Eine Entdeckung! Er war ein Architekt aus der Pfalz, der von der anderen Rheinseite aus dem Badischen wesentlich zum Bauen in seiner alten Heimat beigetragen hat. Unzählige Kollegen haben bei und mit ihm gearbeitet, sie erinnern sich daran, dass für Wolfgang Hirsch (1924-1977) Partnerschaft vor allem Partizipation bedeutete, um für alle Mitarbeiter gute Arbeits- und Lebensbedingungen zu schaffen. Sein herausragendes Werk verdient paradigmatisch Aufmerksamkeit, weil Architektur dieser Generation gerade überall abgerissen wird, wo ökonomische Interessen höher bewertet werden als architektonische Qualität – und die Pflege des Bestands immer noch beschämend vernachlässigt wird.
„… internationale Standards gesetzt“
Vor hundert Jahren wurde der Karlsruher Architekt Wolfgang Hirsch geboren. Er ist sicher weniger bekannt als Egon Eiermann oder Hermann Billing. Schon deshalb oder gerade weil sein Name im Kanon einer Partnerschaft verborgen blieb. Immerhin erinnert die Architektenkammer Rheinland-Pfalz an den 1977 verstorbenen Kollegen mit einer nach ihm benannten Auszeichnung für Personen, die sich „besondere Verdienste um die Bedeutung und den Stellenwert von Architektur und ihrer Korrelation mit der menschlichen Entfaltungs- und Gestaltungsqualität“ erworben haben.
Die Architektenkammer Rheinland-Pfalz notiert auf ihrer Website: „Wolfgang Hirsch, der Namensgeber der Auszeichnung, hatte als Architekt zwischen 1950 und seinem frühen Tod 1977 als Begründer und Kopf der Werkgemeinschaft Karlsruhe in Rheinland-Pfalz nationale und internationale Entwicklungsstandards gesetzt – insbesondere beim Bau von Schulen und Bildungseinrichtungen, aber auch mit Beiträgen in Wort und Schrift. Neben einer ausgeprägten fachlichen Kompetenz zeichnete Wolfgang Hirsch die Fähigkeit aus, die Gegenwart zu erkennen und in die Zukunft zu denken. Die seit 1981 alle fünf Jahre verliehene ‚Wolfgang-Hirsch-Auszeichnung‘ knüpft sowohl an diese baukulturellen Leistungen wie an die Verpflichtung zur Nachhaltigkeit und Zukunftsorientierung an.“
Wenn man etwas über Wolfgang Hirsch erfahren möchte, gerät man – ähnlich wie bei Günter Behnisch, der auch zu den Trägern dieser Auszeichnung zählt – in ein dicht verknüpftes Portfolio, eine Art Genealogie von Architekten, die das Bauen im Südwesten Deutschlands bestimmt haben.
Hirsch wurde in Kaiserlautern geboren, aber die Familie zog bald nach Neustadt an der Weinstraße, wo der Sohn das (alte) Kurfürst-Ruprecht-Gymnasium besuchte. Unentschlossen bei der Berufswahl begann er zunächst mit Medizin in München, studierte dann aber Architektur in Karlsruhe. Er war Assistent an der TH, traf dort auf Alfred Bohne, mit dem er 1951 ein eigenes Büro gründete. Ihre Arbeitsschwerpunkte lagen bei Schul- und Krankenhausbauten – Aufträge, die sie über zahllose Wettbewerbe gewannen. Man teilte sich die Aufgaben, Wolfgang Hirsch war vor allem für die Bildungsbauten zuständig. Die Berufsschule in Eberbach und die Grundschule in Neidenfels zählen zu seinen maßgebenden, akribisch detaillierten Arbeiten.
Die aus fünf zweigeschossigen Pavillons entwickelte, in den Berghang gebaute Anlage der Pfälzer-Wald-Gemeinde steht inzwischen unter Denkmalschutz. Ihre Maßstäblichkeit sollte „der Vorstellungs- und Gefühlswelt des Kindes“ entsprechen, sie gilt mit ihrem typischen Zeitkolorit als qualitätsvolles Beispiel der regionalen Baugeschichte, Hirsch wurde dafür mit dem Kulturpreis des Landes Rheinland-Pfalz ausgezeichnet. Im kommenden Haushaltsjahr wird die Schule energetisch saniert werden. Auch sein Haus Biffar in Haardt, das sich mit seinen Sandsteinbossen in die ehemaligen Wingertterrassen stemmt, wurde in die Denkmaltopographie aufgenommen.
Damit florierte das Büro, Wolfgang Hirsch, so berichtete es sein Partner später, litt jedoch unter dem Eindruck, „das Ganze sei nicht mehr zu übersehen“. Man trennte sich freundschaftlich, Hirsch schloss sich 1961 einem anderen Büro an, der Werkgemeinschaft Karlsruhe. Zunächst waren es fünf Partner: Paul Schütz, Dieter Stahl, Rudolf Hoinkis, Martin Lanz – und Wolfgang Hirsch. Das Architekturunternehmen beschäftigte meist um die 50 Mitarbeiter. Die Aufträge kamen zunächst aus dem Umland, erst 1963 war die Gemeinschaft in Karlsruhe erfolgreich mit den gewonnenen Wettbewerben für das Staatstheater und die Ernst-Reuter-Schule. Auch die Baumgartensiedlung im Stadtteil Rüppur gehörte zu ihren frühen Arbeiten. Hier galt es bereits, den gestiegenen Wohnbedürfnissen gerecht zu werden. Mit dem Erfolg wurde das Werkverzeichnis zunehmend vielfältiger, neben den Bildungsbauten tauchen Verwaltungsgebäude auf. Die Stadtwerke, die Uni in Karlsruhe, der Röser Verlag und IBM zählten zu den Auftraggebern. „Kleine individuelle Sonderanfertigungen“, wie Wolfgang Hirsch Einfamilienhäuser rubrizierte, passten für ein Büro dieser Größe kaum noch. Wettbewerbe, über 120 Preise und Ankäufe, darunter 38 erste Preise sorgten für Aufträge. Die Architektursprache der Partnerschaft folgte längst internationalen Standards. In den Publikationen ihrer Bauten findet man die Attribute Transparenz, Ordnung, Raster. Man erinnert sich an béton brut, Klinker und Holz, alles gewissenhaft bis ins Detail stimmig ausgeführt.
Auch die Zusammenarbeit mit Künstlern blieb Hirsch nicht fremd, etwa mit Erwin Wachter beim Kirchenzentrum St. Elisabeth in Landau, wofür beide mit dem Staatsehrenpreis „Kunst am Bau“ honoriert wurden. Helmut Striffler fasste es einmal knarzig so zusammen: „Die Werkgemeinschaft Hirsch zum Beispiel agierte aus dem badischen Karlsruhe in der Pfalz und baute in den 50er und 60er Jahren einige vorbildliche Schulen, die die Pfälzer dann wieder verlottern ließen.“
Was Wolfgang Hirsch zusätzlich auszeichnete, war sein politisches Verständnis einer Partnerschaft. In der Ära der Studentenbewegung passte es besser, vom Kollektiv zu sprechen als vom Team. Gerhard Dürr, Ende der 50er Jahre Projektleiter bei Hirsch + Bohne, erinnert sich amüsiert, dass Hirsch nach einer der ersten internationalen Architekturausstellungen (mit der die Präsentation der Schule in Neidenfels als vorbildliches Beispiel neuer Tendenzen bis in die USA wanderte) aus dem kommunistischen Polen zurückkehrte und die Vielfalt eines kooperativen Leistungsspektrums pries, bei dem das gemeinsame Engagement vor dem persönlichen Beitrag zählt. Jeder der Partner arbeitete nun mit einer Projektgruppe, in der sich möglichst alle entfalten, selbst bestimmen und ihren Neigungen folgen konnten. Dazu gehörte auch eine gleichmäßige Gewinnverteilung, unabhängig, wie die einzelne Gruppe mit ihrem Projekt wirtschaftlich abgeschnitten hatte. Wolfgang Hirsch hat diesen kollegialen Arbeitsstil 1972 in einem ausführlichen Artikel im Architektenblatt erläutert.
Die Werkgemeinschaft Karlsruhe lebt mit neuen Verantwortlichen weiter. Was die verwobenen Stammbäume betrifft, da hat sich mit Bernhard Sebastian ein Ableger als Werkgemeinschaft Landau gebildet, sie besteht heute in zweiter Generation. Nikolaus, der Sohn von Wolfgang Hirsch, arbeitet als Kunstwissenschaftler, Architekt und Kurator. Ehemals Direktor des Städel Museums leitet er inzwischen das Architekturzentrum und Museum CIVA in Brüssel, überregional bekannt wurde er durch die Projektpartnerschaft mit den Kollegen Wandel Höfer Lorch. Gerhard Dürr, der sich um das Andenken an Wolfgang Hirsch, seinen ehemaligen Arbeitgeber, kümmert, geht mit seinen fast 92 Jahren noch täglich ins Büro und sorgt sich um das von ihm Gebaute. Auch seine beiden Kinder sind Architekten, Susanne ist Professorin an der Hochschule Karlsruhe und Vizepräsidentin der Architektenkammer Baden-Württemberg, Martin Partner im Büro Baurmann Dürr, ebenfalls in Karlsruhe. Schön, wenn Architektur kein Ende nimmt. In diesem Fall begann sie mit Wolfgang Hirsch am 13. April 1924.