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„Altstädte“ – was immer man darunter verstehen mag – sind Sehnsuchtsorte der baukulturell verunsicherten Bürgerschaft und Touristenziele geworden. Ein Beispiel aus dem Norden der Republik zeigt, wie – umgekehrt – eine Altstadt mit stadtverträglichem Neubau modernisiert werden kann. Riemann Architekten bauten für eine Hotelkette ein Unikat.


Wer in Lübeck ein Hotel aufsucht, kommt in der Regel als Tourist, geht ins Europäische Hansemuseum, besucht die Marienkirche, den Dom, das Holstentor oder geht einfach ins Kaffeehaus zu Niederegger, um für die Lieben daheim ein Holstentor aus Marzipan mitzubringen. Manch einer folgt den Spuren großer Romanciers oder bedeutender Politiker, geht in die Glockengießerstraße zum Günter-Grass-Haus oder in die Mengstraße zum Buddenbrook-Haus oder ins Willy Brandt-Haus. Zum gerade erst eröffneten Motel One ist es von dort ein Katzensprung – ein Mal um die mächtigen Backsteintürme der Marienkirche herum, und schon ist man da. Auf dem Weg dorthin lohnt ein Blick nach rechts, zum 2013 fertig gestellten Gablerhaus von Konermann Siegmund Architekten. Architektur muss nicht ins Heimattümelnde kippen, nur weil Motive aufgenommen werden, die für die Region typisch sind – und hier sind es nun mal die Backsteingiebel.

Blick von *** Richtung Sankt Marien. Das Motel One war 2017 – im Bild links von den Tonnendächern des Kaufhauses P&C gelegen, noch Baustelle. (Bild: Wilfried Dechau)

Blick vom Turm von Sankt Petri Richtung Sankt Marien. Das Motel One war 2017 – im Bild links von den Tonnendächern des Kaufhauses P&C gelegen, noch Baustelle. (Bild: Wilfried Dechau)

Stadtdachlandschaft

Es kommt darauf an, wie man es macht. Beim Gablerhaus war es gelungen. Und beim Motel One bestätigt sich die Strategie ortstypischen, zeitgenössischen Bauens. Der Hotelbau ist das Ergebnis eines Wettbewerbs, den die hier ansässigen Architekten gewonnen hatten (zum Wettbewerbsergebnis siehe > hier). Zwei Gestaltungsmotive waren ausschlaggebend: Rücksprünge und gereihte, steile Dächer. Drei leicht gegeneinander versetzte, klar gegliederte Backsteinbauten – cremeweiß geschlämmt – bilden das Gesamtvolumen für immerhin 122 Zimmer. Ja, auch das passt in die backsteingesättigte Altstadt! Was hingegen immer noch nicht passt, ist der Kaufhaus-Bau gleich gegenüber. Dass die Tonnendächer eine Reverenz an die Rathausarkaden vis-à-vis sein sollen, behauptete Architekt Christoph Ingenhoven zwar, aber aus Sicht eines alten, aber keineswegs retroseligen Lübeckers wie mir konnte und kann das nur ein Witz sein. Wegen dieser Entgleisung hätte Lübeck beinahe den Weltkulturerbe-Status verloren.

Giebelreihe mit P&C im Hintergrund, vorne die Seitenfront des Motel One (Bild: Wilfried Dechau)

Giebelreihe mit P&C im Hintergrund, vorne die Seitenfront des Motel One (Bild: Wilfried Dechau)

Blick in die ***gasse. Die Gestaltung der Giebelseiten des Neubaus orientiert sich am alten Gegenüber und bedient sich zeitgenössicher Bautechnik. (Bild: Wilfried Dechau)

Die Gestaltung der Giebelseiten des Neubaus orientiert sich am alten Gegenüber und bedient sich zeitgenössicher Bautechnik. (Bild: Wilfried Dechau)

Wettbewerb – Fluch und Segen

Kurz vor der Eröffnung des Hanse-Museums sprach ich 2015 mit dem damaligen Bürgermeister Bernd Saxe (der seit Mai 2018 altersbedingt nicht mehr im Amt ist) – nicht nur über das Museum, sondern auch über andere wichtige Projekte wie zum Beispiel das Gründerviertel zu Füßen der Marienkirche, die Erweiterung der Fußgängerzone „Schrangen Klingenberg“ und die (zur Zeit im Bau befindliche, aber nicht wirklich erwähnenswerte) Priwall-Waterfront in Travemünde, das Ortsteil Lübecks ist. Bei der Gelegenheit schwärmte Bernd Saxe in höchsten Tönen vom Motel One. Der Wettbewerb war gerade entschieden worden. Zugegeben, ich hatte dem seinerzeit nicht allzu viel Bedeutung beigemessen – zumal der inzwischen auch aus dem Amt geschiedene Bausenator Franz-Peter Boden seinen Bürgermeister als nicht besonders architekturaffin beschrieben hatte. Nun, da muss ich wohl Abbitte leisten.

Was dort, an sensibler Stelle, mitten im Herzen der Altstadt entstanden ist, kann sich sehen lassen – dem Architekten Helmut Riemann sei es gedankt und auch dem Bauherrn Motel One, der sich beim Bau in 1A-Lage nicht hat lumpen lassen. Der Durchschnittspreis eines Motel One-Zimmers liegt bei etwa 60.000 Euro, hier in Lübeck bei rund 90.000 Euro.
Es ist aber vor allem der Stadtraum, der hier nicht allein berücksichtigt, sondern aufgewertet worden ist. Normalerweise sehen die Baukörper der Motels One aus wie vollgepfropfte Zellensetzkästen. Nicht so hier in Lübeck, wo der Baukörper mit gut proportionierter Satteldachlandschaft wie die passende Ergänzung der „fünften Stadtfassade“ der Lübecker Innenstadt wirkt. Weil man in Lübeck gern auf den Turm von Sankt Petri steigt, weil nur von dort ein Blick auf die Gesamtstadt möglich ist, spielt der Aufblick auf die Dachlandschaft eine große Rolle.

Im Interieur müht sich das Motel One um ortstypische Motive. Die Absicht, Gästen ein wiedererkennbares "Hotel-Zuhause" zu bieten, dominiert wie in den Zimmern. (Bild: Wilfried Dechau)

Im Interieur müht sich das Motel One um ortstypische Motive. Die Absicht, Gästen ein wiedererkennbares „Hotel-Zuhause“ zu bieten, dominiert jedoch wie in den Zimmern. (Bild: Wilfried Dechau)

Die Zimmer sind der komplexen Gebäudekontur angepasst, und siehe da: Es geht auch bei Motel One. Zudem überzeugt, wie die Erdgeschosszone für Jedermann einen angenehmen Gehweg bildet. Mit Arkaden werden erneut ein ortsübliches Motiv und ein Höhenunterschied aufgenommen, was im Innenraum eine abwechslungsreiche Zonierung mit sich bringt.
Lübeck proftiert, auch wenn im Ganzen die Retro-Vorlieben sehr dominieren, von einem Gestaltungsbeirat, dem Wettbewerbe und Entwurfskorrekturen zu danken sind.