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Stellten wir vergangene Woche den Briefwechsel von Heinrich Klotz mit Léon Krier und Charles Jencks vor, steht im Teil 2 die Korrespondenz mit Günter Behnisch an: Marlowes unterstützt ein aktuelles Kooperationsprojekt des Deutschen Architekturmuseums und der Wüstenrot Stiftung, in dem die noch unveröffentlichte Direktionskorrespondenz des DAM-Gründungsdirektors Heinrich Klotz unter dem Titel „Gründungsakte:n“ aufgearbeitet wird.

Derzeit ist das DAM aufgrund von Sanierungsarbeiten geschlossen. Das Bild zeigt die Ausstellung „Mission: Postmodern. Heinrich Klotz und die Wunderkammer DAM“, 10. Mai – 19. Oktober 2014. (© DAM / Uwe Dettmar)

Revision und Finale?

Heinrich Klotz hatte in einem Brief an Charles Jencks 1984 über die Änderung des Ausstellungstitels informiert: „By the way: I gave up coining terms against you: No ‘Zweite Moderne’ any longer! The opening exhibition will be called: Die Revision der Moderne – Postmoderne Architektur 1960 – 1980! As you can see, you are unbeatable.”1) Den nun hinzukommenden Ausdruck „Revision” verwendete Klotz, wie er im Ausstellungskatalog erläutert, nicht im Sinne des Revisionismus-Begriffs als Wiederbelebung einer vergangenen Epoche.2) Stattdessen drückt der für die Ausstellung gewählte Haupttitel „Revision der Moderne” ein modifizierendes Fortführen der Moderne aus und geht damit auf den ursprünglich vorgeschlagenen Begriff „Zweite Moderne” zurück. Der zweite Abschnitt des Titels, „Postmoderne Architektur”, entspricht Jencks’ Position und ruft ein neues stilistisches Zeitalter aus, das auf die Moderne als abgeschlossene Epoche nachfolgt. Der endgültige Ausstellungstitel lässt sich also als Kompromiss verstehen.

Architectural Design 55, 3-4, 1955 (c DAM)

Architectural Design 55, 3-4, 1955 (c DAM)

Der Streit um die adäquate Begrifflichkeit war mit der Titeländerung jedoch nur scheinbar beigelegt. In dem Gespräch zwischen Jencks und Klotz, dass 1984 aufgenommen und ein Jahr später von Architectural Design publiziert wurde, blicken sie gemeinsam zurück auf die architekturtheoretische „Geburt der Postmoderne”.3) Beide sahen ihre Rolle von dem jeweils anderen nicht ausreichend anerkannt. Jencks äußert dies in dem publizierten Gespräch, in dem er Klotz vorwirft, dieser habe Jencks’ architekturtheoretische Position bei der Eröffnungsausstellung des DAM und dem dazugehörigen Katalog übergangen. Tatsächlich geht der Katalog zur Ausstellung zwar auf den Begriff „Postmoderne” ein, Charles Jencks wird jedoch kein einziges Mal genannt. In dem theoretischen Begleitband Moderne und Postmoderne 4) wird Jencks zwar erwähnt,seine architekturtheoretische Position wird jedoch nur knapp angeschnitten und mit deutlicher Kritik versehen.
Nach dem Gespräch versprach Klotz in einem Brief an Jencks, er wolle dessen Wirken mehr Wertschätzung entgegenbringen und sein Buch – hier ist wohl Moderne und Postmoderne gemeint – entsprechend überarbeiten (siehe Teil 1). Im Gegenzug forderte er Jencks dazu auf, seinem eigenen Beitrag mit mehr Anerkennung zu begegnen.
In einem abschließenden Appell erklärt er, sie müssten sich zu Gunsten einer wahrheitsgetreuen Geschichtsschreibung zusammenschließen und ihre Arbeit gegenseitig unterstützen. Sowohl Klotz als auch Jencks betonten später ihre Freundschaft und gegenseitige Wertschätzung.5) Dass Klotz in seiner Autobiografie6) schreibt, er sei immer ein wenig eifersüchtig auf Jencks’ Erfolg mit dem Postmoderne-Begriff gewesen und dass er die These, die Moderne sei beendet, nach wie vor für zu radikal und nicht richtig halte, zeigt jedoch, dass eine gewisse Konkurrenz bestehen blieb.

Behnisch und die Position des DAM

Von Konflikten geprägt war auch Klotz‘ Beziehung zu dem Architekten Günter Behnisch. Das zeigt der zitierte Brief an Léon Krier (siehe > Teil 1), in dem Klotz ausdrückt, dass Behnisch für ihn nicht zur Avantgarde gehöre. Ein Konflikt geht zurück auf das Jahr 1980: die Gründung des DAM war bereits beschlossen, Ungers beauftragt und Klotz mit dem Sammlungsaufbau befasst. Nachdem Klotz Behnisch einen Besuch abgestattet hatte, um ihn für die Unterstützung des Museums durch Schenkungen zu gewinnen, brachte Behnisch in einem Brief von Mai 1980 seine Zurückhaltung zum Ausdruck (Abb. 11 und 12).

(© DAM und die jeweiligen Urheber:innen bzw. ihre Rechtsnachfolger:innen)Ähnlich wie Krier hatte auch Günter Behnisch eine gewisse Skepsis gegenüber Klotz und seinem Architekturmuseum. Er wirft Klotz vor, er würde bestimmten Architekturtendenzen mit seiner Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit Vorteile verschaffen. Dabei kritisiert er besonders, dass das Architekturmuseum beabsichtigt hatte, einige Werke des amerikanischen Architekten Philip Johnson in seine Sammlung aufzunehmen. Behnisch störte sich offensichtlich an Johnsons neoklassizistischer Monumentalarchitektur und der Idee, diese in einem deutschen Museum zu präsentieren:

„Diese Architektur entspricht meiner Meinung nach nicht unseren gesellschaftspolitischen und humanen Zielen und Vorstellungen. Diese Architektur nutzt nicht die Möglichkeit, die wir in unserem gemäßigten, natürlichen und politischen Klima haben. […] Ich meine […], daß diese Stücke eher Gewaltstücke sind und dann, wenn diese besonders herausgestellt werden, die Akzente eines deutschen Museums für Architektur falsch gesetzt werden.“

Grabenkämpfe

Damit macht Behnisch deutlich, dass er von einem Museum, das eine nationale Aufgabe für sich in Anspruch nimmt, auch eine entsprechende Ausrichtung erwarte. Für Behnisch bedeutete dies allen voran, dass seine eigene Architektur, die er hier selbst als „human“ und „gemäßigt“ bezeichnet, mehr Unterstützung durch das DAM erfahren müsse.
Die Frage, wen das DAM repräsentiert und welche Architektur es unterstützt, kommt in der Gründungszeit immer wieder auf. Beispiele wie Krier und Behnisch zeigen, dass Architekt:innen häufig ein Bekenntnis für eine bestimmte architektonische Richtung von Klotz verlangten. Ähnliche Erwartungen sind bei den Berufsverbänden wie dem Bund Deutscher Architekten (BDA) zu erkennen. Der BDA unterstützte die Idee eines Architekturmuseums zwar prinzipiell, war aber bemüht, sicherzustellen, dass die Interessen des BDA berücksichtigt würden. So war auf einen Vorschlag des BDA hin ausgehandelt worden, dass Heinrich Klotz einen Museumsbeirat aus Vertretern der Architekturpraxis – weibliche Beiratsmitglieder waren hier nicht berufen worden – zur Seite gestellt bekommen sollte. Dieser Beirat nahm seine Arbeit letztlich jedoch nie auf.7)

Klotz betonte stets seine pluralistische Position als Museumsdirektor, so auch im Antwortschreiben an Behnisch von Juni 1980 (Abb. 13 bis 15). Er als Architekturhistoriker und eine öffentliche Institution wie das DAM wären dazu verpflichtet, die verschiedenen Tendenzen objektiv zu thematisieren und die museale Sammlung entsprechend vielfältig aufzubauen. Inwiefern er sich an dieses eigene Versprechen auch stets gehalten hat, kann sicherlich zur Diskussion gestellt werden.

(© DAM und die jeweiligen Urheber:innen bzw. ihre Rechtsnachfolger:innen)

„Inquisitorische Zuspitzung“

Behnisch spitzt seine Kritik der einseitigen Architekturförderung zu, in dem er im letzten Abschnitt seines Briefes vom Mai 1980 auf das Bauvorhaben Architekturmuseum zu sprechen kommt. Er listet eine Reihe von Fragen auf, die darauf abzielen, die mit der Direktvergabe des Bauauftrags einhergehende Ungerechtigkeit anzuprangern. Anstatt auf Behnischs Fragen zum Architekturmuseum einzugehen, berichtet Klotz in seinem Antwortschreiben über den Wettbewerb für das Museum für Kunsthandwerk und sichert Behnisch zu, er werde ihm die geplante ausführliche Publikation über den Wettbewerb zukommen lassen. Im letzten Absatz weist er Behnisch schließlich wegen seines Tonfalls und der „inquisitorischen Zuspitzung“ seiner Fragestellungen zurecht und fordert ihn im Sinne eines respektvollen Miteinanders zu mehr Toleranz auf.
Der in der Direktionskorrespondenz abgelegte Briefwechsel endet mit diesem Schreiben. Aus den Klotz-Tapes sowie aus Briefen aus dem Teilnachlass Klotz im Deutschen Kunstarchiv des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg geht jedoch hervor, dass Klotz und Behnisch weiterhin Kontakt hatten und einige Jahre später auch bezüglich einer Zusammenarbeit bei einem Ausstellungsprojekt im Gespräch miteinander waren.8)

Am 31. Januar 2023 fand im Rahmen der CCSA-Talks ein Online-Vortrag über das Projekt statt. Im Anschluss kam es zu einem anregenden Gespräch zum Projekt und den vorgestellten Themen. Eine Aufzeichnung des Vortrags ist auf YouTube (https://klotzprojekt.wordpress.com/2023/03/01/ccsa-talk-und-blog-release/) verfügbar.

Am 31. Januar 2023 fand im Rahmen der CCSA-Talks ein Online-Vortrag über das Projekt statt. Im Anschluss kam es zu einem anregenden Gespräch zum Projekt und den vorgestellten Themen. Eine Aufzeichnung des Vortrags ist auf > YouTube verfügbar.

Projektziele

Die Frage nach „richtig“ und „falsch“ in der Architektur ist eines von vielen Themen, die die Gründung des DAM begleiteten. Ziel des Forschungs- und Archivprojektes ist es, einen Überblick über die vielfältigen mit der DAM-Gründung verbundenen Themenstränge zu ermöglichen. Dafür entsteht ein „illustriertes Findbuch“, das eine Orientierung zu den verschiedenen Archivbeständen sowie Tiefenbohrungen zu einzelnen Themen anbieten soll. Das Findbuch richtet sich sowohl an Wissenschaftler:innen aus den Bereichen Architektur- und Kunstgeschichte als auch an disziplinübergreifende Forscher:innen, die sich beispielsweise für die Gründungsphasen von Kultureinrichtungen interessieren.

Auf dem projektbegleitenden Gründungsakte:n-Blog wird es bis zum Erscheinen des Findbuchs im Frühjahr 2024 regelmäßig Einblicke in das Projekt, die Vorgehensweise und den Arbeitsstand geben. So wächst im Laufe des Projektes eine digitale Materialsammlung heran, die bislang unzugängliche Archivalien auf einfachem Wege einsehbar macht: www.klotzprojekt.wordpress.com.

Neben den hier präsentierten Briefen sind auf dem Blog bereits konzeptionelle Notizen zu Ausstellungsprojekten sowie die aufwendige Panorama-Multivisionsschau, die von der Firma von slatow ideeratio für das DAM erstellt und während der Eröffnungsausstellung 1984 auf 12 Projektoren gezeigt wurde, einsehbar. Ein weiterer Blog-Beitrag stellt ein Projekt von Julia Brandes vor, die im Rahmen ihrer Diplomarbeit 2010 den umfangreichen Dia-Bestand von Heinrich Klotz digitalisierte. Klotz war leidenschaftlicher Architekturfotograf und nutzte seine Fotos zur Illustration seiner Vorlesungen und Publikationen. Die Sammlung ist ein bedeutendes Zeugnis der Auseinandersetzung mit postmoderner Architektur: https://postmoderneprojektionen.hfg-karlsruhe.de/index.html

Im Rahmen des Projektes ist außerdem ein Podcast in Arbeit, der die historischen Aufnahmen von Klotz‘ Interviews mit verschiedenen Architekt:innen der Postmoderne erstmals veröffentlicht. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung wird auf dem Blog bekannt gegeben.


1) Siehe den letzten Absatz von Teil 1 der „Revisionen“, https://www.marlowes.de/heinrich-klotz-aktuelle-revisionen/

2) Vgl. Ausst.kat. Revision der Moderne. Postmoderne Architektur 1960-1980, Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt, München 1984, Seite 9

3) „In the steps of Vasari. Charles Jencks interviews Heinrich Klotz”, in: Architectural Design und Heinrich Klotz (Hrsg.): Revision of the Modern. Guest-edited by Heinrich Klotz, AD 55, Heft 3/4, London 1985

4) Heinrich Klotz: Moderne und Postmoderne. Architektur der Gegenwart 1960–1980, Braunschweig 1984

5) Vgl. Eva Branscome, Léa-Catherine Szacka: „Die postmoderne Architektur und ihre Geburtshelfer“, in: Die Klotz-Tapes. Das Making-Of der Postmoderne (Arch+ Nr. 216, 2014, editiert und herausgegeben von Oliver Elser), S. 18 – 27 und Heinrich Klotz: Weitergegeben. Erinnerungen, Köln 1999, Seite 76–77.

6) Heinrich Klotz: Weitergegeben. Erinnerungen, Köln 1999, hier Seite 76-77.

7) Die Direktionskorrespondenz belegt, dass Heinrich Klotz für den Museumsbeirat folgende Personen ausgewählt hatte: Max Bächer, Lucius Burckhardt, Herrn Glaser [vermutlich Hermann Glaser], Hans Hollein, Paulgerd Jesberg, Jürgen Joedicke, Fritz Leonhardt, Frei Otto, Manfred Sack, Artur Walter sowie vermutlich Helge Bofinger. Es ist möglich, dass es weitere Berufungen gab, die in der Korrespondenz nicht dokumentiert sind. Burckhardt und Sack lehnten die Teilnahme am Beirat ab. Aus der Korrespondenz zwischen Klotz und Paulgerd Jesberg geht hervor, dass der Beirat seine Arbeit nie aufgenommen hat.

8) Vgl. Die Klotz-Tapes. Das Making-of der Postmoderne (Arch+ Nr. 216, 2014, editiert und herausgegeben von Oliver Elser), Seite 69, 121 und 220 sowie die entsprechenden Anmerkungen.