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Der Run auf die Metropolregionen hat seine Kehrseiten, die ländlichen Regionen müssen deswegen jede Chance nutzen, die sich ihnen bietet. Drei Kammergruppen der AK Rheinland-Pfalz haben dazu ein neues Format gestartet. Es heißt „Local Heroes“ und stellt Initiativen vor, die sich erfolgreich sowohl gegen das Ausbluten als auch das Zersiedeln ländlicher Räume wehren.


Die neuen Bewohner eignen sich den Altbau pragmatisch und mit Wertschätzung an. (Bild: Wolfgang Bachmann)

Die neuen Bewohner eignen sich den Altbau pragmatisch und mit Wertschätzung an. (Bild: Wolfgang Bachmann)

Die erste Location – um beim Anglophonen der Headline zu bleiben – lag in Ebertsheim. Das liegt zwischen Grünstadt und Eisenberg, was überregional aber auch nicht geläufiger ist. Der Ort hat 1200 Einwohner. Sein größter Arbeitgeber war bis Anfang der 1980er-Jahre eine maßstabssprengende Papierfabrik, die nach dem Bankrott der Firma leer stand und einer ruinösen Zukunft entgegendämmerte. Dann fanden sich zwanzig Interessenten zusammen, die das 50.000 Quadratmeter große Areal für eineinhalb Millionen DM ersteigerten. Die Gruppe firmierte als Technologie- und Ökologie-Betriebe GmbH & Co. KG. So umständlich der Name, so schwierig die juristische Konstruktion, die Definition von Gemeinschafts- und Sondereigentum, von Wohninteressen und geschäftlicher Ambition. Wer mitmachen wollte oder sich der seit über dreißig Jahren bestehenden Initiative noch anschließen möchte, darf in dem Lebens- und Arbeitsbiotop ein Jahr zur Probe wohnen, und falls er mit den Altvorderen auskommt und sie mit ihm, zahlt er eine Einlage von 10.000 Euro und darf in seinen vier Wänden auf fremdem Grund und Boden bosseln. Dies ist die saloppe Version, die in jedem Winkel des Fabrikanwesens einer speziellen Auslegung bedarf.

Welche Arbeit

In der Rettung alter Bausubstanz steckt viel, sehr viel Arbeit. Jegliche Bereitschaft, sich dabei zu engagieren, muss man anerkennen. (Bild: Alte Papierfabrik Ebertsheim)

Denn in der Gebäudesubstanz gibt es jede Typologie, die im Lauf von 150 Jahren irgendwann erforderlich war und dem Architekturkolorit der Zeit entsprochen hat. Also Fabrikantenvilla, Angestelltenwohnungen, Pferdeställe, Produktionshallen, Materiallager, Werkstätten und ein Kraftwerk mit beeindruckendem Schlot. Die Gebäude zeigen überwiegend ihre roten Ziegelfassaden, zur Neuzeit hin mit abnehmender Ambition für schmückende Details. Darin haben sich die (wechselnden) Besitzer eingenistet, haben an- und umgebaut, ausgebeint und aufgestockt, alt saniert und neu errichtet – dennoch liegen viele Räume brach, sind vollgestellt und zugemüllt, weil man sich auf keine bessere Nutzung hat einigen können. Selbst ein mittlerweile zerfallendes Schwimmbad, das man in einem ehemaligen Klärbecken angelegt hatte, gehört dazu.

Das Ensemble wurde zeitgenössischen Ansprüchen angepasst, aber nicht überformt. (Bild: Wolfgang Bachmann)

Das Ensemble wurde zeitgenössischen Ansprüchen angepasst, aber nicht überformt. (Bild: Wolfgang Bachmann)


Um vorzeigenswerte Architektur geht es auch gar nicht, das weiß auch die Kammer. Beachtenswert ist das Projekt als eine Möglichkeit, in einem Dorf einen absterbenden Lebensmittelpunkt zu revitalisieren. Die Dorfbewohner waren nicht von Anfang an glücklich, die angestammten Nachbarn reagierten skeptisch, wie der Bürgermeister bei einer Diskussion erinnert. Früher gab die Fabrik eben Arbeit und Brot, dann kamen ein paar Intellektuelle und wollten ihren Haushalt ausbreiten. Aber das stimmte nicht ganz. Ein Landschaftsarchitekt arbeitet hier, eine Soziologin, ein Bildhauer, ein Anlageberater, ein Imker. Es gibt das Programm einer Bildungsinitiative, die Schulen und Betrieben das Abenteuer Natur und Umweltzusammenhänge nahe bringt. Ein Kino zeigt politische Filme, Kunstausstellungen; Workshops und Feste locken Besucher an. Und für andere Gründergruppen existiert ein Coaching-Angebot, wie man ein selbstverwaltetes Wohnprojekt auf die Beine stellt. Manche Bewohner engagieren sich eben mehr, manche trifft man nur beim Wäscheaufhängen zwischen Blockheizkraftwerk, Pelletsbrenner und Solaranlage.

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Alte Pulverfabrik in Rottweil (Bild: Wikipedia, Andreas König)

Dass es auch anders möglich ist, konnte man in einem Vortrag über die ehemalige Pulverfabrik in Rottweil, vulgo Gewerbepark Neckartal, erfahren. Dort hat man die Denkmalpflege in Anspruch genommen, Fördermittel akquiriert und ein Gesamtkonzept entwickelt – vor allem der letzte Punkt fehlt in Ebertsheim. Doch eine verbindende alternative Romantik kann man dem Projekt nicht absprechen. Wenn man durch die grüne Hölle hinter den Häusern streift, wo bunte Zirkuswagen zwischen Gemüsebeeten und einer Backofen-Laube abgestellt sind, erinnert es an die Freistadt Christiania. Nur die Haschisch-Schwaden fehlen. Es geht bürgerlich zu. Sogar die Deutsche Bahn ließ sich erweichen und hat die stillgelegte Strecke über Ebertsheim wieder eröffnet. Die neuen Papierfabrikler haben ringsum Anschluss gefunden.

http://www.alte-papierfabrik.de/