• Über Marlowes
  • Kontakt
Ihr wurde „Haltung“ testiert. Ingeborg Flagge, die am 20. Dezember verstorben ist, hat Haltung kompromisslos verteidigt – in verschiedenen Positionen: als Direktorin des DAM, als Chefredakteurin von „der architekt“, als Buchautorin, als Zeitgenossin. Ingeborg Flagge war eine unabhängige Persönlichkeit, wie es sie in der Architekturkritik kaum noch gibt. Standhaft statt stur, zuhörend statt konziliant, kooperativ statt seilschaftend.

oben: Ingeborg Flagge 2005, Sri Lanka, copyright: DAM / Mario Lorenz

Die gelernte Archäologin und Ägyptologin war von 2000 bis 2005 Direktorin des (DAM) in Frankfurt. In dieser Zeit hat sie eine positive Trendumkehr in der Wahrnehmung des Museums geschafft, das in den 1990er Jahren in eine Krise geraten war, finanziell wie inhaltlich. Nun kamen wieder mehr Besucher in Haus, besonders das breitere Publikum fühlte sich angesprochen. Die Diskussionen wurden lebendiger, die Presse horchte wieder auf. Das Programm wurde vielschichtiger und die sehr vielen und rasch wechselnden Ausstellungen begeisterten nicht nur die Fachleute. Ingeborg Flagge eröffnete wieder die Dauerausstellung zur Geschichte des Wohnens und Bauens, die von Heinrich Klotz initiiert und 1989 eröffnet wurde, als Klotz bereits in Karlsruhe an der Gründung des ZKM arbeitete; 1990 hatte sie Vittorio Magnago Lampugnani, der Nachfolger von Klotz, zugunsten vergrößerter Ausstellungsflächen aus den Museumsräumen verbannt. Den Freundeskreis des DAM, der von Wilfried Wang, dem auf Lampugnani folgenden Direktor, wieder ins Leben gerufen worden war, konnte Flagge erweitern. Es konnten neue Sponsoren gewonnen werden, die Finanzierung seitens der Stadt konsolidierte sich. Sie schlug damit ein neues Kapitel auf, dessen positive Verlaufsrichtung sich seither nicht mehr geändert hat.

In der db 11/1990 wurde Ingeborg Flagge "Zur Person" vorgestellt. Das Gespräch, in dem offen über Architekturkritik, Frauen, Unabhängigkeit und die freie Existenz geht, finden Sie vollständig >>> hier.

In der db 11/1990 wurde Ingeborg Flagge „Zur Person“ vorgestellt. Den überaus lesenswerten, vollständigen Beitrag, in dem „if“ offen über Architekturkritik, Frauen, Unabhängigkeit und die freie Existenz Auskunft gab, finden Sie >>> hier.

Streitbar

Ingeborg Flagge war ein neugieriger und keiner Konfrontation aus dem Weg gehender Mensch. Zur Architektenschaft hatte sie eine ambivalente Haltung. Sie fühlte sich ihnen ursprünglich nicht zugehörig, hatte sie doch ein breites Studium absolviert, das sich über Englisch in Cambridge, Philosophie, Alte Geschichte, Klassische Archäologie und Ägyptologie in Köln erstreckte. Dort promovierte sie im Alter von 27 Jahren in Philosophie. Dennoch begleitete sie diese besondere Spezies ihr ganzes Berufsleben aus der Nähe. Direkt nach dem Studium begann sie als Referentin für Öffentlichkeitsarbeit beim Bund Deutscher Architekten (BDA) in Bonn und wurde drei Jahre später mit nur 30 Jahren die streitbare Chefredakteurin des BDA-Organs „Der Architekt“, das sie 14 Jahre lang begleitete. Zwischenzeitlich war sie fünf Jahre lang sogar die Bundesgeschäftsführerin des BDA. 1995 ging sie als Professorin für Baugeschichte nach Leipzig. 1998 schied sie beim BDA aus, „im Protest gegen bestimmte Tendenzen in der Architektenschaft“, wie es auf ihrer eigenen Webseite heißt.

Auch ihr ehemaliger Mann Otto Flagge war Architekt und Stadtplaner und später Stadtbaurat in Kiel. So kannte Ingeborg Flagge praktisch jeden in der deutschen Architektenschaft, was ihr bei ihrem Start im DAM enorm half. Trotzdem provozierte sie ihre Architektenschaft liebend gerne, wusste sie doch genau, wie sie diese triggern konnte, zum Beispiel mit einer großer Einzel-Ausstellung über den größten Tabu-Künstler in der Szene, Friedensreich Hundertwasser. Bis heute dürfen dessen Bauten nicht von anständigen Architekten besucht werden, oder eher: bei dessen Betreten man sich besser nicht erwischen lässt. Sie fand ihn relevant für die Allgemeinheit. Ebenso wie den bisher unbekannten Geoffrey Bawa, dessen Bauten sie in Sri Lanka im Urlaub entdeckt hatte und den sie der staunenden Öffentlichkeit präsentierte. Heute gilt er als legendärer Vater der tropischen Moderne. Sie hob 2004 zusammen mit der DekaBank und der Oberbürgermeisterin Petra Roth den Internationalen Hochhauspreis aus der Taufe, jüngst feierte dieser Preis, inzwischen ausgebaut und international etabliert, seinen 20. Geburtstag.

„Undiplomatischer Abschied einer umtriebigen Direktorin“

„2005 verließ sie zwei Jahre vor Ablauf ihres verlängerten Vertrages das Haus in Frankfurt, weil für sie abzusehen war, dass es immer schwieriger würde, Sponsoren für interessante und aktuelle Themen der Architektur zu finden und dabei die eigene und die Unabhängigkeit des DAM zu wahren,“ so die von ihr initiierte Darstellung ihres Rücktritts.

Zurück in ihrer Wahlheimat Bonn verfasste sie Texte und Reportagen, organisierte Architekturreisen. Vor wenigen Monaten noch erschien ihre Würdigung des neuen Museums Reinhard Ernst in Wiesbaden, dessen Architekt Fumihiko Maki sie sehr schätzte.

Ingeborg Flagge starb im Alter von 82 Jahren durch Freitod, wie ihr langjähriger Freund Volkwin Marg (gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner) in seiner Todesanzeige meldete.


Dieser Nachruf ist der leicht modifizierte Nachruf, der auf der Webseite des Deutschen Architekturmuseums veröffentlicht wurde.