• Über Marlowes
  • Kontakt

Noch lange nicht für alle

2304_KF_Umbau_WaffelWeyers

Wegen Umbau geöffnet. Bitte nutzen Sie den Seiteneingang, Konzeptskizze, Claire Waffel, 2022, Ausgangsfoto: Jens Weyers

In Bremen ist eine Ausstellung zu sehen, die lebendig, anschaulich und gut recherchiert zeigt, wie schwer der Weg zur Gleichberechtigung in der Architektur bislang war – und wieviel immer noch zu tun ist.

Bei meinem ersten Besuch der Bremer Schau zu emanzipatorischen Bewegungen in Planung und Raum in Bremen laufe ich zunächst am Ausstellungsgebäude vorbei: Baustelle. Erst etwas später stelle ich fest, dass die hölzerne Einrüstung am Portal des klassizistischen Wilhelm-Wagenfeld-Hauses keiner Sanierung dient, sondern die Intervention Wegen Umbau geöffnet der Künstlerin Claire Waffel ist. Mit ihrer Arbeit erkundet sie den Prozess der Umgestaltung in der Architektur als zukunftsweisendes Thema und interpretiert damit den Ausstellungstitel „Architektur für alle?!“, dessen Interpunktion schon ahnen ließ,  was mein Erlebnis bestätigte: eher nicht für alle zugänglich, zumindest nicht von vorneherein.

Fallstudie Bremen

Die Ausstellung geht auf die Idee der Bremer Architektin Insa Meyer zurück. Sie trat an das Bremer Zentrum für Baukultur (b.zb) mit der Idee heran, die weibliche Architekturgeschichte Bremens zu untersuchen und dies mit einer aktuellen Position zur Chancengleichheit in der Architektur zu verknüpfen. Es formierte sich ein Kurator*innenkollektiv aus Mitarbeiter*innen des  b.zb, der School of Architecture der Hochschule Bremen und Studierenden der Architektur und Geografie. Recherchiert wurde über zwei Jahre zu bremischen Architektinnen, zur Geschichte des Bremer Frauenstadthauses und zur 1992 gegründeten Regionalgruppe der Feministischen Organisation von Planerinnen und Architektinnen, der FOPA Bremen. Eine Mitgliederbefragung der bremischen Architektenkammer gab Aufschluss zur aktuellen Situation geschlechtsspezifischer Belange in der Profession. Weiter formulierten zeitgenössische Architektinnen Positionen, ein weiterer Raum thematisiert queere Räume und stellt die zugehörigen Initiativen und Protagonist*innen vor.


2304_KF_Installation1–Wolff_fotoetage1-2

Nicht leicht zugänglich: Wilhelm-Wagenfeld-Haus mit der künstlerischen Intervention Wegen Umbau geöffnet. Bitte benutzen Sie den Seiteneingang von Claire Waffel (
Fotos: Nicolai Wolff/fotoetage)

Als ich endlich im Gebäude bin und die Hürde „Baustelle“ überwunden habe, trifft mich die Analogie von Claire Waffels Intervention zur erschwerten Zugänglichkeit unseres Berufsstandes für marginalisierte Gruppen schmerzhaft. Ohne zu wissen, wie stark strukturelle Hürden im Einzelfall wirken, frage ich mich, ob eine „Architektur für alle“ tatsächlich so niederschwellig zugänglich wäre wie dieses Haus ohne Baustelle…  Waffels Intervention macht diesen Wahrnehmungs-Gap erlebbar.

Die Installation hat noch einen zweiten Teil. Er macht den Vortragssaal im Erdgeschoss zum Provisorium und stellt die Architektur des Raums aus. Hier befinden sich einige Regalmeter ausgewählter Literatur zum Verhältnis von Geschlecht und Raum. Eine Bibliothek, in der ich gerne mal ein paar Tage allein wäre, die ich vor allem aber gerne an jenen Architekturfakultäten sähe, die dieses Wissen ihren Studierenden noch nicht kompakt anbieten.(1)

Ein wesentlicher Teil der Ausstellung zeigt die aufgearbeitete Geschichte einiger Architektinnen der 1950er- bis 1960er-Jahre und ordnet ihr Werk stellvertretend für andere, unsichtbar gebliebene Mitstreiterinnen ein. Lore Krajewski kündigt 1948 ihre Stelle im Hochbauamt, um drei Söhne ihres Ehemannes zu versorgen. Parallel zu ihren Familienaufgaben arbeitet sie seither als freie Architektin und wird 1951 als erste Frau in den Landesverband des BDA Bremen berufen. Sie realisiert kleinere stadtbildprägende Bauten wie den Hapag-Lloyd-Pavillon, Mehrfamilienhäuser und Wohnheime. Ihre Karriere endet, als ihr Ehemann ihr 1959 die selbständige Tätigkeit untersagt. Heidi Breyer-Starke verantwortet im Hochbauamt mehrere Schulbauten und den Umbau der Bremer Kunsthalle 1961, bevor sie ihrem Mann nach Mainz folgt. Maria Alexandra Mahlberg-Tippel eröffnet nach dem Krieg ihr eigenes Büro und verwirklicht mehrere Wohnbauten. Ihr Nachlass geht gänzlich verloren. Alle diese drei Architektinnen kannten sich und waren in den gleichen Frauennetzwerken aktiv.

2304_KF_Verkehrspavillon_Stickelmann

Hapag Lloyd Verkehrspavillon, Lore Krajewski, 1951, Staatsarchiv Bremen. Foto: Rudolph Stickelmann

Eine in vielfacher Hinsicht interessante Institution ist die nach dem Krieg installierte Bremer Wohnberatung. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, in konkreten Fällen die Wohnsituation den Bedürfnissen der Bewohner:innen anzupassen, eine Aufgabe, die oft von Frauen übernommen wurde. In den 1980er-Jahren schließlich bot die über ABM-Maßnahmen weitergeführte Stelle Architektinnen den Freiraum, um eigene Projekte zu verfolgen und wurde zur Keimzelle des Frauenstadthauses.

Ergebnisse einer 2020 durchgeführten Befragung von 260 Personen der Architektenkammer Bremen 2020 ergänzen den zeitgenössischen Part der Ausstellung. Landesspezifisch wertvolle Daten zur Gleichberechtigung in der Architektur bestätigen, „wie tradierte, frauen-benachteiligende Rollenzuschreibungen fortleben […]“(2). Es besteht weiter Handlungsbedarf.


2304_KF_Frauenstadthaus_Mohrmann

Frauenstadthaus, 1989. (Foto: Inge Mohrmann)

Vordenkerinnen: Die FOPA Bremen

Die Entwicklung von bremischen Frauenorten ist untrennbar mit der Aktivität der FOPA verbunden (FOPA steht für Feministische Organisation von Planerinnen und Architektinnen) 1992 als Regionalgruppe der bundesweit aktiven FOPA gegründet, umfasste sie bis zu 18 Frauen, die sich ehrenamtlich betätigten. Die FOPA erstellte Wettbewerbskriterien für das Eingangsgebäude der Universität, erarbeitete Richtlinien feministischer Stadtplanung und publizierte in der Schriftreihe FREIRÄUME des Bundesnetzwerks.(3) Gemeinsame Exkursionen dienten dazu, sich Fachwissen anzueignen und es  in Bremen anzuwenden, wie etwa im Rahmen der Initiative des gemeinschaftlichen Wohnens im Hulsbergviertel. Der Gründung der FOPA ging der Erwerb und die Sanierung eines Altbremer Hauses voran, das allein von Frauen geplant und durch Handwerkerinnen errichtet werden sollte. Bis heute ist das Frauenstadthaus ein Arbeitsort für Frauen und finanziell unabhängig. Eine der Mitbegründerinnen von Frauenstadthaus undFOPA, Marlies Hestermann, beschreibt ihre Motivation: „Als Planerin etwas im Sinne des Feminismus gemeinsam gestalten und bewirken zu können, kostete Kraft und Ausdauer, war jedoch gleichermaßen identitätsstiftend. Das eigene Maß darin zu finden, ist ein Prozess, darin authentisch sein, ist eine unversiegbare Quelle.“(4)

Als erster feministischer Organisation von Planerinnen in Deutschland, wurde den Frauen der FOPA Bremen am Nikolaustag 2022 die Bremer Auszeichnung für Baukultur verliehen – ein Beispiel, dem hoffentlich viele Auslober*innen folgen werden.

Ausstellung und Auszeichnung bilden gute Grundlagen für eine weitere Untersuchung der FOPA und möglicherweise für einen Generationenwechsel innerhalb der Initiative. Die Debatte hat sich verändert: Während die Frauenbewegung der 1970-er bis 1990er-Jahre vorrangig die Machtgefälle zwischen Frauen und Männern adressierte, lässt die heutige Debatte, die sich auf das soziale Geschlecht, Gender, und intersektionale Diskriminierung fokussiert,  die binär geprägte Geschlechterordnung hinter sich.(5) In der Ausstellung wird dieser Perspektivwechsel durch den 1999 durch die FOPA erarbeiteten FrauenStadtplan deutlich, der sich in einer 2021 weiterentwickelten Fassung Queer durch Bremen nennt.

Die Ausstellung wird durch die zugehörige Veröffentlichung zusätzlich sehr bereichert. In ihr wird die Arbeitsweise des Kurator*innenkollektivs sichtbar. Neben inhaltlichen Positionen des Kollektivs kommen weitere Akteurinnen aus dem Handlungsfeld zu Wort. Die tief durchdachte Buchgestaltung von Lars Neckel von Lanestudio macht in Farbgebung und Typografie große Freude und veranschaulicht hervorragend die inhaltlichen Betrachtungsebenen.

Architektur für Alle?! Emanzipatorische Bewegungen in Planung und Raum. Eine Ausstellung des Bremer Zentrums für Baukultur (b.zb) im Wilhelm Wagenfeld Haus Bremen. 14.10.2022 bis 12.03.2023

Abb. 4 BU: Ausstellungsraum zum Frauenstadthaus und der FOPA Bremen. (
Foto: Nicolai Wolff/fotoetage)

Nachdem ich alle Teile von „Architektur für alle?!“ angeschaut habe und meine Gedanken schweifen lasse, wird mir bewusst, wie inspirierend die Ausstellung ist: auf Stadt- oder Bundeslandebene könnte sie gut als Blaupause dienen, mit eigenen Erweiterungen oder Schwerpunkten. Die Interpretation durch ein Kurator*innenkollektiv aus Vielen* ist frisch und spiegelt sich in Ausstellung, Veröffentlichung und Rahmenprogramm wider. Es ist zu hoffen, dass die Schau zum Ausgangspunkt vieler weiterer Aktivitäten wird.


Die Ausstellung „Architektur für Alle?! Emanzipatorischen Bewegungen in Planung und Raum“ ist noch bis zum 12. März 2023.
Wilhelm-Wagenfeld-Haus, Am Wall 209, 28195 Bremen. Öffnungszeiten: Di 15–21 Uhr, Mi–So 10–18 Uhr.
Weitere Information >>>

Das zugehörige Begleitprogramm lässt sich gut mit einem Ausstellungsbesuch verbinden. Am 25.Januar, 10:00 Uhr, Foyer Theater Bremen: Vorstellung und Diskussion der zur Ausstellung gehörenden Publikation mit den Autorinnen Barbara Zibell, Sandra Schuster und Käthe Protze.
Am 10.03.23 findet die Finissage statt.
Weitere Information >>>

Veröffentlichung: 
„Architektur für Alle?!. Emanzipatorische Bewegungen in Planung und Raum“
, herausgegeben von Christian von Wissel und Jörn Tore Schaper im Auftrag des b.zb
220 Seiten, 17 x 24 cm, 25,00 Euro, Schünemann Verlag, Bremen 2022
Weitere Information >>>

Mit der Hochschule für Architektur Bremen ist bei dem Podcast Schall & Raum eine Staffel zur Ausstellung erschienen >>>

Das Bremer Lokalfernsehen Buten und Binnen hat zur Verleihung der Bremer Auszeichnung für Baukultur an die FOPA Bremen einen Beitrag gedreht, der hier zu sehen ist >>>


(1) Hartmann, Karin: Schwarzer Rolli, Hornbrille. Plädoyer für einen Wandel in der Planungskultur. Berlin 2022, S. 64: Die Erkenntnisse geschlechtsspezifischer Forschung kommen oftmals nicht in der Architekturausbildung an.
(2) Bremer Zentrum für Baukultur (Hg.): Architektur für Alle?! Emanzipatorische Bewegungen in Planung und Raum. Schriftenreihe Band 19. Bremen 2022, S. 169
(3) Das Bundesnetzwerk der FOPA veröffentlichte 1992-1998 in 10 Bänden: Frei.Räume. Streitschrift der feministischen Organisation von Planerinnen und Architektinnen FOPA e.V. mit unterschiedlichen Themensetzungen, von der Kritik an der autogerechten Stadt über Frauenräume in der Migration bis hin zu feministischen Perspektiven der Regionalentwicklung.
(4) Bremer Zentrum für Baukultur 2022, S. 152
(5) Hartmann 2022, S. 80