Bis heute steht der Begriff der Heimat unter dem Verdacht, auszugrenzen, Veränderung nicht zur Kenntnis zu nehmen. Der Alltagswelt und Lebenswirklichkeit in einer global vernetzten Gesellschaft wird das nicht gerecht, der Sehnsucht der Menschen nach Heimat auch nicht. Doch das muss ja nicht so bleiben.
Unter dem Titel „Horizonte. Heimaten suchen, bauen, aktivieren“ ist vom 16. Oktober bis 7. Dezember eine Ausstellung in der Stuttgarter Architekturgalerie am Weißenhof zu sehen, die vom Autor dieses Textes mit kuratiert wurde. Sie wird am 15. Oktober um 19 Uhr eröffnet. Die Bilder dieses Beitrags zeigen die in der Ausstellung zu sehenden Arbeiten.
Seit 2018 hat Deutschland wieder ein Ministerium für Heimat, damals war es als „Ministerium des Innern, für Bau und Heimat“ eingerichtet worden, Minister war Horst Seehofer (CSU). Das hatte – wie zu erwarten – Gegenreden provoziert. Eine davon war die von Daniel Schreiber. Er sah in der Einrichtung dieses Ministeriums den Versuch, „den Heimatbegriff der Vereinnahmung durch den rechten Rand zu entziehen.“ Und fuhr fort: „Doch was bisher nicht funktioniert hat, wird auch weiterhin nicht funktionieren.“ Inzwischen ist es um diese Kontroverse ruhiger geworden, noch unter Kanzler Olaf Scholz war Heimat Teil des Innenministeriums, die Ministerin war Nancy Faeser, die rechter Anbiederung weniger verdächtig war. Inzwischen heißt das entsprechende Ministerium wieder nur noch „Bundesministerium des Innern“. „Heimat“ ist ins Landwirtschaftsministerium gewandert, das jetzt „Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat“ heißt. Was sich dort unter dem Stichwort Heimat findet, ist eine Mischung aus unverbindlichen Allgemeinplätzen („Gute Heimatpolitik ist ein Stabilitätsanker für gesellschaftlichen Zusammenhalt“), kommunitaristischen Untertönen („Heimat bedeutet […] Verantwortung des Einzelnen für ein gutes Miteinander“) und einem eindeutigen räumlichen Fokus auf die ländlichen Räume.
Das ist weniger harmlos als es klingt. Heimat wird wieder stärker in die Nähe von Vereinen und zivilgesellschaftlichen Organisationen gerückt. Und sie wird dabei so einem Raumtyp zugeordnet, dass andere Räume, wenn nicht ausgeschlossen, so doch nachrangig behandelt werden: nämlich die städtischen, die urbanen Räume. Damit rücken wir wieder näher an einen Heimatbegriff, der ihn an ein Territorium bindet, der die Zusammenhänge von Landwirtschaft und vermeintlicher Naturnähe auf dem Land als die vermeintlich ursprüngliche Lebensweise suggeriert.
Links: Stefanie Bürkle, MigraTouriSpace. Blick über Dogil Maeul, einem Ort in Südkorea, der für Rückkehrer:innen von Deutschland nach Korea gebaut wurde. Die Häuser von Dogil Maeul sind deutschen nachempfunden; aus der Serie Types and Translations, 2019. (Foto: Stefanie Bürkle)
Rechts: Medine Altiok: Muslimisches Wasch- und Gebetshaus, Friedhof Finkenried, Hamburg, 2020. (Foto: Jens Franke). (Zum Projekte siehe auch >>>)
Ganz verzichten?
2018 hatte Daniel Schreiber geraten, auf den Begriff der Heimat im Politischen zu verzichten: „Man sollte den Begriff der Heimat unbedingt dem rechten Rand überlassen – wenn man ihn übernimmt, legitimiert man sein nationalistisches, fremdenfeindliches und populistisches Potenzial und leistet unfreiwillig Schützenhilfe.“ Ob dieser Ratschlag wirklich dabei hilft, die rechte Ideologisierung des Begriffs unschädlich zu machen, sei dahingestellt, es ist aber auf jeden Fall einigermaßen willkürlich, Heimat einem politischen Ressort zuzuordnen. Wenn Heimat ein Ort ist, an dem sich Menschen wohlfühlen, weil ihnen die Umgebung vertraut ist, weil ihnen gewohnte Alltagspraktiken Sicherheit geben, weil sie dort die Möglichkeit haben, in Sprache und Kultur einen Teil ihres Selbstbildes zu formen und wiederzufinden, wenn Heimat ein Ort der Sicherheit ist, „wo ich niemandem zur Last falle“ (1), ein Ort, an dem die eigene Person in ihren Neigungen, in ihrer Religiösität, in ihrer Komplexität und in ihren biografischen Verzweigungen nicht in Frage gestellt wird, dann ist es die Aufgabe, wenn nicht aller, so doch zumindest mehrerer Ministerien, dafür zu sorgen, dass sich Menschen beheimatet fühlen.
Links: Studio Malta/Weiny Fitui mit Victor S. Brigola und Álvaro García: Stuttgart im öffentlichen Raum, 2025. Das Projekt widmet sich der (post)migrantischen Perspektive auf den öffentlichen Raum. (Foto: Victor S. Brigola)
Rechts: Wolfgang Rossbauer: Ein Hallertaler Haus, Siegenburg, 2023 (Foto: Sebastian Schels)
Die Zuordnung zu einem Ministerium, in diesem Fall zum Landwirtschaftsministerium, reduziert aber die Komplexität von Heimat. Und damit gerät ein Teil dessen aus dem Blick, was zu tun ist, damit sich Menschen beheimatet fühlen. „Wer eine Heimat hat, die ihm selbstverständlich ist, der braucht das Wort überhaupt nicht“, so Burkhard Spinnen im ersten seiner „Zwölf Aufsätze über Architektur, Leben und Wohnen“. (2) Offensichtlich brauchen wir das Wort aber doch, folglich muss erst noch dafür gesorgt werden, dass Heimat selbstverständlich wird. Und man sollte auch zur Kenntnis nehmen, dass „Heimat“ in entspannterem Ton genutzt werden kann, etwa, wenn von der politischen Heimat die Rede ist oder davon, dass eine Zeitung eine Heimat sein könne, wie es Kurt Kister zum 80-jährigen Jubiläum der Süddeutschen Zeitung formulierte. Sie sei nicht nur ihm eine Heimat, sondern „eben auch für viele Leserinnen und Leser ein Teil ihrer Heimat, jener Heimat, die man im Kopf und im Herzen herumträgt.“ Selbstverständlichkeit ist nicht zu haben, wenn man dem Wort Heimat von vornherein unterstellt, rechtes oder gar rechtsextremes Gedankengut zu transportieren.
Ressource Heimat

Regina Baierl: Studiolo im privaten Gehäuse – S12, 2025, 219 x 131 x 75 cm, Mixed Media. (Foto: Michael Heinrich)
Vor allem aber könnte es lohnend sein, darüber nachzudenken, ob der Begriff nicht auch ein Potenzial birgt: das Potenzial, dass das, was mit Heimat verbunden wird, ein Ausgangspunkt für produktive Aneignung und respektvolles Miteinander sein kann. Wird die Sehnsucht der Menschen nach dem, was sie als Heimat empfinden, nicht ignoriert, sondern anerkannt, besteht eine andere Möglichkeit, sie zu verstehen und ihre Bedürfnisse zu sehen. Das setzt voraus, Heimat nicht als eine unveränderliche Größe zu verstehen, sie nicht, wie es Roland Barthes für den Mythos analysiert hatte, „in Natur und Ewigkeit“ zu gründen (3), sondern als Ressource, die nicht exklusiv ist, sondern die durch Gebrauch aktiviert, die mutiert und mutieren darf. (4) Es setzt voraus, anzuerkennen, dass Heimat eine Konstruktion ist, die durch gesellschaftliche und individuelle Anstrengung konstituiert wird, die nicht nur aus Tradition, Brauchtum, Routine und Ritual, sondern auch durch Aneignung und in Verhandlungen entsteht. Heimat muss sich entwickeln dürfen, muss auch mobil sein können: Heimat ist auch das, was Menschen hierher mitbringen oder von hier mitnehmen. Und Heimat heißt auch, das Bestehende in Wert zu setzen als etwas, was für die Gegenwart nützlich ist. Wenn das Alte nicht mehr das Abgelegte ist, muss es auch nicht mehr als unveränderliches Ideal verteidigt werden.
Wird Heimat nicht auf einen vergangenen Idealzustand reduziert, sondern als Quelle von Wissen verstanden, kann Vergangenes zur Hilfestellung für die Weiterentwicklung des Bestands werden. Wird Heimat nicht als exklusives Privileg behauptet, bietet sich die Chance zur Gestaltung des Zusammenlebens, zum Verständnis für andere. Wenn wir zulassen, dass Menschen ihren Hintergrund nutzen, um ihre Heimat hier zu gestalten, hört Heimat auf, eine Einbahnstraße der erwarteten oder gar erzwungenen Anpassung zu sein.
Das ist vielleicht eine andere Perspektive als die, Heimat einem Ministerium zuzuordnen oder den Begriff dem rechten Rand zu überlassen, damit dort nur weiter das unheilvolle Spiel mit ihm getrieben werden kann.
„Horizonte. Heimaten suchen, bauen, aktivieren“
16. Oktober bis 7. Dezember, Architekturgalerie am Weißenhof, Stuttgart.
Mit Werken von Medine Altiok / Regina Baierl / Stefanie Bürkle / Studio Malta und Weiny Fitui mit Victor S. Brigola und Álvaro García / Wolfgang Rossbauer.
Eröffnung am 15. Oktober, 19 Uhr, in der Akademie der Bildenden Künste, Neubau 2, Am Weißenhof 1, Stuttgart.
(1) Dirk Baecker. Heimat ist dort, wo ich niemandem zur Last falle. In: Institut für Kulturpolitik der klulturpolitischen Gesellschaft (Hg.): Jahrbuch für Kulturpolitik 2019/20. Thema: Kultur.Macht. Heimaten. Heimat als kulturpolitische Herausforderung. transcript Verlag, Bielefeld, 2020, S. 65-73. her S. 65
(2) Burkhard Spinnen: Neue Heimatkunde. Zwölf Aufsätze über Architektur, Leben und Wohnen, Berlin 2019, S. 12
(3) Roland Barthes: Mythen des Alltags, Frankfurt am Main 1964, S. 131
(4) vgl. François Jullien: Es gibt keine kulturelle Identität. Berlin 2017




