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Solche Zauber binden

Kleines Orchester, Solist und ein neuartiger Saal: das Casals Forum (Bild: Markus Ebener)

Kleines Orchester, Solist und ein neuartiger Saal: das Casals Forum (Bild: Marcus Ebener)

Generalprobe: Gespielt wird Tschaikowskis Violinkonzert, es sitzen gut 40 Musikerinnen auf der Bühne, und statt auf einen Dirigenten konzentrieren sie sich auf den Geigenvirtuosen Vadim Gluzman, dem das Spiel offensichtlich immense Freude bereitet. Als das Orchester beginnt, versetzt es den ganzen Raum in spürbare Schwingungen, die Musik umgibt Publikum und Orchester gleichermaßen. Grund dafür ist die eigenartige Geometrie, die mit konvexen Flächen den Raum dominiert, der explizit für Kammermusik entworfen wurde und daraus seine Faszination entwickelt. Er wird eine Pilgerstätte für Freunde dieses Musikgenres.


Kronberg liegt im Hochtaunuskreis, der wiederum liegt auf Platz 3 der zehn reichsten Landkreise der Republik.1) So stellt sich die Frage nicht, wieso ausgerechnet hier im Taunus durch privates Engagement und öffentliche Förderung ein nagelneuer Kulturbau entstand, dessen Ausstattung kaum zu wünschen übrig lässt.

Pablo Casals (1876-1973) Robert Berks, der 1. Abguss entstand 1977 für die Vereinte Nationen. (Bild: Ursula Baus)

Pablo Casals (1876-1973), Cellist, und engagierter Humanist; Bronze von Robert Berks im Foyer des Casals Forums; der 1. Abguss entstand 1977 für die Vereinten Nationen. (Bild: Ursula Baus)

Treibende Kraft seit der Stiftungsgründung 1993 ist allerdings der in Berlin aufgewachsene, exzellente Cellist Raimund Trenkler, der mit hohem Engagement, fachlicher Souveränität, ethischem Anspruch und im Gedenken an den Cellisten und Humanisten Pablo Casals (1876-1973) die Kronberg Academy mit dem Casals Forum managt. Er möchte jungen, hochtalentierten MusikerInnen einen »Schutzraum« schaffen, in dem sie ihre eigenen Fähigkeiten und den Kontakt zu Kollegen entwickeln können, zugleich aber eine offene Atmosphäre erleben, die sie als Persönlichkeiten reifen lässt. Die herausragenden Musiktalente sind, wenn sie hier anfangen, manchmal noch Spätpubertierende. Die Kronberg Academy finanziert sich durch Zuwendungen von Bund und Land und Stadt, aber auch mit Spenden aus aller Welt: Begeisterte Musikfreunde sowie kulturbeflissene Unternehmen und Institutionen müssen auch dafür sorgen, dass der Betrieb konstant finanziert bleibt, wobei das Land jährlich immerhin mit 250.000 Euro fördert.

Die Eröffnung ihres neuen »Casals Forums« feiert die Kronberg Academy mit einem > Festival.

Lageplan (Wettbewerbsplanung, © Volker Staab Architekten)

Lageplan (Wettbewerbsplanung, © Volker Staab Architekten)

Ankunft in Kronberg (Bild: Ursula Baus)

Ankunft in Kronberg. Mit fünf Etagen bildet das Hotel eine Blickbarriere. (Bild: Ursula Baus)

Stadtreparatur

Privilegiert ist Kronberg im Vergleich zu anderen Landkreisorten dadurch, dass eine durchgehende S-Bahn zum Zentrum Frankfurts fährt. Die S-Bahn-Station Kronberg liegt etwas unterhalb des alten Ortskerns am Rande eines Parks, der die Gediegenheit des Ortes ankündigt. Genau hier, zwischen S-Bahn und Park realisierte die 1993 gegründete Kronberg Academy ihr neues »Casals Forum«, ein Ausbildungs- und Aufführungszentrum für die Hochbegabten mit den Instrumenten Violine, Viola und Violoncello, auch das Klavier gehört zu den kleinen Besetzungen. Zum Academy-Ensemble gehört auch ein Hotel.

Der neu entstandene Beethovenplatz zwischen Hotel (links) und Konzertsaal (Bild: Ursula Baus)

Der neu entstandene Beethovenplatz zwischen Hotel (links) und Konzertsaal (Bild: Ursula Baus)

Die Stiftung kaufte zunächst den gesamten Baugrund, zusammen mit dem Hotelbetreiber wurde ein Raumprogramm als Grundlage eines Wettbewerbs erarbeitet, zu dem unter anderem Jean Nouvel, Daniel Libeskind und Axel Schultes eingeladen waren. Aber das Büro von Volker Staab gewann diesen Wettbewerb, vor allem, weil die stadträumliche Konzeption in seiner Gebäudekonstellation überzeugte. Eine Expertise im Konzertsaalbau hatten die Architekten nicht, orientierten sich am Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie und schlugen eine Weinberg-Variante für Kronberg vor.

Aus der S-Bahn kommend, sieht man den zeltartig überdachten Konzertsaal zunächst nicht, denn es dominiert ein Hotelneubau, der eine mächtige Front zum Hang bildet und die Blickbezüge – umgekehrt – vom Beethovenplatz und von den Terrassen des Casals Forums Richtung Frankfurt leider verbarrikadiert. Hangaufwärts, zum Ortskern Kronberg hin, überrascht die Kontur des Konzertsaals, der einerseits durch die Dachform als Solitär wirkt, andererseits topographisch und mit teils verglaster Außenhülle vielfältig mit der Umgebung verzahnt ist. Kommt man vom Ort aus zur S-Bahn, wirkt das Casals Forum tatsächlich wie ein Pavillon.

Blick vom Foyer in den Saal (Bild: Marcus Ebener)

Blick vom oberen Foyer aus in den Saal (Bild: Marcus Ebener)

Längsschnitt, links der Kammermusiksaal, rechts das Hotel. (© Volker Staab Architekten)

Längsschnitt, links der Kammermusiksaal, rechts das Hotel. (© Volker Staab Architekten)

Der Topographie angepasst, führt eine großzügige Treppe vom unteren Foyer hinauf zum oberen, dass sich zum Park hin öffnet. (Bild: Ursula Baus)

Der Topographie angepasst, führt eine großzügige Treppe vom unteren Foyer hinauf zum oberen, das sich zum Park hin öffnet. (Bild: Ursula Baus)

Die Kammermusik

Die Hülle des Forums öffnet sich zum Park und gewährt umlaufend Einblicke in den Saal, dessen Größe für Kammermusik nachgerade ideal ist. Im Ganzen 550 Plätze, davon 350 im Parkett, sind für kleine Ensembles bis zu zehn MusikerInnen optimal; vom Trio übers Streichquartett zum Nonett – so war es ursprünglich, »Kammermusik« heute wird weiter gefasst. Orchester mit bis zu 65 Mitgliedern kommen mir, nachdem ich die Generalprobe gehört habe, aber doch zu wuchtig und zugleich scharf vor. Vadim Gluzmans Violine wird unglaublich brillant wahrgenommen, das Orchester nicht unbedingt als Ganzes. Großartig ist die phänomenale, packende Nähe von Musikern und Publikum.

Santiago Canon, Valencia, Elena von Poucke, Erica Picotti, Brannon Cho (Bild: Patricia Truchsess)

Idealbesetzung mit vier CellistInnen: Santiago Canon Valencia, Elena van Poucke, Erica Picotti, Brannon Cho (Bild: Patricia Truchsess)

Der Saal ist von außen zugänglich, unter EG-Niveau aber auch vom Studienzentrum aus zu erreichen.

Der Saal ist von außen zugänglich, unter EG-Niveau aber auch vom Studienzentrum aus zu erreichen.

Bei der Generalprobe sitzt András Schiff, der im Anschluss probt, in einer leeren Reihe und hört zu, außerdem wechseln die beiden Akustikexperten Martijn Vercammen und Margriet Lautenbach von Peutz immer mal wieder die Plätze. Die von Thonet gebauten Stühle sind gepolstert und mit Wollstoff bezogen, wenn Plätze leer sind, hat dies wenig Einfluss auf den räumlichen Klang.
Raimund Trenkler, im wahrsten Sinne des Wortes der Bauherr, hatte Akustiker und Architekten quasi gleichberechtigt in den Entscheidungen zusammengebracht, was dann die eine oder andere harte Auseinandersetzung zur Folge hatte: Wer trifft die Gestaltungsentscheidungen, wenn zwischen Akustik und Optik, zwischen Hören und Sehen abgewogen werden muss? Konzerte werden nicht allein zum Hören besucht, nur zum Sehen und Gesehen Werden allerdings auch nicht. Unbeirrbar bestand Raimund Trenkler als Bauherr darauf, dass hier gut auszubalancieren sei und darauf, dass Termine eingehalten wurden.

Martijn Vercammen mitten im Modell (Bild: Peutz)

Martijn Vercammen mitten im Modell (Bild: Peutz)

Die Schallstreuung

Volker Staab und Martijn Vercammen respektieren heute einander, mehr noch: Wenn Volker Staab nochmal an einem Konzertsaal-Wettbewerb teilnehmen würde, dann von Anfang an mit Martijn Vercammen. Hier im Casals Forum bestand dieser auf konvexen Wandflächen, um die Schallwellen zu streuen, also zu den Publikumsplätzen zu lenken und auf einem Raumvolumen, das auch für orchestrale Nutzung angemessen ist. Denn inzwischen gibt es gleich drei »Orchestras in Residence« in Kronberg: das transkulturelle Bridges-Kammerorchester, die Kremerata Baltica und das Chamber Orchestra of Europe. Gearbeitet wurde mit vielen Computersimulationen, aber auch mit Modellen bis zum Maßstab 1:10. Das ist aufwendig, aber muss sein, wenn im Ergebnis das Bestmögliche erreicht sein will.

Blick zur Saaldecke; rechts und links sind die beweglichen Paneele zu sehen. (Bild: Ursula Baus)

Blick zur Saaldecke; das Foto ist nicht schief, vielmehr ist der Grundriss leicht unregelmäßig. Rechts und links oben sind die beweglichen Paneele zu sehen. (Bild: Ursula Baus)

Verizon Hall in Philadelphia (Bild: Wikimedia Commons)

Die Verizon Hall in Philadelphia von Rafael Viñoly (Bild: Wikimedia Commons)

Die konvexen, holzvertäfelten Flächen – Eiche natur –, variable Paneele mit unterschiedlichen Absorptionsflächen in den oberen Saalzonen, der amöbenartige Grundriss: Im Ganzen umfängt die Besucher ein intimer Raum, der aufgrund des Tageslichts keinen Höhlencharakter hat.

Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin (Bild: Wikicommons, M. Brückels)

Kammermusiksaal der Philharmonie Berlin (Bild: Wikicommons, M. Brückels)

Es fällt Musikfreunden die Verizon Hall in Philadelphia ein, hierzulande immer auch der Kammermusiksaal in Berlin und dort auch der Saal der Barenboim-Said Akademie (siehe Seitenspalte).

Zur Technik: Mit einer hochleistungsfähigen Lüftungsanlage werden stündlich vier Luftwechsel bewerkstelligt – oft führt dergleichen zu sehr störenden Geräuschen. Im Casals Forum hört man nichts von der Lüftungstechnik. Hingewiesen sei noch auf die energietechnische Qualität (CO2-neutral, mit Ökostrom betriebene Wärmepumpe, Eisspeicher), die ein Nachhaltigkeitszerfikat erwarten lässt.

Simulation der hangaufwärts gelegenen Situation. Bis Spätherbst werden auch die Außenanlagen des Gebauten fertig.

Visualisierung der hangaufwärts gelegenen Situation. Die Dachform ikonographisch zu deuten, fällt noch etwas schwer, denn die Außenanlagen des Gebauten werden erst im Winter fertig. (© Volker Staab Architekten)

Auf dass die Musikfamilie wachse…

Die Atmosphäre in Kronberg zeichnet sich aber auch durch die bereits angesprochene Integration des Saales in das Academy-Ensemble aus, zu dem der Studien-, Übungs- und Verwaltungstrakt mit einem kleinen »Schuhschachtel«-Saal für rund 150 Besucher gehört. Auf der Nordseite Richtung S-Bahn wird noch ein Studentenwohnheim folgen. Mit 36 StudentInnen aus 17 Nationen und 22 Dozenten zeichnet sich eine Art Campus-Atmosphäre ab, die fast familiär anmutet. Und damit hat das Casals Forum beste Voraussetzungen, junge Menschen für Kammermusik zu begeistern – was der Kronberg Academy gerade den Praemium Imperiale der Japan Art Association eintrug. Und vor allem wünscht man sich hier ein großes Publikum, das von Musik mehr erwartet als das, was ein »Soundtaxi« liefert. Musik ist als homophone Kunst gebunden an den Moment des Aufführens, dem hier in Kronberg mit Freude gehuldigt wird.


1) Platz 2 belegt Starnberg, auf Platz 1 rangiert Heilbronn.


Casals Forum, Kronberg Academy
Beethovenplatz 1, 61476 Kronberg im Taunus

Bauherr
Kammermusiksaal mit Studien- und Verwaltungszentrum: Kronberg Academy Stiftung
Hotel: Contraco GmbH

Architekten
Staab Architekten, Berlin
Team Wettbewerb: Petra Wäldle, Sandra Vranic, Roberto Zitelli, Simon Banakar, Karl Naraghi
Team Planung und Realisierung: Projektkoordination: Hanns Ziegler;
Koordination Bauleitung: Dirk Richter
Projektleitung: Dominik Weigel, Ove Jacobsen, Lukas Oelmüller

Bauleitung
Schütt Ingenieurbau, Münster

Tragwerksplaner
ifb Frohloff Staffa Kühl Ecker, Berlin

Bauphysik und Medientechnik
Peutz Beratende Ingenieure; Molenhoek

Bühnentechnik
Theateradvies bv, Amsterdam

Lichtplanung
LIcht Kunst Licht AG; Berlin

Controlling
Drees & Sommer, Stuttgart

Planungs- und Bauzeit
Wettbewerb 2014
Planungsbeginn 2014
Fertigstellung 2022