Erschienen sind zwei Bücher zur Architekturentwicklung des 20. Jahrhunderts in Deutschland: Einmal geht es um die Werke des Architekturbüros Bloch & Guggenheimer in Stuttgart, das wegen seiner jüdischen Inhaber seine Arbeit einschränken musste. Und dann wird neues Licht auf das Werk des in Berlin wirkenden Werner Düttmann geworfen. Die Bücher rufen in Erinnerung, dass hierzulande einmal durchgehend mit hohem Gestaltungsanspruch für öffentliche und private Bauherren gebaut worden ist, den wir heute vermissen.
Welche Löcher der Nationalsozialismus in die baukulturell dichten und vielfältigen Entwicklungsnetze in Deutschland gerissen hat, zeigt sich – verknüpft mit menschlichen Tragödien – immer wieder. Für das frühe 20. Jahrhundert ist hier an ein großes Architekturbüro zu erinnern: Bloch & Guggenheimer bauten im Kontext einer westlichen Wertegemeinschaft; deren Bauwerke „unterschieden sich jedenfalls in der Profanarchitektur so gut wie überhaupt nicht voneinander“.1) Oscar Bloch (1881 – 1937) lebte als Architekt jüdischen Glaubens mit Schweizer Staatsbürgerschaft in Stuttgart, wo sein Büro „im Sog der Weißenhofsiedlung“ 1927 – 1933 dem neuen Bauen sehr aufgeschlossen gegenüber stand.
Bloch & Guggenheimer hatten reichlich Erfahrung im Bau von Synagogen und gehörten zugleich im Profanbau zu „den angesehensten in Stuttgart“. Als Schweizer Staatsbürger blieb Oscar Block in den frühen 1930er Jahren weitgehend unbehelligt von antionalsozialistischem Terror. Es ist bemerkenswert, dass erst 2011, mehr oder weniger zufällig und im Kontext einer Stolpersteinverlegung für Otto Rothschild, sich eine Enkelin Blochs intensiver mit der Familiengeschichte befasste: die bei Zürich lebende Esther Walther. Der Architekt Oscar Bloch, ihr Großvater, war mit Alice Bloch geb. Rothschild verheiratet gewesen und bereits 1937 nach einer Blinddarmentzündung in Stuttgart verstorben. Sein Büropartner Ernst Guggenheimer (1880-1973) hatte nach dem Studium international Erfahrung gesammelt, die 2. Staatsprüfung zum Regierungsbaumeister absolviert. Das gemeinsame Büro mit Bloch führte er nach dessen Tod bis 1937. In den folgenden Jahren entging Guggenheimer nur knapp der Deportation, konnte untertauchen und nach 1945 in Stuttgart ein neues Büro gründen, wo er eine neue Synagoge baute und sich treuhänderisch um Immobilien vertriebener Juden kümmern konnte. Aus gesundheitlichen Gründen gab er 1956 sein Büro auf. Die Bauten, die Bloch & Guggenheimer hinterließen, prägen Stuttgart teils bis heute – Wohnhäuser in der Hauptmannsreute und in der Lenzhalde aus den frühen Jahren sind noch ländlich-romantisch konzipiert, später wenden sich die Architekten funktionalistisch-modernen Konzepten zu – wie das Beispiel von Wohnhäusern aus den frühen 1930er Jahren in der Cäsar-Flaischlein-Straße zeigt.
Erst 2012 begann der Autor mit der Forschungsarbeit zum Büro Bloch & Guggenheimer – und kann mit Fug und Recht resümieren: „So darf man den größten Teil des gewiss unterschätzten Werks von Bloch & Guggenheimer zu einem prägenden Bestandteil des Stuttgarter Funktionalismus‘ zählen“.
Nicht oft genug kann man beklagen, dass die selbstgefällige, opportunistische, kenntnislose Verteufelung ganzer Architekturepochen ein wiederkehrendes Phänomen der Architekturgeschichte bleibt. Bis architekturwissenschaftliche Arbeit das Kulturbewusstsein einer Gesellschaft erreicht, dauert häufig zu lang; dass ungewohnter Architektur angemessene Wertschätzung zu spät zuteil wird, müssen wir immer wieder beim Stichwort „Abriss“ feststellen. Nun erschien ein neues Buch zu Werk und Wirken des Architekten Werner Düttmann (1921-1983) – eingeschränkt auf Berlin, wo im Brücke-Museum eine Düttmann-Ausstellung zu sehen ist.
Stand bei der 1990 von Haila Ochs mit Martina Düttmann herausgegebenen Monografie „Werner Düttmann. Verliebt ins Bauen“ noch die Persönlichkeit im Vordergrund, befassen sich Lisa Marei Schmidt und Kerstin Wittmann-Englert jetzt vor allem mit Bauten und Planungen, die Berlin prägen. Mitautor Niklas Maak resümiert: „Als Stadtplaner – zunächst als Regierungsbaurat, dann, 1960 bis 1966, auch als Senatsbaudirektor und schließlich als Professor für Entwurfslehre an der Technischen Universität Berlin (TU) – war Düttmann für das nachkriegszeitliche West-Berlin ähnlich bedeutend, wie es Baron Haussmann für das Paris Napoleons III. war.“ 2)
Neue Perspektiven aus unserer Gegenwart auf Düttmanns Schaffen steuern auch Arno Brandlhuber (der Düttmanns Kirche Sankt Agnes umfunktionierte), Jose Dávila, Gabi Dolff-Bonekämper, Adrian von Buttlar, die Schriftsteller Hanns Zischler und David Wagner und viele andere Zeitgenossen bei – mit Nele Hertling und Kristin Feireiss auch solche, die Düttmann noch erlebt haben.
Düttmann-Werke leben von dem sicheren Form-, Farb- und Materialverständnis des Architekten, der weit gereist und von offener Gesinnung gewesen ist. Indirekt zu verdanken ist Düttmann die just sanierte Nationalgalerie von Mies van der Rohe (zu der Düttmann seinen Kollegen Mies „überredete“), die Kongresshalle (Düttmann war „Kontaktarchitekt“ des amerikanischen Architekten Hugh Asher Stubbins), aus eigener Feder schließlich die Akademie der Künste im Hansa-Viertel, die Konzeption für das Märkische Viertel, der Ernst Reuter Platz, der Mehring-Platz – bei all dem Neuerungspotenzial, das sich in solchen Projekten offenbart, bleibt Werner Düttmanns Berücksichtigung geschichtlicher Entwicklungen zu betonen. „Rettet den Stuck“ war eine seiner Initiativen, die Stärkung der Denkmalpflege eines seiner Anliegen. Die Vielschichtigkeit von Werk und Wirken dokumentiert das Buch ausgezeichnet, ergänzt von einem Werkverzeichnis mit aktuellen Beschreibungen.
Werner Düttmann. Berlin. Bau. Werk. 14. April bis 29. August 2021, Brücke-Museum (gebaut von Werner Düttmann), Bussardsteig 9, 14195 Berlin-Dahlem (https://wernerduettmann.de/ueber-die-ausstellung)
1) Im besprochenen Band, Seite 13
2) Im besprochenen Band, Seite 32