Politikerschelte ist deswegen das Letzte, was hier ansteht. Aber es muss eine transparentere, öffentlichere politische Kultur entwickelt werden, damit der Austausch vernünftiger Argumente die Messlatte unserer politischen Debatten wird.

(1) https://www.bundesregierung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/Bundesministerien/bundesministerien.html