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Unter dem Titel „Macht Raum Gewalt“, dem wir hier in der Überschrift durch geänderte Groß- und Kleinschreibung eine Bedeutungsänderung unterlegt haben, widmet sich in der Berliner Akademie der Künste am Pariser Platz eine Ausstellung dem „Planen und Bauen im Nationalsozialismus“. Sie präsentiert die Ergebnisse eines 2017 vom BM-Bau beauftragten Forschungsprojekts zu „Voraussetzungen, Institutionen und Wirkungen“ des Bauens im „Dritten Reich“. Der Autor rät mit persönlichen Notizen zu differenzierter Betrachtung.

Blick in die Ausstellung in der Akademie der Künste Berlin (Bild: Jürgen Tietz)

KZ Mauthausen, „Todesstiege“, um 1942. Sie verband den Steinbruch „Wiener Graben“ mit dem KZ. Mehr als die Hälfte der insgesamt 200.000 im KZ Mauthausen Gefangenen erlebte die Befreiung im Mai 1945 nicht. (Bild: U.S. Holocaust Memorial Museum, Fotoarchiv, Nr. 15622, Courtesy Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen)

KZ Mauthausen, „Todesstiege“, um 1942.
Sie verband den Steinbruch „Wiener Graben“ mit dem KZ. Mehr als die Hälfte der insgesamt 200.000 im KZ Mauthausen Gefangenen erlebte die Befreiung im Mai 1945 nicht.
(Bild: U.S. Holocaust Memorial Museum, Fotoarchiv, Nr. 15622, Courtesy Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen)

Im Rahmen des genannten Forschungsprojekts hat eine unabhängige Historikerkommission1) Forschungsaufträge vergeben,2) deren Ergebnisse in einer leider sehr teuren vierbändigen Begleitpublikation im Hirmer Verlag erschienen sind.3) Immerhin gibt es auch einen begleitenden Ausstellungskatalog4), doch diesem hätte man ein paar Fußnoten mehr gewünscht. Das hätte all jenen Ausstellungsbesuchern den Einstieg ins Thema und seine (Forschungs-) Geschichte erleichtert, die sich erstmals intensiver mit diesem Kapitel der NS-Geschichte befassen.

Tatsächlich hinterlässt die Berliner Ausstellung einen zwiespältigen Eindruck. Sehr gut ist es, dass das Thema des Bauens im Nationalsozialismus überhaupt einmal wieder umfassend aufgegriffen wird. Sehr gut auch, dass dabei mit einem Geländemodell des KZ-Flossenbürg die Vernichtung durch Arbeit inhaltlich wie räumlich ins Zentrum gestellt wird und damit der Zusammenhang von Zwangsarbeit und Architektur im „Dritten Reich“. Sinnvoll sind zudem die internationalen Querverweise zur baulichen Entwicklung etwa in der stalinistischen Sowjetunion und dem faschistischen Italien, den USA und Großbritannien.

Blick in die Ausstellung, Abschnitt "Lager als Herrschaftsinstrument und Lebenswelt" (Bild: Jürgen Tietz)

Blick in die Ausstellung, Abschnitt „Lager als Herrschaftsinstrument und Lebenswelt“ (Bild: Jürgen Tietz)

 

Ausstellungsdidaktik

Noch bevor es in die eigentliche Ausstellung geht, wird den Besuchern das angestrebte Lernziel ihres Besuchs überpädagogisch in fünf Kernbotschaften übermittelt: Dass nämlich das Planen und Bauen im Nationalsozialismus alle Lebensbereiche durchdrang, die Repräsentationsbauten eigentlich für den NS-Staat weniger wichtig waren als Wohnsiedlungen, Bunker sowie die Konzentrations- und Vernichtungslager, dass denjenigen, die planten und bauten, eine Mitverantwortung für die Ausübung von Gewalt und NS-Verbrechen zugeschrieben werden muss, dass das Planen und Bauen auch im Nationalsozialismus eine internationale Perspektive besaßen und dass zur baubezogenen Erinnerung nach 1945 Verdrängungen und Ausblendungen gehörten. Neu, gar überraschend ist keine dieser Kernthesen.

Blick in die Ausstellung, nationalsozialistischer Alltag (Bild: Jürgen Tietz)

Blick in die Ausstellung, nationalsozialistischer Alltag (Bild: Jürgen Tietz)

Den Auftakt der Ausstellung bildet ein Blick auf den Wohnungsbau und das Bauen für Staat und Partei als sichtbare Strategien zur Absicherung der Macht. Der Bogen führt weiter von den Reichsautobahnen, die Organisation Todt und die kriegsvorbreitenden Kasernen auch zum privaten Eigenheimbau. Aber warum werden hier ohne tiefergehende Erläuterungen Häuser von Egon Eiermann und Hans Scharoun gezeigt, während nebenan im Film des Abbruchs des letzten Hamburger Gängeviertels zu sehen ist? Ehe die Ausstellung mit Blicken auf die Nachkriegszeit austrudelt, werden Porträts und Biographien von Zeitgenossen präsentiert. Hinter dem NS-System und seinem Terror standen immer einzelne Menschen. Doch wie kann es sein, dass da der „Reichsstatthalter“ in Thüringen, der in Nürnberg als Kriegsverbrecher hingerichtete Fritz Sauckel, in alphabetischer Ordnung einfach so neben dem Architekten Hans Scharoun gezeigt wird? Zeitgenossenschaft als hinreichendes Verbindungsglied? Wirklich? Es ist eine Ausstellung, in der nirgends ein QR-Code zu einer vertiefenden Kontextualisierung weiterleitet. Das ist schlicht nicht zeitgemäß.

Blick in die Ausstellung, Abschnitt Raumplanung im besetzten östlichen Europa (Bild: Jürgen Tietz)

Blick in die Ausstellung, Abschnitt Raumplanung im besetzten östlichen Europa (Bild: Jürgen Tietz)

In Ermangelung einer übergeordneten Baubehörde durchdrang das Leitthema des Bauens im NS unterschiedliche Organisationen, von der Wehrmacht über die Organisation Todt bis zum „Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt“ (GBI) unter Albert Speer. In dessen ehemaligen Räumen am Pariser Platz, die einst und heute wieder zur Akademie der Künste gehören, wird die Ausstellung auch präsentiert. Dabei möchte sie dezidiert „Mehr als Speer“ aufarbeiten, wie es auf der Pressekonferenz hieß. Doch Speers Handeln steht ebenso prägend wie exemplarisch für das Bauen im „Dritten Reich“. Für menschliche Verworfenheit und ein Bauen, das ohne Zwangsarbeit nicht möglich gewesen wäre und zu der als integraler Bestandteil Deportation und Ermordung der Berliner Juden gehörte. Auf Betreiben des Kriegsverbrechers Speer wurden aus ganzen Stadtbereichen Berlins die jüdischen Bewohner deportiert, um Platz für dessen größenwahnsinnige Umbauplanungen zu schaffen, mit denen Berlin zu Germania werden sollte. Doch gerade der „authentische“ Ausstellungsort am Pariser Platz birgt Tücken. Die Räume reichen für eine angemessene Ausbreitung des umfangreichen Materials nicht aus. Ebenso wenig überzeugt die dezidiert unrepräsentativ gestaltete Ausstellungsarchitektur. An deren allzu eng gestellte Gerüste aus Holzlatten wurden die Bilder und Blättern einfach angetackert.

Katalog zur Ausstellung

Katalog zur Ausstellung im Münchner Stadtmuseum, 1993

Forschungsgeschichten

Bleibt die Frage nach dem Erkenntnisgewinn durch die Ausstellung. Genau dreißig Jahre ist es her, dass Winfried Nerdinger 1993 mit der Ausstellung „Bauen im Nationalsozialismus. Bayern 1933-1945“ im Münchner Stadtmuseum erstmals einen Gesamtüberblick über die Bautätigkeit im „Dritten Reich“ für ein Bundesland lieferte.5) In einem umfangreichen Forschungsvorhaben wurden rund 4.000 Einzelobjekte nationalsozialistischer Bautätigkeit allein für Bayern nachgewiesen. Dabei ging es der Ausstellung, die von einem fulminanten Katalog begleitet wurde, nicht nur um die Münchner „Prachtbauten“ der Bewegung. Im Fokus standen bereits damals ebenso Siedlungen, Bauten für Rüstung und Militär und nicht zuletzt die baulichen Anlagen für Konzentrations- und Zwangsarbeiterlager. Terror, mörderische Zwangsarbeit, Architektur und Raumplanung gehörten im „Dritten Reich“ untrennbar zusammen.

Wenige Jahre vor der Münchner Ausstellung hatte Werner Durth (der nun als Berater in der Historikerkommission mitwirkte) mit seinem Buch über „Deutsche Architekten. Biographische Verflechtungen 1900–1970“ ebenfalls Grundlagenarbeit geleistet und die Legende von der „Stunde Null“ 1945 als solche entlarvt,6) ehe er sich anschließend vertiefend mit den Wiederaufbauplanungen in den deutschen Städten und ihren Wurzeln im „Dritten Reich“ befasste.7) Wolfgang Schäche (ebenfalls Mitglied der Kommission) hatte mit Hans Joachim Reichhardt 1984 den Weg „Von Berlin nach Germania“ über die Zerstörungen der „Reichshauptstadt“ durch Albert Speers Neugestaltungsplanungen skizziert und 1991 mit seinem wichtigen Buch „Architektur und Städtebau in Berlin zwischen 1933 und 1945 – Planen und Bauen unter der Ägide der Stadtverwaltung“ ein weiteres Grundlagenwerk geschaffen.8)

Hirschbachtal, Modell der Tribüne für das „Deutsche Stadion“ in Nürnberg im Maßstab 1:1, 1938/39 Um die Sichtverhältnisse und architektonische Wirkung des „Deutschen Stadions“ zu überprüfen, wurde an einem Hang im Hirschbachtal bei Hirschbach-Oberklausen ein Holzmodell der Zuschauerränge im Maßstab 1:1 errichtet. (Credit: Privatsammlung)

Hirschbachtal, Modell der Tribüne für das „Deutsche Stadion“ in Nürnberg im Maßstab 1:1, 1938/39. Um die Sichtverhältnisse und architektonische Wirkung des „Deutschen Stadions“ zu überprüfen, wurde an einem Hang im Hirschbachtal bei Hirschbach-Oberklausen ein Holzmodell der Zuschauerränge im Maßstab 1:1 errichtet. (Credit: Privatsammlung)

Als ich 1993 über die Münchner Ausstellung meinen allersten Artikel für den Berliner Tagesspiegel schrieb, war ich mir vollkommen sicher, dass auf Grundlage dieser Forschungen und nachfolgender Untersuchungen, eine solche Dokumentation für sämtliche deutschen Bundesländer zeitnah folgen würden. Was tatsächlich folgte, waren etliche vertiefende Einzeluntersuchungen zu Orten und Aspekten der Bautätigkeit im „Dritten Reich“. Eine wünschenswerte Gesamtschau über das Bauen im „Dritten Reich“ in Deutschland wie in Europa insgesamt aber fehlt bis heute – und wird leider auch nicht durch die Berliner Ausstellung und Publikation geleistet. So verdienstvoll der fünfbändige Forschungsbericht im Einzelnen ist – wäre nicht eine über das Internet allgemein zugängliche, niederschwellige Forschungs- und Datenbank sinnvoller gewesen? Mit ihr ließen sich Verknüpfungen zu jenen Gebäuden, Architekten und Orten erstellen, die weder im naturgemäß beschränkten Forschungsbericht noch in der Ausstellung Erwähnung finden. Ein solch umfassender Blick aber hätte der unbedingte Anspruch einer Bundesregierung wie seines Bauministeriums sein müssen, wenn es sich 2023 mit dem Thema Bauen im „Dritten Reich“ befasst.


1) Der Kommission gehören Prof. Dr. Wolfgang Benz, Prof. Dr. Tilman Harlander, Prof. Dr. Elke Pahl-Weber, Prof. Dr. Wolfram Pyta, Prof. Dr. Adelheid von Saldern, Prof. Dr. Wolfgang Schäche und Prof. Dr. Regina Stephan an. Bis 2020 war zudem Prof. Dr. Werner Durth Mitglied der Kommission und ihr danach zeitweise ein wichtiger Berater (Quelle: siehe Anm. 2)

5) Winfried Nerdinger: Bauen im Nationalsozialismus. Bayern 1933-1945. München1993

6) Werner Durth: Biographische Verflechtungen 1900-1970. Braunschweig 1986

7) Werner Durth, Niels Gutschow: Träume in Trümmern. Planungen zum Wiederaufbau zerstörter Städte im Westen Deutschlands 1940-1950. (Band I: Konzepte, Band II: Städte) (= Schriften des Deutschen Architekturmuseums zur Architekturgeschichte und Architekturtheorie.) Braunschweig / Wiesbaden 1988.

8) Hans J. Reichardt, Wolfgang Schäche: Von Berlin nach Germania: Über die Zerstörungen der „Reichshauptstadt“ durch Albert Speers Neugestaltungsplanungen. Berlin 1985; Wolfgang Schäche: Architektur und Städtebau in Berlin zwischen 1933 und 1945: Planen und Bauen unter der Ägide der Stadtverwaltung. Berlin 1991