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„So baut Deutschland“ – fertig ist die Kiste

Marktgeschrei (2): Schaut man in den einschlägigen Immobilienanzeigen im sterbenden Blätterwald nach sprichwörtlichen „vier Wänden“, erscheinen neben (Wohn-)Häusern, die üblicherweise ein paar Jahre auf dem First und eine irgendwie gewachsene Umgebung haben, tausende Renderings von Fertighäusern, die ruckzuck und zum Festpreis als neues Zuhause gebaut werden können. So proklamieren es zumindest die Anbieter – und bei denen arbeiten: Architekten.

Was interessiert mich, was mein Nachbar baut? Fertighausproduzenten erfüllen alle Wünsche ... (Bild: Ursula Baus)

Was interessiert mich, was mein Nachbar baut? Fertighausproduzenten erfüllen alle Wünsche. In diesem norddeutschen Neubaugebiet geht es toskanisch mit Risalit und Säulchen zu, Risalit-Varianten in Ziegel tauchen auf, skandinavische Holzfassaden mit weißen Fensterchen und unglaublich Banales stehen genauso dazwischen wie die obligatorischen Doppelgaragen sowie Stellplätze. (Bild: Ursula Baus)

Endlich müssen wir mit dem Klischee aufräumen, dass, wenn Architekten beteiligt seien, alles Baukultur werde. An diesen Fertighäusern sind selbstverständlich Architekt/inn/en beteiligt. Was einem Niveau von „Ich-bau-Dir-was-Du-willst“ entspricht, zelebriert in diesem Architektursortiment die lachhafte Idylle „Mein Haus, mein Auto, meine Frau“.

Und wir können uns schon vorstellen, wie ein verbitterter Schalk von Architekt am CAD-Programm sitzt und dabei die Rache an seiner – einstigen – Frau in seinem teuflischen Sinn hat, die vielleicht mit einem Besserverdienenden davongesprungen ist. Der ihr ein „Traumhaus“ versprach und nicht etwa eine Hütte, die architekten-like den Genius Loci, die ökologisch sinnvolle Nachverdichtung, die Materialien der Umgebung und wer-weiß-welche Architekturqualitäten aufweist.


 

 

 

 

Oben: Minerga Fertighaus "Cento". Unten: Quoka Fertighaus "Villa", kfw55. (Bilder: Anbieter)

Oben: Minerga Fertighaus „Cento“.
Der Architekt mag sich an Palladios Rotonda erinnert haben – mit dem anbauähnlichen Turm hinten rechts in der Visualisierung ist aber etwas schief gelaufen. Unten: Quoka Fertighaus „Villa“, kfw55.
Auch hier lässt Palladianisches winken – rechts im Seitentrakt die Einliegerwohnung oder die Garage? (Bilder: Anbieter)

 

In den Immobilienanzeigen tauchen – vielleicht aus Furcht vor feministischem Furor – meistens keine (Haus-)Frauen auf. Es kann aber auch sein, dass dort, wo Männer in einer frühen Phase der Familiengründung für ein Haus tief in die Tasche greifen und sich verschulden sollen, keine Damen zu sehen sind, weil Mancher sie – analog zu den Auto-Anzeigen – im Preis inbegriffen wähnen könnte. Dabei geht es der Fertighaus-Branche richtig gut: 2015 war ein Rekordjahr, 2016 dann auch wieder eins, und eingedenk der neuen Gesetzesänderung aus dem BMUB zur erleichterten Ausweisung von Neubaugebieten reiben sich die Fertighausbauer auch 2017 die Hände. Die Werbesprüche für den Bauchladen von Haustypen changieren zwischen dumm und dreist, und wenn man liest: „So baut Deutschland“, möchte man einem Scheusal wie Donald Trump rechtgeben: Die Welt ist voller Lügen. Übrigens liegen die Bremer laut „statista“ mit einem Anteil von 33 Prozent Fertighäusern am gesamten Neubau an der Spitze. Niedersachsen bietet mit nur 7,2 Prozent offenbar nicht den richtigen Markt für die Fertighausindustrie. Doch mit einem flächendeckenden Netz aus sogenannten „Fertighaus-Welten“ möchte die Branche: wachsen. Was sonst. Der „Festpreis“ deutet die finanzielle Sicherheit des Fertighauses an – kostet es doch, wenn (freie) Architekten bauen, stets mehr als angekündigt …

Zeile einer norddeutschen Ferienhaussiedlung (Bild: Ursula Baus)

Zeile einer norddeutschen Ferienhaussiedlung (Bild: Ursula Baus)

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Bild: Wilfried Dechau

So baut Deutschland? Neulich sind wir durch eine Ferienhaussiedlung spaziert – ein Spießroutenlauf für jemanden wie mich, die ich seit Jahrzehnten im Sinne einer gesamtgesellschaftlich relevanten guten Architektur schreibe. Das Wochend- und Ferienhausgebiet führt die ästhetischen Vorlieben unserer Mitmenschen vor Augen und lässt sich als Manifest dafür lesen, dass wir in unserer individualisierten Gesellschaft wenig Gemeinschaftsorientiertes ausrichten können. Meine großherzige Mutter zuckte bei passenden Gelegenheiten mit den Achseln: „Jedem Tierchen sein Pläsierchen“. Unser einstiger Verlags-Geschäftsführer sagte gern: „Der Köder muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler“. Immerhin werden im Ferienhausgebiet auch jene Lügen gestraft, die Säulen und Pilaster als Garanten klassischer und damit gemeinschaftsakzeptierter Baukunst propagieren. Lassen wir uns zu der These hinreißen, dass Bauen, das immer Spuren im öffentlichen Raum hinterlässt, irgendwann weder eine Privat- noch eine Marktsache sein darf? Nein, das geht natürlich nicht, die Bürgerbeteiligung schiebt sogar den Mitbürgern einen Riegel vor, wenn sie sich als Nachbarn outen.

Anzeige eines Fertighausanbieters: Schwarz-rot-gold weist der Hersteller auf die nationale Qualität des Gebäudes (Bild: Hersteller)

Anzeige des Fertighausanbieters: Schwarz-rot-gold weist der Hersteller auf die nationale Qualität des Gebäudes (Bild: Hersteller)

Und damit zurück zur Fertigkiste à la Katalog. Wie baut Deutschland? „Marktforschung ist das Ende der Kreativität“. Meinte Otl Aicher (Jahrgang 1922), der 1991 beim Rasenmähen zuhause in Rotis von einem Motoradfahrer erfasst wurde und an seinen Verletzungen starb.