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Mit einer Ausstellung zu Günther Domenig (1934-2012) rückt ein Aspekt der Architekturentwicklung in den Blickwinkel, der selten thematisiert wird: Schöpfer und Schöpfungshelfer. Günther Domenig war ein Getriebener. Leidenschaftlich, streitbar und unerbittlich legte er an sich und seine Architektur den Superlativ als Maßstab an. Diese Meistererzählung klammert aber alle aus, die ihn unterstützten. Zeit für eine Korrektur.

Der Ausstellungsraum im Kunsthaus Mürz (Bild: Thaler)

Die Ausstellung „Wir Günther Domenig. Eine Korrektur“ holt das nach –  zu sehen im Kunsthaus Mürz in Mürzzuschlag, auf halber Strecke zwischen Wien und Graz. Kurator Michael Zinganel kann aus dem Vollen schöpfen. Er studierte an der TU Graz, als Domenig dort Professor war, sein Bruder war eine tragende Säule in dessen Büro. Die Ausstellung folgt nun den Spuren derer, die Domenigs Karriere ermöglicht haben – eine ganze Ära lebt wieder auf.

Schon der Ort ist eine Zeitreise mitten in die frühen 1990er Jahre: Der Grazer Architekt Konrad Frey setzte das Kunsthaus Mürz als prononciert gegenwärtiges Architekturimplantat von 1988 bis 1991 in die frühbarocke Klosterkirche der Franziskaner. Viele planungsaufwändige, maßgeschneiderte Detaillösungen machen es zur perfekten Bühne für die Ausstellung „Wir Günther Domenig. Eine Korrektur.“ Kurator Michael Zinganel zeigt anhand einer Fülle unterschiedlichster Exponate, wie viele Menschen im Hintergrund dazu beitrugen, Günther Domenig zur überlebensgroßen Architektengestalt werden zu lassen.

"Domenig denkt." (Bild: *)

„Domenig denkt.“ (Bild: AZW)

Mitarbeiter:innen, Prominente, Politiker, Politiker:innen, Fotograf:innen, Journalist:innen, leidenschaftliche Metallbauer, Studierende, avantgardefreundliche Unternehmen wie Humanic, Betriebe wie Metallbau Treiber und AluKönigStahl: Hinter Domenig stand eine ganze Armada an Menschen. Sie alle kamen in den letztjährigen Ausstellungen zu dessen zehntem Todestag kaum vor. Zeit für einen Nachtrag. „Günther Domenig war ein kraftvolles, rüpelhaftes Genie, er entsprach einem toxischen Männerbild“, sagt Michael Zinganel. Damals war das noch absolut salonfähig. „Seine Laufbahn hat sehr ,normal‘ begonnen, er war auf der HTL, hat in Graz Architektur studiert, ist viel gereist. Erst nach und nach hat er sich zum Rebell und Künstlerarchitekten entwickelt.“

Genese von Domenigs Steinhaus (Bild: AZW)

Genese von Domenigs Steinhaus (Bild: AZW)

Eigensinn

Er war so eigenständig, unbequem, sperrig und genial wie sein Opus Magnum, das Steinhaus in Steindorf am Kärntner Ossiachersee. Es ist ein Manifest des ständigen Ringens mit dem Überanspruch an sich und seine Architektur, der Nazi-Vergangenheit seiner Eltern und seiner Hassliebe zu Kärnten. Domenigs Person, Leben und Werk sind der Stoff, aus dem die Mythen sind. „Ich stehe vor der Grenze der technischen und auch meiner finanziellen Möglichkeiten. Es gibt keinen Ausweg, keinen Weg zurück“, zitiert ihn die Website seines Steinhauses. „Ich spüre die Ausweglosigkeit der eigenen Konsequenz. Je besser ich bin, je besser jeder einzelne Schritt wird, desto härter wird der nächste, vielleicht stürze ich damit.“ Ein Hang zu Pathos und Selbstüberhöhung ist dem nicht abzusprechen, Domenig war immer ein Mann auf dem Weg in den Architektenolymp. Diesen Weg beschritt er bei weitem nicht allein.
Hermann Eisenköck, der als erster bei ihm diplomiert hatte, baute die Bürostruktur am Grazer Sparkassenplatz auf und wurde 1986 Partner, 1988 gründete er mit Domenig und Herfried Peyker die Architekturconsult, später kam Gerhard Wallner dazu. Ohne eine höchst kompetente Mitarbeiterriege wären große Wettbewerbe, Projekte wie das Landeskrankenhaus Graz und das Wiener T-Center nie zu stemmen gewesen. Domenig rekrutierte sie von der Technischen Universität in Graz, wo er Professor war und holte die besten Studierenden in sein Büro. Klaus Kada zählt dazu, Peter Zinganel arbeitete zehn Jahre dort.

Architekt Wolfdieter Dreibholz, erst ein umtriebiger Assistent für Kunstgeschichte an der TU Graz, dann in der Baukulturabteilung ein Inkubator für experimentellen Wohnbau in der Steiermark unterstützte ihn sehr. Landeshauptmann Josef Krainer junior bekannte sich zu seiner Architektur, der ÖVP-Politiker und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel intervenierte, um die Fertigstellung des Steinhauses zu sichern, auch Andreas Pulides, Vorstandsvorsitzender von AluKönigStahl steuerte einen nennenswerten Betrag bei. 2004 schlug Schüssel Domenig für den „Großen Österreichischen Staatspreis“ vor und hielt selbst die Laudatio.

Am Modell der Kirche Oberwart. Domenig (rechts) erklärt. (Bild: AZW Wien)

Am Modell der Kirche Oberwart. Domenig (rechts) erklärt. (Bild: AZW Wien)

Domenigs Karriere begann als Duo mit dem etwas älteren Architekten Eilfried Huth. Den Auftrag, für eine regionale Siedlungsgenossenschaft eine Studie für eine Wohnanlage in der Ragnitz zu erstellen, nutzten sie dazu, ihre Megastruktur der „neuen Wohnform Ragnitz“ zu entwickeln. Dieses metabolistisch anmutende Habitat wurde zwar nie gebaut, aber international rezipiert und machte sie mit einem Schlag berühmt. Die Pläne sind ausgestellt, man versteht die große Resonanz. Gemeinsam mit Huth plante Domenig auch die Katholische Kirche Oberwart (1966-69) und den bahnbrechenden Mehrzwecksaal der Schulschwestern in Graz-Eggenburg (1974 – 77). Projektleiter war damals Volker Giencke.
Zinganel selbst studierte an der TU Graz Architektur, die damals mit ihren legendären Zeichensälen ein Inkubator für Kreativität war. Domenigs dortige Professur begann fulminant. Er hatte COOP Himmelblau zum Gastvortrag geladen, der mit einer Aktion endete. Dem Flammenflügel im Hof der TU Graz und dem Manifest „Architektur muss brennen!“ Passender geht nicht. Domenig lud viele inspirierende Zeitgenossen zu Gastvorträgen – Peter Murray, Christo, Walter Pichler, Frei Otto und viele andere. „Domenig schöpfte nicht alles aus sich selbst heraus, er nahm viele zeitgenössische Einflüsse auf und gab sie mit diesen Gastvorlesungen auch an seine Studierenden weiter“, sagt Zinganel. Erst den zwölften hielt er selbst. Er wurde „trotz langer Vorbereitungszeit keine programmatische Vorlesung zur Gebäudelehre, sondern ein klassischer Werkvortrag, in dem er keine fertigen Bauten, sondern in penibler Genauigkeit ausschließlich den Entwurfsprozess der aktuell in Arbeit befindlichen Projekte vorstellte, insbesondere anhand des damaligen Zwischenstandes des Steinhauses – untermauert mit selbstformulierter Theorie (oder Poesie).“

Anfänge

Die Texttafel zu seiner Kindheit ist kurz und aufschlussreich. Günther Domenig wurde 1934 als einer von zwei Zwillingsbrüdern geboren, der zweite hieß Herbert, eine schwere Geburt. Die Eltern waren überzeugte Nationalsozialisten, der Vater ein NSDAP-Funktionär und freiwillig an der Front. 1945 wurde er von Partisanen hingerichtet, Witwe Gisela zog mit ihren Zwillingen nach Klagenfurt, erfolgreich betrieb sie einen Feinkostladen, den Herbert übernehmen sollte. Günther schickte sie an die HTL nach Villach und dann nach Graz zum Architekturstudium, „erst mit Günthers Berufung als Professor sah sie ihre Entscheidung bestätigt“, steht da lapidar zu lesen. Und: „Den Bau des Steinhauses auf dem Seegrundstück der Familie erlebte sie nicht mehr.“

Günther Domenig, Skizze zum Umbau am Reichsparteitagsgelände in Nürnberg (Bild: AZW)

Günther Domenig, Skizze zum Umbau am Reichsparteitagsgelände in Nürnberg (Bild: AZW)

Der intensiven, schmerzhaften Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte verdankt sich eine der großartigen Arbeiten von Günter Domenig: Er gewann den Wettbewerb zum Dokumentationszentrum am Reichsparteitagsgelände der Nationalsozialisten in Nürnberg. Domenig entwarf ein dynamisches, 130 Meter langes Fachwerk aus Stahl und Glas, das wie ein Pfeil die massiven Kopfbauten der nationalsozialistischen Repräsentationsarchitektur durchdringt. Nachhaltig zerstört es die Symmetrie der unfertigen Kongresshalle von Ludwig und Franz Ruff. Domenings kraftvolle Intervention macht den leeren Monumentalbau aus der NS-Zeit zum Exponat. Er nannte sie nicht ohne Witz einen „Speer im Speer.“

Erfolge

Die Mürzer Ausstellung entwickelt einen Sog – von Thema zu Thema, von Geschichte zu Geschichte. Beispielsweise diese: Der Fotograf Gerald Zugmann war damals – in Analogie zu Julius Shulman – so etwas wie ein Gütesiegel für Architekturqualität. Günther Domenigs Steinhaus fotografierte er erstmals 1988, anlässlich der Ausstellung im Wiener MAK (Museum für Angewandte Kunst), die von dessen charismatischem Direktor Peter Noever initiiert und zum durchschlagenden Erfolg wurde. Damals war das Steinhaus ein Torso und Günther Domenig ein Star. 1999 fotografierte Zugmann das Steinhaus – immer noch work in progress – wieder, das fertige wollte er nicht mehr ablichten.

 

Günther Domenig, Skulptur "Nix nuz nix" (Bild: AZW)

Günther Domenig, Skulptur „Nix nuz nix“ (Bild: AZW)

Eine Texttafel widmet sich der sieben Meter langen Skulptur „Nix – Nuz – Nix“. Herr Tüchler, der beste Mann der innovativen Firma Metallbau Treiber, mit der Domenig oft arbeitete, hatte sie gebaut. Ursprünglich war sie als „Verstärkersituation“ für den Eingang der Bankfiliale der Zentralsparkasse am Dietrichsteinplatz entwickelt worden. Sie erwies sich aber mit 1,5 Millionen Schilling Baukosten als zu teuer und zu groß (!). „Diese ,Abweisung‘ verstärkte allerdings Domenigs Beziehung zu seiner Schöpfung. Der ,Nix-Nuz-Nix‘ wurde zu seinem alter Ego. Der Vogel konnte nicht fliegen, tourte aber von Ausstellung zu Ausstellung und landete schlussendlich als Lichtobjekt im großen Kubus des Steinhauses“, steht da zu lesen.

Günther Domenig, Isometrie des Nürnberger Projekts (Bild: AZW)

Günther Domenig, Isometrie des Nürnberger Projekts (Bild: AZW)

Diese Ausstellung profitiert von Günther Domenigs Produktivität und ist weit mehr als eine Hommage an die vielen. Modelle, ikonische, handgezeichnete Pläne und Fotos sind ein ästhetischer Genuss, die Filmdokumente mit Domenig und Wegbegleitern und -begleiterinnen höchst unterhaltsam. Sie machen die Atmosphäre und Arbeitsweise einer Zeit spürbar, die im Regelverstoß noch eine Entwicklungsmöglichkeit sah und keine Angst vor dem Risiko kannte. Die Exponate legen Fährten zu dem Netz an Beziehungen, Förderern und Förderinnen und Unterstützer:innen des Architekten, am launigsten folgt man ihren Verflechtungen bei einer Führung mit Kurator Michael Zinganel. Bleibt nur zu wünschen, dass auch die Karrieren anderer großer Architekten und Architektinnen aus den Perspektiven derer rekonstruiert werden, die ihre Karrieren (mit)ermöglicht haben.


Informationen: https://www.kunsthausmuerz.at/veranstaltungen/wir-guenther-domenig/