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Ins Offene planen

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Protest in der Leonhardsvorstadt (Bild: Studio Malta)

Die Architekturgalerie am Weißenhof in Stuttgart zeigt im Herbst die Ausstellung „Und jetzt – Akute Positionen junger Büros zu Architektur und Planung“. In einer Interview-Serie werden hier die Protagonisten der Ausstellung vorgestellt. Teil 2: Studio Malta


Planung erzeugt oft Konflikte. Anstatt sie zu beklagen oder zu vermeiden, wollen die Partner:innen von Studio Malta Konflikte als produktives Potenzial der Stadtgesellschaft fruchtbar machen. Das geht nur, wenn man zu einer Vorstellung von Planung findet, in der die Hierarchien infrage gestellt werden, die ihr sonst zugrunde liegen.

Ein Gespräch mit Aida Nejad, Jan-Timo Ort, Aaron Schirrmann und Marta Toscano über koproduktive Prozesse, Potenziale und ungenutzte Chancen gemeinwohlorientierter Stadtentwicklung

Wie würdet ihr eure Arbeit kurz zusammenfassen?



Marta Toscano: In gewisser Weise fängt unsere Arbeit dort an, wo eine allgemein gültige Erzählung aufhört und man unter die Oberflächen der routinierten Abläufe dringt. Hier öffnen sich Widersprüche oder Konflikte, die in den allgemeinen Erzählungen kaum Platz finden. Die Konflikte sind für die Planung, für die Stadtgesellschaft aber wichtig und wertvoll, weil sie es erlauben, Bedürfnisse zu sehen, Gemeinschaften und Identitäten überhaupt erst so zu erfassen, dass sie Teil der planerischen Aushandlung werden können.

Jan-Timo Ort: Daraus ergibt sich ein Charakteristikum unserer Arbeit – dass sie sehr stark fallbezogen ist, denn nur so gelingt es, dass man neue Diskurs- oder Austauschräume öffnet, die auf die spezifischen Besonderheiten der Situation eingehen. Wir reagieren dabei einerseits auf Ausschreibungen, suchen uns aber auch die Themen selbst, um Räume aufzumachen, die wir für nötig erachten.

Ein Beispiel für ein Thema, für das ihr euch besonders interessiert und das ihr aus eigener Initiative bearbeitet?

Aida Nejad: Wir stellen fest, dass Diversität, Migration, Migrationsgeschichte noch nicht in Planungsprozesse und wissenschaftliche Diskurse einfließen. Es gibt keine Selbstverständlichkeit, diese Themen zu behandeln. Wir erkennen zum Beispiel aus dem persönlichen Interesse oder durch persönliche Erfahrungen, dass das ein spannendes Projekt für unsere Arbeit und für die Gesellschaft sein könnte, und dann suchen wir uns Projektpartner und bemühen uns um Förderung – so kamen wir gemeinsam mit der Künstlerin Weiny Fitui zum Projekt »Stuttgart im Öffentlichen Raum. Eine künstlerische, ko-produktive Sammlung der Bedeutung und Nutzung durch die (post-)migrantische Bevölkerung«.

Ihr knüpft das allgemeine Anliegen, das Hinterfragen von konsensfähigen Aussagen, an das konkrete Projekt. Was kann eine solche Aussage sein, die selbstverständlich scheint, ohne es zu sein?

Jan-Timo Ort: Eines der Buzzwords, die so gerne eingestreut und nie mit einem Inhalt oder vor allem einer Zielstellung belegt werden, ist das der Ko-Produktion oder der Kooperation. Es existieren kaum Vorstellungen davon, was darunter verstanden wird. Man ist sich schon gar nicht darüber bewusst, dass damit unerwartete Ergebnisse entstehen.

Marta Toscano: Gleichzeitig zeigt dieses Beispiel, wie wichtig das fallbezogene Arbeiten ist, weil man es jedes Mal mit einer unterschiedlichen Konstellation und mit unterschiedlichen Interessen zu tun hat. Der Diskurs um Ko-Produktion ist in vielen Kommunen und in dem politischen Diskurs immer noch sehr unreif, vielleicht wird er auch ein bisschen für gefährlich gehalten – man muss Kontrolle abgeben können und sich auf etwas einlassen können, was noch entsteht, muss die Konflikte aufgreifen, die dabei sichtbar werden.

Schlagworte mit Leben füllen


STUDIO MALTA - Projektraum ›Zukunft Leonhardsvorstadt. Anwesend Aida Nejad, Jan-Timo Ort, Aaron Schirrmann, Veronika Kienzle - Katharinenstraße 21 70182 Stuttgart - Foto Ferdinando Iannone

Der “Städtebausimulator”: Ein Werkzeug zur ko-kreativen Test- und Varianzplanung im Rahmen von räumlichen Entwicklungsprozessen, gemeinsam entwickelt mit BeL – Sozietät für Architektur (Bild: Ferdinando Iannone)

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Ko-kreativ Planen: Qualifizierte Raumszenarien im Rahmen von Entwicklungsprozessen erarbeiten (Bild: Studio Malta)

Wo sollte man auf ko-produktive Prozesse zurückgreifen, wo sie einsetzen?

Jan-Timo Ort: In unserem Verständnis sollten zumindest in größere Vorhaben eine koproduktive,  mindestens eine ko-operative Komponente einfließen. Sinn macht es eigentlich immer bei Vorhaben, die von der öffentlichen Hand initiiert werden und die einen größeren Teil der Stadtgesellschaft betreffen.

Wir sollten vielleicht etwas tiefer in ein Projekt einsteigen, um eure Aussagen vertiefen zu können.

Aaron Schirrmann: Das Projekt »Planspiel Zukunft Leonhardsvorstadt« ist dafür gut geeignet. Ausgeschrieben war nichts weniger als ein beispielhaftes, vorbildliches Beteiligungsverfahren, um ein IBA’27-Projekt auf den Weg zu bringen, in dem wir nach Auftragserteilung Dinge jenseits der planerischen Fragestellungen grundsätzlich hinterfragt haben. Die Ausgangslage war gut: Es gab hohe Ansprüche an den Prozess, Menschen, die ihr Umfeld aktiv mitgestalten wollten und ein zentral liegendes Parkhaus, bei dem die Stadt als Eigentümerin beste Möglichkeiten hat. Um herauszufinden, wie man dieses Potenzial nutzt, sollten möglichst viele Akteursgruppen eingebunden werden. Dafür haben wir unser Vorgehen methodisch und personell sehr divers und breit aufgestellt, was dazu führte, dass gegensätzliche Sichtweisen in den Fokus rückten.

Heraus kamen zwei vielversprechende, konträre Entwicklungsansätze, und nicht, wie gewünscht, eine Vision. Wir haben das als große Chance für eine ergebnisoffene, konzeptbezogene Entwicklung gesehen, in deren weiterem Verlauf die Akteur:innen, die den Ort transformieren und dauerhaft beleben möchten, im Vordergrund stehen. So wurde der Ball an die Stadt Stuttgart zurückgespielt. Nun hakt es daran, dass die Bauflächen den Ergebnissen aus dem Planspiel entsprechend vergeben werden.

Aida Nejad: Weil wir durch die vielschichtige Partizipation und die räumlich-programmatische Machbarkeitsstudie, die mit einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung hinterlegt war, haben wir Ergebnisse geliefert, die der Auftraggeberin, der Stadt, möglicherweise zu unbequem waren – oder nicht zu deren Agenda passten. Die Entwicklungsperspektive, die wir aufgezeigt haben, ist ein den Ort schrittweise aktivierender Prozess, der auf dem Vorhandenen aufbaut. Auch in Bezug auf den Umgang mit dem Parkhaus. In gewisser Weise hat das Planspiel die ursprüngliche Zielsetzung des Verfahrens ad absurdum geführt. Wir wollten eine auf den Ergebnissen basierende Empfehlung aussprechen, auch wenn diese nicht allen ins Konzept passte.

Welches Ergebnis hättet ihr euch gewünscht?

Marta Toscano: Seitens der politischen Gremien das Bekenntnis zur Vergabe nach Erbbaurecht und die Festsetzung eines Erbpachtzinses entlang der Nutzungen. Das hätte bedeutet, den Erbpachtzins so zu variieren, dass konventionellere Nutzungen auch unkonventionelle mittragen können. Um das zu erreichen, müssten in der kommunalen Liegenschaftspolitik neue Ansätze getestet werden. Das hätte auch die Antwort auf die Frage liefern können, wie man Gemeinwohlorientierung in Stadtzentren einlösen kann. Vorerst ist die Chance vertan: Der Pachtvertrag für das Parkhaus ist verlängert worden. Schlussendlich wollte man sich wohl auch nicht entscheiden, für wen genau hier etwas entstehen soll.

Jan-Timo Ort: Es hat sich hier gezeigt, dass es keinen Willen und keine Erfahrung gibt, längere Zeiträume in den Blick zu nehmen und in ihnen eine Offenheit für Entwicklungen zu bewahren. Planung ist meist statisch und auf einen Moment bezogen und sieht eher selten Spielräume vor. Eigentlich müssten die Planungswerkzeuge genauso wie die Räume angepasst werden können.

An die denken, die morgen entscheiden werden

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Illustration aus dem Projekt “Planungskulturelle Bildung” zum Empowerment von Jugendlichen in der Stadtraumentwicklung (Studio Malta, Cristina Estanislao)

Eines eurer Projekte reagiert in gewisser Weise auf diese Erfahrung.

Aida Nejad: Wir bearbeiten derzeit ein Forschungsprojekt zur planungskulturellen Bildung – nicht zur baukulturellen Bildung. Was heißt Planung, wie wird geplant, wie spielen Gemeinderat, Baubürgermeister und Verwaltung zusammen? Wir arbeiten hier mit Isabelle Willnauer, einer Stadtforscherin zusammen. Dabei richten wir uns vor allem an Jugendliche und an Menschen, die mit Jugendlichen arbeiten. Ziel ist eine Website, die das deutsche Planungssystem veranschaulicht und auf Werkzeuge hinweist, beispielsweise wie und mit welchen  Anträgen man sich einbringen kann oder wie man sich durch kleinere Interventionen den öffentlichen Raum aneignen kann. Das Projekt wird von der Wüstenrot Stiftung mitgestaltet und gefördert, auf die wir mit dieser Idee zugegangen sind.

Jan-Timo Ort: Uns ist dabei wichtig, die Relevanz von Stadt, Stadtgesellschaft, Stadtentwicklung, Stadtplanung, Gebäude, Umwelt zu vermitteln. Dabei binden wir den Jugendrat ein und arbeiten mit Jugendhäusern zusammen – wir wenden uns unter anderem an die, die vielleicht in in einigen Jahren selbst im Gemeinderat sitzen könnten, aber nicht wissen wie Planungsprozesse funktionieren.

Geht dieses Bildungsangebot über die Regelprozesse hinaus, so dass es das, was Regularien als Selbstverständlichkeiten reproduziert, auch in Frage stellt?

Jan-Timo Ort: Wir zeigen beides: Standardisierte Prozesse, aber auch von Nutzer:innen initiierte und getragene Projekte. Wir beschreiben den Rahmen, innerhalb dessen Menschen aktiv geworden sind, wie man selbst aktiv werden und andere unterstützen kann.

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Durch den performativen Planungsprozess der Interimsstätte des Kunstverein Wagenhalle ist ein utopischer Ort auf Zeit in Stuttgart entstanden. Der Marktplatz in der Container City wurde zu einem flexiblen und aneignungsfähigen Raum für die Öffentlichkeit. (Bild: Kunstverein Wagenhalle)

Raum für Menschen, Raum von Menschen

Wie würdet ihr euer Verständnis von Raum und dessen Bedeutung für eure Arbeit beschreiben?

Marta Toscano: Es geht uns um die Frage, welche Räume brauchen denn die Akteure, was müssen ihnen die Räume anbieten? Welche Eigenschaften braucht man, um bestimmte Interaktionen zu ermöglichen, die letztlich das Fundament des gesellschaftliches Lebens bilden? Das reflektierte Gestalten von Wechselwirkungen zwischen Raum und gesellschaftlichem Handeln ist eine grundlegende Arbeit, die wir versuchen zu leisten.

Wir gehen dabei vom Raumverständnis Henri Lefebvres aus. Der Raum existiert nicht einfach so, sondern er wird von allen aktiv gestaltet, geschaffen und umgestaltet, er ist das Resultat von sozialen, wirtschaftlichen, politischen und ökologischen Prozessen.

Aida Nejad: Die größte Inspiration ist eigentlich zu erkennen, was vor Ort im Raum möglich sein könnte, was den Raum prägt. Was treibt Menschen an, was sind die Interessen dahinter, welche informellen Aktionen oder informelle Organisationsformen zeigen sich? Das gibt uns Aufschluss darüber, was ein Ort leisten kann.

Aaron Schirrmann: Im Rahmen unserer Projekte stellen sich schnell die Fragen, warum sind bestimmte Menschen hier und andere nicht. Das führt zur Auseinandersetzung darüber, wer Entscheidungen treffen kann und darf, wie wird das Verhalten geregelt, gesteuert, beeinflusst – und wer keine derartige Macht hat. Da stellen wir sehr schnell Diskrepanzen fest, und da stoßen wir mit unseren Mandaten meist an Grenzen, das zu beeinflussen. Aber dennoch fragen wir uns oft, welche Möglichkeiten zur Korrektur gibt es, wie kann man Konstellation verändern? Das hängt sehr eng damit zusammen, wie der Raum zugänglich ist, welche Aktionen erlaubt sind, und welche Rolle die gestalterischen Codes spielen – in ihnen manifestieren sich Macht- und Entscheidungsverhältnisse, wirtschaftliche Unterschiede, weil man mit Geld sehr viel beeinflussen kann. Das ist schon eine grundsätzliche Kritik daran, wie üblicherweise Gestaltung gemacht wird, und das wird einfach viel zu selten berücksichtigt. Deswegen haben wir mit unserer Projektarbeit da auch schon das ein oder andere Mal angeeckt, weil wir da Fragen stellen, die vielleicht verwirrend sind oder auch verunsichern.

Marta Toscano: Friedrich von Borries hat in „Weltentwerfen“ im Zusammenhang mit dem Thema der Autorenschaft einen aufschlussreichen Hinweis gegeben, dass ermächtigendes Design in Wechselwirkung mit der Frage nach einer singulären Autorenschaft steht. Das lenkt den Blick auf die Frage, wie kommt ermächtigendes Design zustande und darauf, wie wichtig für die Ermächtigung von Menschen in Gestaltungs-, in Planungsprozessen das ko-kreative, ko-produktive Feld ist, über das wir gesprochen haben.

Welche Konsequenzen hat das konkret für eure Arbeit?

Aida Nejad: Unter anderem auch die, dass wir uns gerne Menschen suchen, deren Kompetenzen wir gut einbinden können. Wir glauben nicht, dass Planer:innen oder Architekt:innen alles können müssen, wir schätzen sehr das gemeinsamen Arbeiten mit Menschen, die andere Qualitäten und Qualifikationen als wir haben. Viele etablierte Büros machen beispielsweise aufsuchende Beteiligungen noch selbst – wir sind als Planende nicht dafür ausgebildet beispielsweise in der Leonhardsvorstadt auf Prostituierte oder Zuhälter zuzugehen.

Was würdet ihr denn ändern, wenn ihr die Möglichkeit dazu hättet?

Jan-Timo Ort: Man könnte schon bei öffentlichen Ausschreibungen ansetzen, sie so gestalten, dass der Preis nicht im Vordergrund steht, sondern die Konzepte und Inhalte, und dass dabei die Vergabeentscheidungen von Gremien getroffen werden, die, ähnlich wie bei Gutachten oder bei Wettbewerben, unabhängig sind und nicht direkt die Interessen einer Initiative oder Auftraggeberschaft vertreten. Es sollten nicht die nur Verwaltung oder politischen Vertretungen am Tisch sitzen, die gerne dazu tendieren, diejenigen einzubinden oder zu beauftragen, die sie kennen, von denen sie erwarten, dass die Arbeit mit ihnen reibungslos verläuft. So bildet sich selten Diversität im Gesamtkontext von öffentlichen Auftragsvergaben ab. Ich würde mir deutliche Fortschritte nicht nur in den Vergabekriterien, sondern auch in der Bewertung der eingereichten Konzepte wünschen. Ko-produktive Prozesse sollten dabei viel selbstverständlicher berücksichtigt werden, angefangen mit Bildungs- und Sensibilisierungsangeboten, die das Thema für alle an Planungen Beteiligten greifbarer machen und möglicherweise das aktuelle Bild des “Planers” weiterentwickeln.

Aaron Schirrmann: Wir diskutieren ja viel über nachhaltiges Bauen, über ressourcenschonendes Bauen, über den Umgang mit dem Bestand. In der Boden- und Liegenschaftspolitik spielt das aber kaum eine Rolle; ich würde mir wünschen,  dass Kommunen übergreifend, Länder übergreifend auch Flächenvergaben und die damit verbundenen Konditionen als Hebel genutzt werden, um Gemeinwohl und Innovation zu fördern.



 

2423_SL_Thommy_West_StudioMaltaAida Nejad, Jan-Timo Ort, Aaron Schirrmann und Marta Toscano sind Inhabende des Planungsbüros Studio Malta, das in den Bereichen Stadtentwicklung, Architektur und Design in planerischen, gestalterischen und partizipativen Prozessen tätig ist.
Ausgangspunkt ihrer Arbeit sind Perspektiven aller Akteur:innen als Basis für kooperative Entwicklungsprozesse, unter Einsatz unterschiedlicher Werkzeuge und eines breit gefächerten, eng vertrauten Netzwerks. Performative Planung, die Durchdringung von Maßstabsebenen und das Denken in Prozessen dienen räumlicher Untersuchung, Strategie und Realisierung.
https://www.studiomalta.eu/
Das Interview haben Lena Engelfried, Hanna Noller und Christian Holl am 3. Mai 2024 geführt.