• Über Marlowes
  • Kontakt

Level 42

1946_SK_Quartett_Programm


Stilkritik (63) | Das Architekturquartett in Ludwigsburg zählt allmählich zu den immateriellen Kulturgütern. Als älteste, häufigste und jedes Mal sehr gut besuchte Veranstaltung ist es ein populärer Beitrag der Architektenkammer Baden-Württemberg zum Bau-Diskurs. Anfang November widmete sich das 42. Quartett dem Thema Wohnen – zum zweiten Mal unter neuer Regie und Moderation.



Wahrscheinlich hatten sich die Verantwortlichen mehr von dieser Auseinandersetzung versprochen. Wohnen zählt zu den hehren Aufgaben der Architekten, hier treffen Baugestaltung, Städtebau und Sozialpolitik aufeinander. Elke Reichel, die das Gespräch moderierte, wartete dazu vergeblich auf weiterführende Erkenntnisse aus den diskutierten Beispielen. Angelika Schnell hatte das beiläufig gleich zu Beginn für alle drei Beiträge definiert: Es handele sich um Einzellösungen, aus denen keine Ratschläge für das aktuelle Problem fehlender bezahlbarer Wohnungen abgeleitet werden könne.

Wohnheim in Heilbronn von JoosKeller Architekten (Bild: Frank Ocker)

Wohnheim in Heilbronn von JoosKeller Architekten (Bild: Frank Ocker)

Solitär und Quartier

Eröffnet wurde der Gesprächs-Parcours mit einem Wohnheim in Heilbronn von Joos Keller Architekten, ein harscher, schwarzer Gebäudewinkel an einer Ausfallstraße, gesäumt von banalen Wohnbauten aus den letzten Jahrzehnten. Die Begeisterung der vier kritischen Besucher ließ sich kaum verbergen. Die jungen Architekten hatten alles richtig gemacht, das war ein ernst zu nehmender, präzise detaillierter Bau aus vorgefertigten Dreischicht-Raummodulen. Der allerdings wie ein erratisches Fanal in der unwirtlichen Gegend steht. Rainer Hofmann lenkte deshalb die Diskussion auf den versäumten Städtebau, auf das Missverhältnis von öffentlichem Raum und privater Aneignung. Dieses isolierte Boardinghouse für häufig wechselnde Bewohner sei kein Gewinn für das Quartier, mit dem es nichts zu tun habe, es sei keine Hilfe, um „die Menschen mit dem Ort zu verwurzeln“. Dem hielt Gerd Gassmann entgegen, dass an dieser Stelle doch gar niemand freiwillig wohnen möchte. Der Bestand sei kein Anlass, um darauf zu reagieren. Aber der Münchner Kollege gab nicht auf und verlangte einen Mehrwert von der Architektur, die sie für die Stadt leisten müsse, ja, er steigerte sich zu der sympathischen Forderung, Architekten sollten Verantwortung übernehmen und über ihr jeweiliges Projekt hinausdenken. An der Stelle hätte man sich eine moderierende Nachfrage gewünscht: Was heißt das konkret? Sollen Architekten auf Aufträge verzichten, wenn ihnen der B-Plan nicht gefällt? Dem Investor eine Planung ausreden, erfahrenere Kollegen empfehlen, beim Wettbewerb von der Aufgabenstellung abweichen? Was kostet Verantwortung? Genauso gerne hätte man das ästhetische Konzept des Hauses einmal konterkariert: Ist es ein neutraler Hintergrund, will es von architekturfernen Bewohnern in Besitz genommen werden, lässt es sich strapazieren, kann es altern (weiß lasiertes Holz, keine Fußleisten, scharfe Kanten…)?

Cloud 7 von tec Architecture aus Los Angeles (Bild: Peter Schlaier)

Cloud No. 7 von tec Architecture aus Los Angeles (Bild: Peter Schlaier)

Hingeschlonzter Spätkapitalismus

Ein Wechselbad dann die zweite Notierung: ein Hochhaus in der Stuttgarter Innenstadt, Cloud No.7 von tec Architecture (das auf den ersten Blick etwas an Jürgen Mayer H. erinnert). Ursprünglich handelte es sich um einen Wettbewerbsgewinn von Grüntuch Ernst, die schließlich unter nicht eindeutig erläuterten Umständen aus dem Auftrag gedrängt wurden. Ein merkwürdiges Dickicht von Tochtergesellschaften agierte als Bauherrschaft. Damit hatte das Projekt schon zu Beginn ein G’schmäckle, was sich später in der schlampigen Detaillierung bestätigte. Alles nur „hingeschlonzt“, fasste es Gassmann zusammen. Fast spürte man die Schadenfreude auf dem Podium, dass die Großkopfeten, die sich den teuersten Wohnraum der Stadt leisten können, so einen Schrott für ihr Geld bekommen haben. Endlich Stimmung auf der Bühne! Dass es sich um ein Hochhaus handelt, wurde keineswegs moniert, das ließ man städtebaulich gelten, diese Setzung sei an der Stelle richtig, urteilte Hofmann. Angelika Schnell formulierte die Kritik im Jargon ihrer ehemaligen Umgebung bei der Arch+: „ein neoliberalistisches Projekt in spätkapitalistischer Zeit“. Immerhin sei es wenigstens einmal ein schriller Beitrag, der sich da nach Stuttgart verirrt habe, er sei zwar schlecht ausgeführt, aber wenigstens nicht langweilig. Und irgendwann wird er wie alles Modische eben ausgetauscht werden. Gassmann lenkte den Blick nach vorne und forderte, die Gemeinden sollten nur noch Grundstücke vergeben, wenn sich der Bauherr verpflichte, dort passable Architektur hinzustellen.

Mikrohofhaus in Ludwigsburg vom Atelier Kaiser Shen (Bild: Nicolai Rapp)

Mikrohofhaus in Ludwigsburg vom Atelier Kaiser Shen (Bild: Nicolai Rapp)

Talent im Kleinen

Der dritte Beitrag illustrierte das angestoßene Problem Wohnungsnot und Restflächen im Labormaßstab: 7,3 qm umbauter Raum plus Gartenhof, angelegt auf einer lärmigen Ludwigsburger Verkehrsinsel. Man kann darin wohnen, weil sich alles klappen, falten, stapeln, stauen lässt, um die notwendigen Aufenthaltsfunktionen zu erfüllen. Am besten geht das natürlich bei schönem Wetter, wenn die gebäudehohe Glasschiebetür offen bleiben darf. Beeindruckt waren die kritischen Besucher, wie intelligent das Atelier Kaiser Shen ihr Mikrohaus detailliert hatte, aber man rätselte, ob es sich um einen Prototyp oder ein Experiment handelte. Kann man es an anderen Orten wiederholen, ein wenig größer? Und ohne die Lärmkulisse! Der Wert dieses Implantats, erkannte Hofmann, läge darin, dass es den städtischen Raum verändert. Man dürfe es nicht mehr wegnehmen, weil es Interesse provoziere. Eben, ein Gehäuse zwischen Kunstwerk und Haus, ließ Gassmann die Bestimmung offen. Und deshalb, resümierte das Podium, sollte man das Talent der jungen Architekten nutzen und ihnen einen Anschlussauftrag erteilen: Wohnen wirklich!

Wo bleibt der Zoff?

Damit schloss das Quartett harmonisch. Man hatte die Viere diesmal statt auf dem sonst peripher aufgestellten Podest mitten auf der Bühne platziert und vor ihnen einen sperrigen Monitor aufgebaut, auf dem sie ohne Verrenkung die Projektionen verfolgen konnten. Das ließe sich verbessern. Elke Reichel hat sich als ansehnliche Gesprächsleiterin bewährt, sie ließ alle zu Wort kommen, ohne selbst parteilich eine Kontroverse auszulösen. Das darf man so machen. Da aber das neue Format des Architektur-Quartetts auch keine prominenten Laien mehr dazu holt, besteht die Gefahr, dass die Debatten in Architektur-Blickführungen mit verteilten Sprechrollen enden. Ein bissl Zoff auf offener Bühne wäre kein Schaden.