Koalitionsbildung: Friedrich Merz ist dafür verantwortlich, dass dieses diplomatische Meisterstück gelingt. Es wäre einfach, in koalitionserfahrenen Konstellationen einen stringenten Koalitionsvertrag aufzusetzen, in dem große, gesamtgesellschaftlich relevante Linien erkennbar werden, die nicht auf Migrations- und Wirtschaftsängste reduziert sind. Doch es knirscht zwischen den Regierungsbeteiligten, es „menschelt“. In den nächsten Wochen kommt es darauf an, wie es in den Metiers Bauen, Baukultur und Infrastruktur strukturell und personell und vor allem: vernünftig weitergeht. Scheitern wird Friedrich Merz anzulasten sein.
Angela Merkel, der man ein routiniertes Verhandlungsgeschick und geräuschlose Machtausübung nicht abstreiten kann, wusste schon, warum sie sich Friedrich Merz und mit ihm die patriarchalischen Andenpakt-Mitglieder1) vom Halse hielt. Ich persönlich glaube nicht, dass es dem rhetorischen Haudrauf Merz gelingen wird, die machtbesessenen Kleingeister zu disziplinieren, die um ihn herum schwarwenzeln. Ist eine Kamera auf Merz gerichtet, sind Jens Spahn, Carsten Linnemann, Julia Klöckner oder Thorsten Frei nicht weit. Und aus dem bayerischen Schatten huschen Alexander Dobrindt und Dorothee Bär bei der Machtverteilung flink ins Rampenlicht. Ministerienzuschnitte und das Personalkarussell bedingen einander. In der SPD läuft das noch amtierende und nicht abgewählte Ministerien-SPD-Personal auf, mit Karl Lauterbach (Gesundheit), Hubertus Heil (Arbeit), Boris Pistorius (Verteidigung), Svenja Schulze (Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) – und Klara Geywitz (BMWSB). Es geht also um Macht. Um persönliche Eitelkeiten und Connections, eine aktuelle Auflistung (25.2.25, 13:33) gibt’s >>> hier.
Bauen, Stadt- und Landesentwicklung, Infrastruktur und erneuerbare Energien spielten im Wahlkampf eine geradezu lächerliche Rolle – Wohnungen bauen und bauen und bauen, Heizungsdiktatur beenden, Windräder abreißen, Atomkraftwerke bauen – wir erläuterten und kommentierten in unseren Wahlkampf-Beiträgen, siehe Seitenspalte. Doch was soll jetzt werden?
Neue Ministerien – retour ins Zeitalter fossiler Energie
Parallel zum Personal geht es bei der Machtverteilung um Einflussbereiche, sprich: Ministerienzuschnitte. Der Tagesspiegel berichtete davon, dass die CDU schon mal „drei eigenständige Ministerien weniger als bisher“ plant – dafür aber zwei neue größere, so ein neues „Infrastrukturministerium“ für Bauen, Verkehr, Energienetze.2) Klimaschutz würde damit ins Umweltministerium geschoben, das etatmäßig ausbluten könnte.
Kehrtwenden in Klimafragen Carsten Linnemann (aus der „Mittelstandsunion“) könnte Robert Habeck beerben – im wie auch immer besetzten Wirtschaftsministerium wird der Klimaschutz mit Sicherheit keine Rolle mehr spielen. Im Gegenteil ist zu befürchten, dass unter der kommenden Regierung auf dem Weg zur Klimaneutralität eine Kehrtwende vollzogen wird. Heißt für die Transformation von Infrastruktur, Energiewirtschaft und Bauen insgesamt: Rolle rückwärts ins fossile Zeitalter. Konkret: Mit ihrer lausigen Kommunikation haben sich die Grünen innerhalb der Ampel widerstandslos ins Abseits drängen lassen – als „Verbotspartei“. Sie vermochten das politisch Notwendige nicht als das zu vermitteln, das Menschen hierzulande eine bessere Zukunft beschert. Und doch: Nie wäre es unter einer CDU/CSU-Beteiligung so weit gekommen, dass erneuerbare Energien inzwischen knapp 60% zur Gesamtenergie beitragen. Im Jahr 2000 waren es 6%. Man kann perfide wetten, dass dieser Anteil in den nächsten Jahren rapide sinken wird. Alice Weidel wird die CDU/CSU loben.
Bauen und Wohnen? Das Ministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, derzeit noch von Klara Geywitz geführt, wird es aller Wahrscheinlichkeit nach so nicht mehr geben. Ein „Bauministerium“ gab es 1949 bis 1998 – dann erst wieder 2021. Es ist jetzt wieder die Rede von dem oben beschriebenen Großministerium, auch relevant in unserem Zusammenhang: von einem reinen Digitalministerium.
Superministerien Die komplexen Zusammenhänge, in denen über unsere gebaute und unbebaute Umwelt entschieden wird, betreffen allerdings weit mehr als ein reines Bauministerium. Und darin liegt ein Problem. Infrastruktur (Verkehr), Klima, Bauen und Wohnen betreffen soziale, wirtschaftliche, ökologische und kulturelle Grundlagen unseres Zusammenlebens. Machtkonzentrationen in „Superministerien“ haben zugleich immense Auswirkungen auf die Verteilung des Bundeshaushalts – Macht- und Geldverteilung gehen Hand in Hand, was derzeit in den USA eine groteske, katastrophale Entwicklung mit der Allianz Trump-Musk-Zuckerberg & Co. beschert.3) Welche Lobbyisten künftig hierzulande in den „Superministerien“ ein- und ausgehen, kann man sich denken. Vor einem Umwelt-Ministerium wird keine Lobbyistenschlange stehen.
Wohin mit wem? Personen und Posten
Friedrich Merz gehört zum schon angesprochenen „Andenpakt“, wenn auch nicht von Anfang an. Darin versammelten sich die von Angela Merkel in Schach gehaltenen, einstmals jungen und gleichgesonnenen CDUler Roland Koch, Günther Oettinger, Matthias Wissmann und andere, man darf es sagen: heute eher sehr alte Recken.4) Zur alten Riege gehört auch Alexander Dobrindt, der im Kabinett Merz ein Pöstchen wird haben wollen. Man kann nur hoffen, dass er nicht das Infrastruktursuperministerium leiten wird. Noch schlimmer könnte es mit Jens Spahn in dieser Funktion werden, der verbal auch mal danebenhaut und auch merkwürdige Geschmackspräferenzen äußert. Hat es doch Donald Trump in einem seiner Dekrete vorgemacht: Darin fordert er den „klassischen Stil“ für Staatsbauten, nicht zuletzt, damit mit diesen Bauten sein eigener (Nach-)Ruhm inszeniert werde.5) Traut man Jens Spahn auch zu. Frauen im Kabinett? Werden noch gesucht… Die obendrein und parallel laufende, dringende Verjüngung der Parteien gleicht Operationen am offenen Herzen.
Närrisch vor der Fastenzeit
Max Weber hatte in einem Vortrag im „Revolutionswinter“ 1919 zum Thema „Politik als Beruf“ gesprochen.6) Vor mehr als hundert Jahren hat er schon über die „Auslese der Führerschaft“, die „Macht der demagogischen Rede“, die „Diktatur, beruhend auf der Ausnutzung der Emotionalität der Massen“ referiert. In Sätzen, die – und das ist unheimlich – wie aus unserer Gegenwart klingen. Darin thematisierte er auch den Unterschied zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik, salopp gesagt: Gesinnungsethisch weist man auf eine höhere Maxime, und wenn’s schief geht, was man macht, ist man nicht schuld daran. Verantwortungsethisch hat man für die Folgen seines Handelns aufzukommen.7)
Leider sind Gesinnungsethiker derzeit überall auf der Welt auf einem furchterregenden Vormarsch, wobei die aktuellen Gesinnungsethiken die friedliche Welt selten beherzigen. Max Weber: „Wenn die Folgen einer aus reiner Gesinnung fließenden Handlung üble sind, so gilt ihm [dem Gesinnungsethiker | Anm. der Autorin] nicht der Handelnde, sondern die Welt dafür verantwortlich, die Dummheit der anderen Menschen…“.8) Nun wird es kompliziert: Denn wenn Verantwortungsethiker scheitern, spielt die Dummheit anderer Menschen durchaus eine entscheidende Rolle.
In Koalitionsverhandlungen entscheidet genau eine solche Unterscheidung über das Gelingen der Koalition. Ich halte es für unwahrscheinlich, aber setze Hoffnungen in die gegenwärtigen Machtgeflechte9). Vorangetrieben von den Grünen haben sie uns – unter anderem – eine Gesamtenergie beschert, die – wie erwähnt – zu 60% aus erneuerbaren Energien gewonnen wird. Und wenigstens einige Ideen, wie man die Deutsche Bahn zu einem exzellenten Verkehrsmittel des 21. Jahrhunderts macht, tauchten auf. Alle sozialen Themen wird in einer CDU/CSU-geführten Regierung die SPD verantworten müssen – die „christlichen“ Parteien CDU/CSU werden sich in diesen Sektoren als (hinter-)listige Sparfüchse bemerkbar machen.
2) https://www.tagesspiegel.de/politik/union-will-bei-wahlsieg-ministerien-neu-zuschneiden-drei-ressorts-weniger-dafur-zwei-grosse-13239634.html
3) siehe The Big Deal
4) „Mehr noch als Oettinger soll Koch in letzter Zeit mehr als nur ein Politikfreund (von Friedrich Merz, Anm. der Autorin), sondern auch ständiger Berater und Gesprächspartner gewesen sein. In CDU-Kreisen heißt es beispielsweise, dass der Merz-Vorstoß zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit für Doppelstaatler, die schwere Straftaten begehen, direkt auf Koch zurückgehen könnte. Dieser hatte einst im hessischen Wahlkampf 1999 mit einer Unterschriftenkampagne gegen den „Doppelpass“ reüssiert.“ (Quelle: Tagesspiegel, siehe Anmerkung 1)
5) Nikolaus Bernau, im Deutschlandfunk: https://www.deutschlandfunkkultur.de/trumps-architektur-dekret-bauten-die-bewunderung-erregen-100.html
6) Max Weber: Politik als Beruf. Mit einem Nachwort von Rolf Dahrendorf. Stuttgart, Reclam 2008 (1: 1992)
7) Max Weber, a.a.O., Seite 70
8) Max Weber, a.a.O., Seite 71
9) siehe dazu: André Brodocz: Macht. In: Grundbegriffe der Politikwissenschaft, Stuttgart 2022, Seite 167