• Über Marlowes
  • Kontakt

In den Gärten Venedigs

1822_Dtld_aussen_Jan_Bitter


„Freespace“, „Unbuilding Walls“ und „Sleeping Beauty“ – und vieles mehr: Verheißungsvolle und rätselhafte Themen und Begriffe locken zur 16. Architekturbiennale nach Venedig. Auf dem „Weltmarktplatz“ der Architektur wird dieses Jahr fast beschaulich auf den brenzligen Zustand von Globus und Menschheit reagiert.


(Bild oben: Jan Bitter)

Farrel und McNamara (Bild: Biennale Venezia)

Shelley McNamara und Yvonne Farrell (Bild: Biennale Venezia)

Mit Anglizismen und Wortschöpfungen ist es so eine Sache. Wenn die Biennale-Kuratorinnen Yvonne Farrell und Shelley McNamara inhaltlich den Begriff „Freespace“ lancieren (> zum Manifest), darf man alles zwischen Folies und politischen Positionen erwarten. Im Großen und Ganzen schlug sich der Freiraum der Teilnehmer aber nur darin nieder, den grundsätzlich zu beklagenden Zustand von Globus und Menschheit allenfalls dezent zu thematisieren. Weil Bauen auch ein wirtschaftliches Thema ist, wagt sich offenbar kaum ein/e Architekt/in an klare oder provokante politische Aussagen.

Von links: Wolfram Putz, Lars Krückeberg, Marianne Birthler, Berlins OB Michael Müller, Staatssekretär Gunther Adler und Thomas Willemeit (Bild: Ursula Baus)

Von links: Wolfram Putz, Lars Krückeberg, Marianne Birthler, Berlins OB Michael Müller, Staatssekretär Gunther Adler und Thomas Willemeit (Bild: Ursula Baus)

Tücken der Kunstworte

Um gleich damit zu beginnen, was GRAFT Architekten mit Marianne Birthler – 2000 bis 2011 Stasi-Beauftragte – konzipierten und um bei den Anglizismen zu bleiben: „Unbuilding Walls“ steht in grafisch verfremdeter Schrift über der Ausstellung und auf dem Katalogtitel. Unbuilt kennen wir im Sinne des Ungebauten, aber darum geht es nicht. Im Geleitwort des Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier lesen wir im Ausstellungsbuch eine Art Interpretation des nicht Übersetzbaren: „… Unbuilding Walls, das Überwinden von Mauern …“. Was GRAFT und Marianne Birthler den Sieg im Wettbewerbsverfahren eintrug, mag dem wohlklingenden, aber doch wolkigen Kunstbegriff „unbuilding walls“ mit zu danken sein. Für den deutschen Beitrag wertet das Kunstwort einen eher schlichten Inhalt auf, denn im Pavillon gibt es kaum mehr zu sehen als sattsam bekannte, konventionell und dürftig erklärte Projekte entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze, die als „Mauer“ vor 28 Jahren „fiel“. 28 Jahre lassen sich phasenweise bereits historisieren, wozu die Inszenierung des deutschen Pavillons aber kaum etwas beiträgt. Selbst wenn er für den „eiligen Besucher“ konzipiert sein mag: Auch der verpflichtet zu einer wissenschaftlich akzeptablen Botschaft.

Vom zentralen Blickpunkt aus wirken die Ausstellungstafeln wie eine geschossene Wand. (Bild: Jan Bitter)

Vom zentralen Blickpunkt aus wirken die Ausstellungstafeln wie eine geschossene Wand. (Bild: Jan Bitter)

Idee und Design

Ihr Thema wählten die Kuratoren gut, es fängt auch in der Umsetzung gut an. Betritt man den Pavillon, läuft man zunächst auf eine vor den Eingang gestellte, schwarze Wand zu und wird etwas neugierig. Man läuft drum herum und stößt wieder auf eine schwarze Wand, die hier quer durch den Pavillon bis in die Seitenräume hineinreicht, sich aber umstandslos als versetzt aufgestellte Ansammlung hoher, schwarzer Scheiben zu erkennen gibt.

Die Vorderseiten der Tafeln sind schwarzund gehen in schwarze Bodenstreifen über. (Bild: Ursula Baus)

Die Vorderseiten der Tafeln sind schwarz und gehen in schwarze Bodenstreifen über. (Bild: Ursula Baus)

Das Ganze ist nun in einem Design gestaltet, das seine Computer-Generierung deutlich erkennen lässt. Mit geschwungenen Linien in der Vertikalen und horizontaler, wie mit Klebstreifen realisierter Perspektivgeometrie – hier durch den Kontrast von Schwarz und Weiß geradezu elegant aufgewertet – ergibt sich ein GRAFT-typisches Interieur, das unwillkürlich an Messestände oder Arztpraxen denken lässt. Semantisch wird dieses Ausstellungsdesign der Dramatik des Mauer- oder eben Todestreifen-Themas nicht gerecht – es entwertet sie zur Harmlosigkeit. Und so drängt sich die Frage auf, was aus der ursprünglichen Idee der Architekten hätte werden können, hätten sie eingedenk eines dramatischen Kontexts ihr bislang formal fixiertes Repertoire außer Acht gelassen. In der jetzigen Umsetzung sieht doch einiges nach der Pflege der GRAFT – Corporate Identity aus.

Auf den Rückseiten sind Projekt-Informationen zusammengestellt. (Bild: Ursula Baus)

Auf den Rückseiten sind Projekt-Informationen zusammengestellt. (Bild: Ursula Baus)

Berliner Scheuklappen

Zudem reichen die Projekt-Texte und -Bilder, die auf den Rückseiten der schicken schwarzen Scheiben zu sehen sind, über touristischen Informationswert kaum hinaus, Schwierigkeiten der Wiedervereinigung sind weitgehend ausgeklammert. Niklas Maak fragte in der FAZ am 26. 5. 2018: „Soll der deutsche Pavillon als Nachhilfeunterricht für Zyprier und Israelis verstanden werden, wie toll es ist, Mauern abzubauen?“

Verspiegelte Stirnseite im Seitentrakt (Bild: Ursula Baus)

Dass sich durch eine Spiegelung die Endlosigkeit des Mauerthemas aufdrängen soll, wirkt als Gestaltungsidee arg simpel. (Bild: Ursula Baus)

Außerdem beschränkt sich die Auswahl der Projekte dominant auf Berlin. Urbane Projekte seien interessanter, meinen die Architekten – warum dem so sein soll, sagen sie nicht. Mit wenigen nicht berlinerischen Projekten entlang einer Grenzlinie, die in der Republik über knapp 1.400 Kilometer jahrzehntelang Leid und Tod mit sich brachte, wird hier eine fragwürdige Botschaft in die aus aller Welt anreisende Biennale-Besucherschaft gesendet, die aber typisch ist: Das Kuratoren-Team arbeitet in Berlin, der strahlende Oberbürgermeister Müller reist mit Hauptstadt-Prominenz zur Lagune und lässt sich und seine Stadt feiern, so dass die Veranstaltung wie eine Kampagne der Tourismusbehörde Berlins wirkt.

1822_Dtld_Karte

Die Projektkarte: kleine Republik, großes Berlin (Bild: Ausstellungskatalog)

Rückblick und Idyll

Im Katalog bestätigt sich, dass die diesjährige Schau ein bisweilen rührseliger, bisweilen selbstgefälliger Rückblick auf fast drei Jahrzehnte idyllisierter Wiedervereinigungsgeschichte ist. Herren und Damen in Amt und Würden und solche, die beides schon hinter sich haben, blicken zurück und bekommen eine merkwürdige Deutungshoheit – unter anderem Bruno Flierl, Kristin Feireiss und Hans Stimmann. Hier werden primär „Zeitzeugen“ zu Wort gebeten, wo Geschichtswissenschaftler längst eine andere Messlatte des Wissenswerten über die deutsche Wiedervereinigung gelegt haben.

1822_Dtld_Videos_ub

Zwar werden Blicke auf derzeit vergleichbare Grenz- und Mauerszenarien geworfen, die glücklicherweise außer Land führen. Zu Interviews mit Menschen, die gegenwärtig von trennenden Mauern geplagt sind, gibt es aber leider keine ausreichende Kontextualisierung. Zu hören beziehungsweise zu lesen ist, wie schlimm das alles ist: Aber was heißt das? Nie hatten wir weitreichendere Informationsquellen über das Elend in kriegerischen Regionen als heute, aber das Meiste dessen, was im deutschen Pavillon dieses Jahr zu sehen ist, bleibt auf einer bekannten Oberfläche und wirkt bisweilen sogar selbstgefällig.

Anerkennend meinten manche Besucher, dass der deutsche Pavillon den eiligen Biennale-Besucher nicht überfordere. Das allein kann als Qualitätskriterium keinen Bestand haben, denn beispielsweise auch die „Giardini“, die Gärten, in denen die Architekturbiennale ausgetragen wird, dürfen nicht mit einem populären Freizeitpark gleichgesetzt werden. Biennale-Besucher darf man nicht nur – man muss sie fordern, ohne sie zu vergraulen.


Einige Andere1822_Swiss_4
1822_Swiss_3

Holzboden und weiße Wände: Standards à la Suisse (Bilder: Ursula Baus)

Den Goldenen Löwen – die Auszeichnung für den besten Pavillon des Jahrgangs – bekamen dieses Jahr vier junge Schweizer für ihre Persiflage auf das Schweizer immobilienwirtschaftlich ausgerichtete Wohnungsangebot. Alessandro Bosshard, Li Tavor, Matthew van der Pleog und Ani Vihervaara irritieren mit einer skurrilen, souverän realisierten Fügung viel zu kleiner und viel zu großer Wohnstuben und Küchenzeilen und karikieren subtil das Wohnraumangebot der Gegenwart: Wohnungen, die wie White Cube-Museen daherkommen. „Anstatt ein Gebäude zu repräsentieren, bauen wir die Repräsentation selbst“. So viel Humor aus der Schweiz überrascht.

Hier schließt sich in dieser kleinen, selektiven Biennale-Schau ein kleiner Kreis. Denn im japanischen Pavillon wird einem Darstellungsmittel in einzigartiger Weise gehuldigt: der Architekturzeichnung, in der ein Begriff wie „Freespace“ einen fantastischen Widerhall findet – egal, ob von Hand, auf dem Computer oder sonst wie entstanden: Die Darstellung reizt immer mit einer eigenen Kraft gegenüber der Realisierung, ohne dass man sie gleich als naiv oder utopisch vom Tisch fegen dürfte. Die Brexit-gebeutelten Engländer ließen ihren Pavillon leer und servieren auf dessen Dachterrasse Tee. Die Amerikaner scheuen die Kritik an Donald Trumps Mauerbau-Wahn nicht, die Chinesen verteidigen eine ureigene (Bau)Tradition, die im kapitalistischen China kaum eine Chance hat. Russland macht sich mit Mobilitätsszenarien à la Gagarin lächerlich.


Sleeping Beauty
Die Holzschale war anlässlich der Bundesgartenschau in Mannheim 19** als temporäre Blumenhalle gebaut worden. (Bild: Veranstalter)

Die Holzschale war anlässlich der Bundesgartenschau in Mannheim 1974-75 als temporäre Blumenhalle gebaut worden. (Bild: Cristobal Palma)

Den eiligen, von Trubel und Gedränge geplagten Besuchern sei empfohlen, ausgerechnet in Venedig eine Entdeckung in Deutschland zu machen – auf der ruhigen Insel Giudecca, neben Palladios Il Redentore, wird eine zauberhafte Ausstellung zur Mannheimer Multihalle des posthum mit dem Pritzker Preis ausgezeichneten Frei Otto gezeigt (> Website Multihalle).

Mit unglaublicher Kraft engagieren sich Wissenschaftler, Behörden und Freie gerade für den Erhalt des Bauwunders, das geradezu liebkosend „Sleeping Beauty“ getauft worden ist. Wir denken gleich an Dornröschen. Es geht um Frei Ottos Multihalle in Mannheim, die 1974-75 für die Bundesgartenschau als temporäre Blumenhalle mit einer Zulassung von sechs Jahren gebaut worden ist (zur Baugeschichte siehe > db 9|2015). Über Jahrzehnte haben weder die Stadt Mannheim, noch das Land Baden- Württemberg die Multihalle in ihrem räumlich faszinierenden, bauhistorisch einzigartigen Wert begriffen. Jetzt schafft es die „schlafende Schönheit“ zur Biennale nach Venedig, wo seitens des Bundes – personifiziert in Staatssekretär Gunther Adler – endlich ein bedeutungsgerechtes Interesse geweckt ist.

Die Ausstellung wurde von Georg Vrachliotis kuratiert und von Marc Frohn / FAR frohn&rojas gestaltet und realisiert.

Die Ausstellung wurde von Georg Vrachliotis und Sally Below kuratiert und von Marc Frohn / FAR frohn&rojas gestaltet und realisiert. (Bild: Cristobal Palma)

Die Ausstellung selbst ist ein kleines, konstruktives Wunderwerk. An dem sichtbar geblieben Dachtragwerk einer alten Industriehalle haben die Ausstellungsarchitekten eine Holzkonstruktion aufgehängt und so verspannt, dass nichts wackelt oder schwankt. Die Baugeschichte der Mannheimer Multhalle wird bestens nachvollziehbar erklärt – und nun bleibt zu hoffen, dass die Halle adäquat saniert und genutzt werden kann.

Dazu sei ein Besuch in Bad Münder empfohlen. Wilkhahn veranstaltet in Bad Münder, wo legendäre Industriepavillons von Frei Otto gebaut wurden, am 25. Juni ein Symposium zu Frei Ottos ideellem Erbe: https://www.wilkhahn.com/downloads/Wilkhahn-Einladung-Architekten-Symposium.pdf

Alle Referentenhonorare und Teilnahmegebühren kommen dem Verein Multihalle Mannheim e. V. für Aktivitäten und Veranstaltungen zum Erhalt der Multihalle Mannheim zugute.