Für einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen reicht es nicht, etwas mehr als bisher umzubauen und etwas weniger abzureißen. Die Art und Weise zu bauen muss sich schon im Entwerfen und in den Prioritäten, die dabei gesetzt werden, von der bisherigen Praxis unterscheiden. Ein Gespräch mit Robi Wache
Wie kommen wir zu einem Bauen, das sich nicht nur nachhaltig nennt, sondern tatsächlich auch das einlöst, was mit Nachhaltigkeit eigentlich gemeint ist?
In der Wissenschaft mehren sich die Aussagen, dass Nachhaltigkeitsziele nicht allein durch technische Innovationen zu erreichen sind. Wir müssen darüber nachdenken, was wir wirklich brauchen. Dafür steht der Begriff Suffizienz, der uns hilft, innerhalb planetarer Grenzen leben zu können und das „richtige Maß“ für ein auskömmliches Leben zu finden. Suffizientes Bauen kann zudem Kosten reduzieren, der Aufwand wird vermindert und die Bauzeit kann verkürzt werden. Um die Suffizienz zugänglich zu machen und die tatsächlichen Herausforderungen unserer Zeit herauszustellen, braucht es neue Narrative, die uns helfen, mit unserer Umwelt besser umzugehen.
Mit dem Schlagwort der grauen Energie ist es gelungen, den Wert des Bestands griffig zu fassen. Ist das der entscheidende Schritt, um Abriss zu verhindern und zu einem verantwortungsvollen Bauen zu kommen?
„Im Wizemann“, 2013
Bei den Sanierungen und Umnutzungen der ehemaligen Fabrik Wizeman in Stuttgart-Bad Cannstatt wurde bei jeder grundlegenden Entscheidung hinterfragt, was für eine neue Nutzung tatsächlich notwendig ist, was erhalten werden kann und welche Baustoffe und Elemente aus dem Altbestand durch Reuse oder Recycling vor Ort wiederverwendet werden können.
Ein Teil des Komplexes wurde zu einer Konzert- und Veranstaltungshalle mit Restaurant umgebaut. Die Flächen wurden zuerst entkernt, erhaltenswerter Bestand jedoch geschützt und wertige Industrieartefakte wie Lüftungsrohre, Fliesenböden, Klinker und Putz im ursprünglichen Zustand belassen und aufbereitet. Neue Elemente wurden additiv an bestehende Strukturen angefügt, moderne Technik sichtbar verlegt und historische Einbauten weiterhin erkennbar gelassen. Eine neue Dämmung des Daches, eine Erhöhung des baulichen Schallschutzes, neue WC-Anlagen und ein multifunktionales Foyer haben den Nutzungskomfort der Spielstätte deutlich erhöht. (Fotos: Sarah Weiselowski)
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Gemeinwohlorientiert
Gemeinwohlorientierung ist für euch eine wichtige Größe zur Qualitätssicherungssicherung – ihr habt euer Büro auch in einem Zertifizierungsprozess entsprechend aufgestellt. Was heißt das, Gemeinwohlorientierung?
Das Wirtschaftsmodell der Gemeinwohlökonomie definiert wirtschaftlichen Erfolg neu: Erfolgreich ist, wer Werte wie Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, Transparenz und Mitbestimmung lebt. Kern des Modells ist, dass Unternehmen, die nachhaltig und sozial wirtschaften, im Vorteil sind – heute schon durch mehr Glaubwürdigkeit, in Zukunft auch durch rechtliche Anreize, wie etwa niedrige Steuern, günstigere Kredite, Vorrang bei öffentlichen Aufträgen oder Förderungen. Dadurch entsteht ein wertebasiertes System, das den Menschen wieder einen echten Sinn bietet und gemeinschaftliches Leben leichter macht. Wohlstand definiert sich dann über den Reichtum guter Beziehungen, kreativer Entfaltung, gesunder Lebensumstände und sinnvoller Aufgaben. In diesem Sinne liegt unser Fokus nicht nur auf der Architektur, sondern auf der gesamtheitlichen Betrachtung gesellschaftlicher Aufgaben.
Das müsste also auch einschließen, die Menschen zu beteiligen?
Ja, das ist so. Menschen zu ermächtigen, Räume mitzugestalten, gewinnt in einer komplexen Welt zunehmend an Bedeutung. Die Selbstwirksamkeit der Bürger:innen zu stärken, vermittelt ihnen das Gefühl, aktiv an der Welt teilzuhaben, also Teil einer offenen, demokratischen Gesellschaft zu sein. Gleichzeitig baut sie Ängste ab und macht Mut, Veränderungen anzugehen. Nur wer gefragt wird, kann auch Teil der Lösung sein! Unsere Architektur folgt in ihrer Gestaltung diesen Idealen, denn Teilhabe endet nicht mit dem Entwurfsprozess. Als Architekt:innen entwerfen wir Räume mit Qualitäten, die Nährboden für lebendigen Austausch und Aneignung sind. Dabei agieren wir als Katalysatoren und initiieren Prozesse.
Bei der Weiternutzung des Bestands geht es in erster Linie um Substanzpflege. Es erfordert Behutsamkeit und stellt einen evolutionären Akt der Reparatur dar, der sowohl Instandsetzung als auch Pflege umfasst. Damit wird der Bestand an gegenwärtige und zukünftige Bedürfnisse angepasst. In dieser Auseinandersetzung wird auch offengelegt, was nicht repariert werden kann. Das Alte muss nicht den Anschein von etwas Neuem erwecken, sondern darf seine Gebrauchsspuren zeigen. Narben und Patina sind dann Qualitätsmerkmale und kein Makel. Im Gegensatz zum Neubau schaftt die Weiterverwendung des Altbau eine unmittelbar identitätsstiftende Architektur.
Kinder- und Jugendhaus Zuffenhausen, 2022
Nach einer intensiven Bestandsaufnahme wurden für jedes Bauteil individuelle Maßnahmen definiert. Dabei wurde festgestellt, dass nicht in allen Bereichen des Gebäudes eine Dämmung notwendig ist, wodurch die energetische Ertüchtigung der Gebäudehülle auf ein Minimum reduziert werden konnten.
Das durch die Suffizienz-Strategie freigewordene Budget wurde für die energetische Sanierung der Gebäudetechnik sowie für recyclingfähige Fenster- und Fassadenkonstruktionen verwendet. Dank eines Eisspeichers im ehemaligen Kohlekeller inklusive eines PVT-Systems (Photovoltaik + thermischer Kollektor) auf den Dächern konnte die bestehende Gasheizung ersetzt, das Jugendhauses kann seither klimaneutral betrieben werden.
Gestalterisch wurden Brüche zwischen Alt und Neu, zwischen „energetisch optimiert“ und „bautechnisch saniert“ sichtbar gemacht. Unterschiedlicher Zeitschichten treten gleichberechtigt nebeneinander. Nicht gestaltete Bereiche bieten Freiräume für Aneignung durch Jugendliche. (Fotos: Stefan Hohloch)
Collage und Bricolage
Wie verseht ihr eure Rolle als Entwerfende?
Beim Entwerfen im Bestand bekommt das Umdeuten eine große Bedeutung. Eine veränderte Perspektive, ein neuer Kontext, eine minimale Geste – das Umdeuten bringt eine Freiheit, in dem Vorhandenen etwas Anderes, etwas Neues zu sehen. Bei den Baubeteiligten und Nutzenden kann durch Wahrnehmungsveränderung ein Verständnis für eine minimalinvasive Strategie – und damit für eine weniger sichtbare Veränderung – erzeugt werden. Das Authentische eines Ortes entsteht so nicht in der Überhöhung des Alten, sondern in seiner Verwendung für etwas Neues, durch ästhetische Aneignung. Das Vorhandene und das, was wir hinzufügen, sind gleichwertig und legen sich über- und ineinander. Durch den Akt der Bewertung identifizieren wir uns mit den Dingen, wodurch sie an Wert gewinnen; ein Wert, der verhandelbar ist und sich stetig ändern darf.
Ergibt sich daraus eine neue oder andere Ästhetik?
Ja. Eine an der Moderne orientierte Architektur hat keine Antworten mehr auf heutige Herausforderungen. Es braucht neue Bilder. Wir verwenden hierbei die Begriffe Collage und Bricolage. Lange Zeit wurden Spuren des Alter(n)s und des Gebrauchs eines Materials als wertmindernd empfunden. Doch Architektur muss weder perfekt noch makellos sein, im Gegenteil: Die Collage würdigt das Alter und die Patina als Bereicherung und gestalterische Qualität. Architektur kann dann aber auch als flexibel und wandelbar, als nie abgeschlossen und stetig fortschreibbar betrachtet werden. Strukturen müssen daher mit einer Robustheit, oder, wie Bruno Taut es formulierte, „Elastizität“ ausgestattet werden, die einen Spielraum für zukünftige Veränderungen und Anpassungen erlaubt. Die Collage bringt eben diese Elastizität mit sich. Sie arbeitet mit vorgefundenen Materialien und macht Prozesse sichtbar. Wenn Architektur als Prozess verstanden wird, beinhaltet dies ein erweitertes Verständnis, das auch die Nutzer:innen einschließt. In der Bricolage wird dieser Prozess als Tätigkeit zwischen künstlerischem und erfinderischem Schaffen deutlich. Architekt:innen als „Bricoleure“ sind Expert:innen, die sich auf das Reparieren verstehen: etwas Fehlerhaftes wird mit einfachen Mitteln geflickt, etwas Neues kommt hinzu
und eine andere Ordnung, die sich mit der Vorhandenen überschneidet, entsteht. Die Bricolage umfasst mehr als eine einfache Reparatur; sie beschreibt das Herstellen von Neuem durch Improvisation. Suffizientes Bauen berücksichtigt die zur Verfügung stehenden endlichen Ressourcen, falls notwendig auch außerhalb ihres ursprünglichen Bestimmungszwecks.
Und wo sehr ihr die wirtschaftliche Perspektive?
Suffizienz, Bestandserhalt und damit verbunden handwerkliche Fähigkeiten, sowie Zirkuläres Bauen sind die Zukunft und werden sich angesichts des Klimawandels als Standardbauweise etablieren müssen. Der Transformationsprozess hat längst begonnen und bietet Chancen in ökologischer, ökonomischer, wie auch sozialer Hinsicht, Mehrwerte zu schaffen. Dabei entstehen neue Märkte, es ergeben sich unternehmerische Möglichkeiten und neue Aufgabenfelder. Um den Übergang in eine Kreislaufwirtschaft langfristig und in der Breite umsetzen zu können, bedarf es einer grundlegenden Anpassung der Rahmenbedingungen, sei es bei der Haftung, wenn Bauteile wiederverwendet werden oder etwa in der Honorierung: es sollte sich lohnen, so viel wie möglich erhalten und weitergenutzt werden kann.