François Mitterand und seine „grands projets“ sind legendär. Sein europäischer Freund Helmut Kohl, mit dem er Hand haltend in Verdun ein geschichtstaugliches Versöhnungsbild abgab, gestand 2001 in einem Gespräch mit dem Autor unumwunden ein, von Architektur nicht viel zu verstehen. „Ich kann mir Bauzeichnungen auch nicht sonderlich gut vorstellen“. Anlass des Gesprächs war der Neubau des Kanzleramtes in Berlin.
Wolfgang Bachmann, der damals Chefredakteur des „Baumeister“ war und inzwischen in Deidesheim wohnt, erinnert sich. Denn Prominente sterben nie allein. Ihre Weggefährten melden sich, um sie mit solidarischen Grüßen zu begleiten. Die Öffentlichkeit fordert man auf, sich an erlebte Orte zu erinnern, um dem Menschlichen in der Größe nachzuspüren.
Weltpolitik und die Orte des Weltgeschehens
Freitag, 16. Juni 2017, Marktplatz in Deidesheim, früher Abend. Die Straßenlokale sind passabel besucht, das Wetter meint es gut. Ein Rundfunkreporter mischt sich unters Publikum und möchte wissen, was man mit dem Ort verbindet, insbesondere mit dem Deidesheimer Hof. Ob man schon einmal drin war, dort essen, wo Helmut die politische Prominenz, die Mächtigen der Welt eingeladen, bewirtet und den Pfälzer Saumagen von der regionalen zur international bekannten Delikatesse geadelt hat. Spürt man hier Helmut Kohl, seine Aura? Hat er einen bleibenden Abdruck hinterlassen, der über Bildmotive hinausgeht?
Die Meldung von seinem Ableben war erst ein paar Stunden alt. Sind wir ihm jetzt auf einmal nahe, weil er in diesem Gasthaus ein paar Mal Hof gehalten hat? Wird die Metzgerei Hambel in Wachenheim, die ihn als treuen Kunden an der Hauswand verewigte, nun Trauerflor an die Tafel hängen? Wie weiland ganz Colombey-les-Deux-Églises, als Charles de Gaulle verschied?
Kanzler und Couchgarnitur
Sichtbare Spuren hat Helmut Kohl im Bonner Kanzlerbungalow hinterlassen. Dort störte er sich an der Architektur von Sep Ruf, der er mit Teppichen und braunen Cord-Couchgarnituren bürgerliche Gemütlichkeit abgewinnen wollte. Zu gern wäre man Zeuge gewesen, wie er in seine Strickjacke geschlüpft ist und mit Gorbatschow nebst zwei Dolmetschern auf der Couchgarnitur oder seiner Rheinblickterrasse die deutsche Einheit ausgehandelt hat. Was lief zwischen den beiden Politikern wirklich ab, wie nahe konnten sie sich kommen? Halfen Riesling, Rhein oder Ruf?
Bürgernahe Politik ?
Ich habe Helmut Kohl nur ein Mal getroffen, es ging um den Neubau des Kanzleramtes in Berlin. Die Regierungsverantwortung hatte er schon abgegeben, legte aber immer noch Wert auf die Anrede „Herr Bundeskanzler“. So hatte man es mir im Vorzimmer souffliert.
Kohl hatte sein Büro Unter den Linden in den Räumen von Margot Honnecker bezogen. Dort empfing er seine Berliner Gäste. Auf den ersten Blick war er für mich ein Riese, ein Koloss, der kaum in den damenhaft zierlichen Sessel passte, in den er sich dann quetschte. Der Fotograf sollte sofort verschwinden, ordnete der einstige Kanzler an. Bilder nach dem Gespräch, vielleicht. Dafür nahm sein Adlatus Anton Pfeifer Platz, der während unserer Unterhaltung immer wieder einnickte. Er kannte Kohls Monologe, die gestellte Fragen ignorierten. Aber man musste ihn bei Laune halten, also nur zu, Herr Bundeskanzler! Und Kohl sagte, was er von seinem Beitrag, von der Architektur und von Schröder hielt, aber davon erschien nichts im veröffentlichten Interview (Baumeister 6.2001, Seite 55 f.), weil seine Mitarbeiter beim Gegenlesen alles in die Sprache einer Regierungserklärung übersetzt hatten.
Kohl wurde erst gegen Ende freundlich, als ich ihm sagte, dass ich auch aus Ludwigshafen stamme und mein Vater mit ihm, als er – Kohl – Referent der chemischen Industrie und später Ministerpräsident war, einige Male zu tun gehabt habe. Da trug er mir „unbekannterweise Weise Grüße an Ihre Frau Mutter“ auf.
Aber wie soll man Helmut Kohl im Deidesheimer Hof „spüren“? Wenn ich sehe, wie die Bedienungen herumtapern, Tische abräumen, während daneben noch gegessen wird, die Kellner das Wasser aus den Weinkühlern im hohen Bogen in den Marktbrunnen schütten, dann hat das einfach keinen Stil. Es ist unbeholfen. Vielleicht passt das zu Helmut Kohl. Ganz gleich wie groß, wie wichtig und würdig er war, ihm fehlte das Format: Eleganz, Esprit und souveräner Witz. Man wäre so gerne stolz auf seinen Kanzler gewesen. Doch sein Auftritt wirkte immer ein wenig peinlich: wie er sich bewegte, was er sagte und mit seinen geblähten Merksätzen das Kabarett befeuerte. Jakob Augstein resümierte, Kohl habe uns gelehrt, „dass Intelligenz nichts mit Intellektualismus zu tun hat und der Erfolg in der Politik nicht den glänzenden Rednern zukommt“. Soll man diese Erinnerung nun aus Pietät korrigieren? Man hätte Kohl einen langen erholsamen Lebensabend gegönnt – und lieber auf ein Rindviech im Weißen Haus verzichtet.
Weiter führende Inormationen:
– Ob das Wohnhaus von Helmut Kohl in Oggersheim öffentlich zugänglich sein wird, ist unbekannt.
– Das Wohnhaus von Helmut und Loki Schmidt in Hamburg-Langenhorn gehört inzwischen zu einer Stiftung:
www.helmut-und-loki-schmidt-stiftung.de (mit 360-Grad-Präsentation)
– Das Wohnhaus von Konrad Adenauer in Bonn-Rhöndorf ist öffentlich zugänglich.