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Der Pianist Igor Levit äußerte sich am Tag, nachdem Friedrich Merz nur Dank Stimmen der AfD einen Antrag auf verschärfte Asylpolitik im Bundestag durchsetzte: „Ich schäme mich dafür, mir vorstellen zu müssen, dass irgendwo in Berlin Margot Friedländer zuhause sitzt und im Fernsehen mit ansehen muss, dass an so einem Tag die Vertreter und Vertreterinnen der Vogelschiss-Partei ihren größten Triumphmoment erleben dürfen. Ich habe noch nicht ansatzweise angefangen darüber zu reden, was das für mich als Juden hier in diesem Land bedeutet“. Der geplante Synagogen- und Gemeindezentrumsneubau am Berliner Fraenkelufer setzt Zeichen gegen eine nationalistisch-ausgrenzende Politik.


Lageplan; das Gemeinde-, Kultur- und Bildungszentrum mit Kita soll am historischen Standort der Synagoge am Kottbusser-Ufer (heute Fraenkelufer) entstehen.

Lageplan; das Gemeinde-, Kultur- und Bildungszentrum mit Kita soll am historischen Standort der Synagoge am Kottbusser-Ufer (heute Fraenkelufer) entstehen.

Vor fünf Jahren haben Staab Architekten die neue Synagoge mit Gemeindezentrum in Regensburg fertiggestellt. Jetzt hat das Berliner Architekturbüro den Wettbewerb (1-phasiger nicht-offener Realisierungswettbewerb mit freiraumplanerischen Ideenteil nach RPW mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb) für ein jüdisches Gemeindezentrum am Fraenkelufer in Kreuzberg nahe der Admiralbrücke gewonnen (https://c4c-berlin.de/projekt/jzf-nicht-offener-wettbewerb-mit-teilnahmewettbewerb-fuer-das-juedische-zentrum-fraenkelufer/). Entstehen soll „ein neues jüdisches Gemeinde- und Kulturzentrum mit einer Kindertagesstätte mit einer Bruttogrundfläche von rund 3.500 m2 in einem oder mehreren Baukörpern und qualitativ hochwertigen Freianlagen, welches nicht nur ein Ort der Erinnerung sein soll, sondern auch Raum für zeitgenössische, jüdische Kultur, Kunst und Bildung sowie Begegnung und Dialog bieten wird.“

Auf der Baustelle der Erweiterung des Bauhaus-Archivs, dessen Neubauteil von Staab-Architekten stammt und Mitte 2025 eröffnet werden soll, sprach Jürgen Tietz (JT) mit Volker Staab (VS) über den Entwurf für das jüdische Gemeindezentrum (https://www.staab-architekten.com/de/projects/5280-judisches-kultur-und-gemeindezentrum?t=competition).


Hauptbau der Synagoge, 1916 (Bild: Deutsche Bauzeitung)

Hauptbau der Synagoge, 1916 (Bild: Deutsche Bauzeitung)

JT: Was war der Ausgangspunkt für das Konzept des Gemeindezentrums?

VS: Am Rand des Geländes der historischen orthodoxen Synagoge von Alexander Beer, die 1938 bei der Pogromnacht schwer beschädigt und später abgerissen wurde, gibt es in den Resten des Altbaus bereits eine Synagogennutzung. Der Hauptbau der Synagoge befand sich allerdings in der Mitte des Grundstücks. Dieses Areal stand für das jüdische Gemeindezentrum zur Verfügung.

JT: Beer, der 1944 von den Nationalsozialisten im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet wurde, gehörte ja zu den bedeutenden Architekten in Berlin bis 1933. Er hat etliche Bauten für die jüdische Gemeinde verwirklicht. Aus einem traditionellen Architekturverständnis kommend, hat er in den 1920er-Jahren großartige Bauten der Moderne geschaffen wie die ehemalige jüdische Mädchenschule in Mitte und das ehemalige jüdische Altersheim in Schmargendorf.

VS: Seine Synagoge am Fraenkelufer war eher traditionell geprägt. Im Vorfeld gab es auch Diskussionen, ob sie rekonstruiert werden sollte oder ob etwas gänzlich Neues entstehen soll. Im Wettbewerb wurde das relativ offen formuliert, weil es sich beim Neubau nicht um eine klassische Synagoge handelt, sondern im weitesten Sinne um ein jüdisches Gemeinde- und Kulturzentrum mit einem Kindergarten.

JT: Wer ist der Träger des jüdischen Zentrums?

VS: Träger ist der Verein Jüdisches Zentrum Fraenkelufer (https://www.aufbruch-am-ufer.berlin/). Für unseren Entwurf waren dann verschiedene Aspekte ausschlaggebend. An erster Stelle ist das wie bei allen jüdischen Bauten leider immer noch oder auch wieder verstärkt die Problematik der Sicherheit. Auf dem Grundstück kam eine weitere Herausforderung hinzu, die jetzt den Charme unseres Entwurfs ausmacht, wie ich finde. Das Grundstück liegt in einem Block zwischen ehemals besetzten Häusern. Dort sind in den Brandwänden Balkone und Fenster entstanden. Der erste Reflex, wenn man das Baugrundstück sieht, wäre ja, an die Brandwände anzubauen und den Block zu schließen. Aber genau das geht dort nicht. Es sollte ein Abstand von rund 5 Metern zwischen dem Bestand und dem Neubau eingehalten werden. Dadurch entstehen aber unschöne Zwischenräume, die weder eine Aufenthaltsqualität noch einen Mehrwert für die Nachbarn darstellen würden. So haben wir das Prinzip umgedreht und immer dort ein Bauvolumen platziert, wo im Gegenüber bereits ein begrünter Innenhof vorhanden ist. Durch eingeschossige Flachbauten, die zum Teil nur überdachte Außenräume sind, werden diese Bauvolumen zu einem Ensemble zusammengebunden
Man betritt das Areal vom Fraenkelufer aus durch die Sicherheitsschleuse und gelangt in das Gemeindezentrum, das auch als Synagogenraum genutzt wird. Dahinter schließen sich weitere Gemeinderäume sowie der Kindergarten an. Es gibt eine überdachte Laube, der ein erster Hof folgt, der auch als Erweiterung des Gemeindesaals dienen kann. Sollte sich die Sicherheitssituation hoffentlich einmal ändern, dann könnte man den Kindergarten auch gesondert von der Kohlfurter Straße aus erschließen. Zwischen der Kita und dem Gemeindesaal liegt eine koschere Küche, von der aus die beiden Räume angedient werden können.

Grundriss Erdgeschoss (Abbildung: Staab Architekten)

Grundriss Erdgeschoss (Abbildung: Staab Architekten)

JT: Die offene Abfolge der Baukörper erinnert mich an die aufgelockerte Architektur der 1950er-Jahre.

VS: Ja, ich freue mich auf diese räumliche Folge von Höfen und Lauben, den Gebäudevolumen und Gärten. Wir haben das zusammen mit Atelier Loidl geplant, von uns sehr geschätzten Landschaftsplanern. Es wird eine durchgrünte Anlage, die sich mit den Nachbarhöfen zu einem gesamten Block-Innenleben entwickelt.
Im Inneren des Gemeindesaales bestimmen Kappendecken den Raum, die nicht nur zur Reduktion der Betonstärken beiträgt, sondern auch eine eigene räumliche Qualität entwickeln. Zwischen Kappen und Fenstern schließt sich eine perforierte Zone an. Dort werden Glaszylinder eingelegt, was dem sakralen Charakter des Raums entspricht.

JT: Das Deckenmotiv spielt zudem an die preußischen Kappen an.

VS: Ja genau. Früher waren diese Kappen aus Ziegeln gemauert, jetzt sind es Betonfertigteile. Im abschließenden Raum unter dem Dach sollen die nach außen ablesbaren Kappen von dünnen Stahlstützen abgefangen werden.

Fassadendetails (Abbildung: Staab Architekten)

Fassadendetails (Abbildung: Staab Architekten)

JT: Wieso wurde das Haus als Ziegelgebäude entworfen?

VS: Wir fanden, das Haus muss etwas Mineralisches besitzen, etwas Festes für die Gemeinde und ihr Selbstverständnis. In der Tradition vieler Berliner Sakralbauten aber auch der Kreuzberger Innenhöfe bekommt das Material etwas Selbstverständliches etwas Dazugehöriges. Darüber hinaus erlaubt das Material einen monolithischen Wandaufbau, ohne eine zusätzliche Wärmedämmung
Bei der Fassade haben wir lange probiert und sind sicher noch nicht am Ende. Wir waren auf der Suche nach einer Silhouette, einer Zeichenhaftigkeit, die der Bedeutung des zentralen Baukörpers gerecht wird und auch eine gewisse Erinnerung an die zerstörte Synagoge von Beer erlaubt.

2506_Fraenkel_Staab_Modell

Modell (Bild: Staab Architekten)

JT: Hat beim Entwurf für Berlin die Erfahrung aus dem Bau der Synagoge in Regensburg geholfen oder ist das jüdische Zentrum eher aus dem Ort entwickelt?

VS: Der Entwurf ist eher aus dem Ort entwickelt. Aber natürlich hat uns das Wissen um so manche jüdischen Themen geholfen.

JT: Wann wird der Baubeginn sein?

VS: Wir werden uns in der nächsten Woche treffen und dann soll es bald losgehen.


TeilnehmerInnen am Wettbewerb:

Auer Weber Assoziierte GmbH, Stuttgart mit grabner huber lipp landschaftsarchitekten und stadtplaner part mbb, Freising

D/FORM Gesellschaft für Architektur + Städtebau mbH, Berlin mit Simons & Hinze Landschaftsarchitekten GmbH, Berlin

DFZ | 2. Preis

DFZ | 2. Preis

DFZ Architekten, Hamburg mit Y-LA Ando Yoo Landschaftsarchitektur, Hamburg (2. Preis)

FRÖLICHSCHREIBER Architekten GmbH, Berlin mit boye und bode Landschaftsarchitektur, Berlin

Georg Scheel Wetzel Architekten GmbH, Berlin mit Dietz & Partner Landschaftsarchitekten, Elfershausen (Anerkennung)

GRAFT Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin mit Man Made Land GbR, Berlin

H|G Hähnig | Gemmeke Architekten & Stadtplaner Partnerschaft mbH, Tübingen

hope | 3. Preis

hope | 3. Preis

hope Architekten, Hamburg + Johannes Arolt Architekt, Berlin mit 317 Stadt und Freiraumplanung, Landsberg (3. Preis)

HPP Architekten GmbH mit +grün GmbH

Kuehn Malvezzi Associates GmbH, Berlin mit Atelier Le Balto, Berlin

Lorber Paul Architekten GmbH, Köln mit studio grüngrau GmbH, Düsseldorf

LXSY Le Roux Sichrovsky Architekten PartGmbB, Berlin mit Birgit Teichmann GmbH LandschaftsArchitektin, Berlin

Manuel Herz Architects, Basel mit Studio Vulkan, Zürich

Peter W. Schmidt + Assoziierte GmbH & Co. KG, Pforzheim mit FUGMANN JANOTTA PARTNER, Berlin (Anerkennung)

SCOPE GmbH, Stuttgart mit schöne aussichten landschaftsarchitektur Blank | Soyka PartGmbB, Kassel

Staab Architekten GmbH, Berlin mit LOIDL Landschaftsarchitekten, Berlin (1. Preis)

TSSB architekten, Dresden mit Blaurock Landschaftsarchitektur, Dresden

W&V Architekten GmbH, Leipzig/Berlin mit bbz Landschaftsarchitekten berlin GmbH, Berlin

Jury:

Fachpreisgericht
Donatella Fioretti, Architektin, Berlin
Engelbert Lütke Daldrup, Stadtplaner, Berlin / Leipzig
Jórunn Ragnarsdóttir, Architektin, Stuttgart
Ulrike Lauber, Architektin, Berlin
Tobias Micke, Landschaftsarchitekt, Berlin

Sachpreisgericht
Andreas Geisel, Vertreter des Kuratoriums zum Wiederaufbau der Synagoge am Fraenkelufer, Berlin
Clara Herrmann, Bezirksbürgermeisterin Friedrichshain-Kreuzberg, Berlin
Dekel Peretz, Vorsitzender Jüdisches Zentrum Synagoge Fraenkelufer e.V., Berlin
Petra Kahlfeldt, Senatsbaudirektorin, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Berlin